Frage an Kerstin Andreae von Hartmut W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Andreae,
Welche innovativen Lösungen für in Not geratene Firmen haben die Grünen zu bieten? In den 70er-Jahren, als der "Kalte Krieg" zu Ende ging, hatte die Rüstungsindustrie ähnliche Probleme wie die Autoindustrie heute. Lucas Aerospace in England zum Beispiel sollte "dicht gemacht" werden, über die Hälfte der Produktion waren Rüstungsprojekte. Ein ähnliches Schicksal könnte Werken mit Auto-Monokulturen wie Opel drohen. Die damalige Vorhut der Grünen machte sich damals stark für das 1976 bei Lucas Aerospace von Arbeitnehmerseite aus entwickelte Lösungsmodell zur Entwicklung von alternativen Produktionslinien. Blindflug-Systeme für Militärflugzeuge sollten ersetzt werden durch Bau von Sichthilfen für Blinde. Das war nur ein Vorschlag von 150 Ideen, die aus den Reihen der Belegschaft innerhalb nur eines Jahres entwickelt worden waren. Ein Gremium von Vertrauensleuten (shop stewarts) erarbeitete einen Fragebogen an die 15.000 Beschäftigten in allen Werken:
• Wie viele Leute mit welcher Qualifikation gibt es?
• Welche Maschinen stehen zur Verfügung?
• An welchen Produkten mangelt es im Leben jedes Einzelnen und in der Gesellschaft? Welche sozial nützlichen Produkte könnten mit dem Knowhow und den Maschinen im Werk nach kleinen Veränderungen auch hergestellt werden?
• Könnte die Belegschaft das Werk auch selbst betreiben?
Die Resonanz war riesig. Belegschaftsversammlungen wurden durchgeführt. Ingenieure, Techniker, Facharbeiter setzten sich zusammen und entwickelten Ideen. Pläne und selbst Prototypen wurden heimlich während der Arbeitszeit und nach Feierabend gezeichnet und gebaut. Näheres dazu: http://libcom.org/history/1976-the-fight-for-useful-work-at-lucas-aerospace
Wie könnten Sie und Ihre Partei diese Ideen nutzen und damit in der Krise und für den Wahlkampf ein eigenes Profil gewinnen?
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Wagner
l
Sehr geehrter Herr Wagner,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihre Anregungen zur Krise der Automobilindustrie. Ich stimme Ihnen zu, dass wir heute vor einem strukturellen Wandel in vielen Industriezweigen stehen. Die aktuelle Finanzkrise hat diese Entwicklungen lediglich beschleunigt, ist aber nicht die Ursache. Die Automobilindustrie ist ein besonders deutliches Beispiel dafür, wie jahrelang am Markt vorbei produziert wurde, ohne auf drängende Herausforderungen wie den Klimawandel einzugehen.
Das Beispiel von Lucas Aerospace, das Sie anführen, ist sehr interessant, aber nur begrenzt mit der heutigen Situation in der deutschen Automobilindustrie vergleichbar. Zudem sind viele der ehrgeizigen Pläne von damals aus verschiedenen Gründen gescheitert und Lucas Aerospace ist ein Einzelfall geblieben.
Wie Sie beschreiben, hat es in diesem Fall im Betrieb starke Eigeninitiativen der Beschäftigten gegeben, die neue Wege für eine veraltete Industrie vorschlugen. Dies kann kaum politisch verordnet werden. Aber wir können uns dafür einsetzen, die öffentliche Diskussion voranzubringen und die richtigen Rahmenbedingungen für mehr Mitbestimmung und einen strukturellen Wandel der Wirtschaft zu setzen. So haben wir zum Beispiel immer wieder eine stärkere Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Unternehmen gefordert und ein Investitionsprogramm vorgeschlagen, das Elektromobilität fördert und damit eine Linie vorgibt, wie die Automobilindustrie aus der Sackgasse kommt.
Auch setzen wir uns für eine strukturelle Neuausrichtung der Wirtschaft ein. Nur wer heute Antworten auf die ökologischen Herausforderungen von morgen findet, wird langfristig ökonomisch erfolgreich sein. In den öffentlichen Debatten stehen wir damit nicht allein da: Die neue us-amerikanische Administration unter Obama setzt genauso auf die ökologische Neuorientierung der Wirtschaft in der Krise wie der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Selbstverständlich werden wir unsere Positionen auch im Wahlkampf und darüber hinaus weiterentwickeln und uns dafür einsetzen, dass unsere Idee der Grünen Marktwirtschaft
verwirklicht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Andreae