Frage an Kerstin Andreae von Sami A. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Andreae,
ich konnte in den vergangenen Jahren leidliche Erfahrungen an bayerischen Gerichten (FG Amberg und OLG Nürnberg) sammeln. Als Bürger Baden-Württembergs interessiert mich Ihre Haltung zu Gutachten in familienrechtlichen Angelegenheiten besonders.
Gutachter werden in familienrechtlichen Fällen von Richtern direkt beauftragt. Daß es das Wort “Gefälligkeitsgutachten” gibt, ist dabei sicherlich kein Zufall. Man könnte zu der Auffassung kommen, daß es sich in vielen Fällen gar um ein symbiotisches Verhältnis zwischen Richtern und Gutachtern handelt. Daß viele Richter immer wieder dieselben Gutachter beauftragen, könnte man hierfür als Indiz betrachten.
Neben der Beauftragung von Gutachtern ist auch die Qualität der meisten Gutachten höchst fragwürdig. So hat eine Studie von Prof. Dr. Werner Leitner ergeben, daß die überwiegende Mehrheit der Gutachten nicht die Mindestvoraussetzungen an Gutachten in familienrechtlichen Verfahren erfüllen. In meinem Fall wollten die Richter am OLG Nürnberg kein Gegengutachten zulassen, weil man die Gutachterin ja kenne und sie laut dem vorsitzenden Richter gute Arbeit leiste (wie er zu dieser Einschätzung kam, bleibt mir ein Rätsel). Im Nachgang an das Verfahren habe ich das Gutachten an den o.g. Prof. Dr. Leitner geschickt, der das Gutachten als höchst mangelhaft eingestuft hat.
Bereits im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode war das Thema Gutachten in familiengerichtlichen Verfahren ein Thema, so hieß es:
“[...] die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich verbessern” (S.154).
Warum gibt es keine zentrale Stelle die sich um die Vergabe von Aufträgen für Gutachten kümmert und die Gutachten regelmäßig Qualitätskontrollen unterzieht? Würden Sie sich dafür einsetzen, daß so eine Stelle geschaffen wird? Damit würde man ausschließen, daß Richter nur ihnen gefällige Gutachter beauftragen und gleichzeitig würde man die Qualität sichern.
Mit freundlichen Grüßen,
S. A.
Sehr geehrter Herr A.,
haben Sie zunächst vielen Dank für Ihre Anfrage bezüglich des Sachverständigenrechts.
Durch das am 7. Juli 2016 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BT-Drs. 18/6985, 18/9092) wurden Regelungen getroffen, um das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter Sachverständiger zu stärken und die Qualität von Gutachten zu verbessern sowie die Verfahren zur Erstattung der Gutachten unter Beachtung der Verfahrensgarantien zu beschleunigen.
Die Beteiligungsrechte der Parteien bei der Auswahl von Sachverständigen wurden gestärkt, indem das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen über eine Anhörung der Parteien zur Person des Sachverständigen zu entscheiden hat. Die Sachverständigen können zur Gewährleistung ihrer Neutralität prüfen, ob Gründe vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu rechtfertigen, und diese dem Gericht unverzüglich mitteilen. In Kindschaftssachen wurden Qualifikationsanforderungen für Sachverständige gesetzlich vorgegeben. Danach müssen sie eine psychologische, psychotherapeutische, psychiatrische oder ärztliche Berufsqualifikation haben. Pädagogen oder Sozialpädagogen können nur dann berufen werden, wenn sie über eine diagnostische oder analytische Zusatzqualifikation verfügen. Bis dahin gab es keine förmlichen Anforderungen an die Ausbildung der Gutachter.
Ergänzend zu den Anforderungen an die berufliche Mindestqualifikation der Gutachter im Gesetzentwurf haben Vertreter juristischer, psychologischer und medizinischer Fachverbände, der Bundesrechtsanwalts- und der Bundespsychotherapeutenkammer unter Begleitung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Mindestanforderungen für Gutachten im Kindschaftsrecht erarbeitet (vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themenseiten/FamilieUndPartnerschaft/MindestanforderungenSachverstaendigengutachtenKindschaftsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1). Diese Mindestanforderungen sollen handlungsleitend für die Erstellung entsprechender Sachverständigengutachten sein.
Da aber die Qualitätsverbesserungen bei der Begutachtung nur dann ausreichende Wirkung zeigen können, wenn die Richterschaft in der Lage ist, die gutachterlichen Ausführungen im Einzelnen nachzuvollziehen und daraus rechtliche Schlussfolgerungen abzuleiten, ist es auch notwendig, die Qualifikationsanforderungen an die Familienrichterinnen und -richter zu erhöhen.
Während das Gerichtsverfassungsgesetz für Insolvenzrichter konkrete Qualifikationsvoraussetzungen aufstellt, sieht das Gesetz für Familienrichter lediglich vor, dass ein Richter auf Probe im ersten Jahr der Ernennung entsprechende Geschäfte nicht wahrnehmen darf (§ 23b Abs. 3 S. 2 GVG).
Zwar findet sich in der Praxis eine Vielzahl qualifizierter und sehr engagierter Familienrichter und Familienrichterinnen. Desgleichen wird teilweise aber auch Personal mit geringen richterlichen Erfahrungen, insbesondere auf dem Gebiet des Kindschaftsrechts in Familiengerichten eingesetzt. Den Familienrichterinnen und -richtern wird gleichwohl die Verantwortung für Entscheidungen in komplexen Kinderschutzverfahren und hochkonflikthaften Sorge- und Umgangsstreitigkeiten übertragen. Es ist dann ihre Aufgabe, zum Teil hochemotionale Verfahren in der gebotenen Weise vorrangig und beschleunigt durchzuführen, teilweise traumatisierte Kinder anzuhören und unter anderem darüber zu entscheiden, ob die Einholung eines Gutachtens überhaupt geboten ist. Sie müssen Sachverständige sorgfältig auswählen, die richtigen Fragen stellen und das Gutachten auf seine Verwertbarkeit hin überprüfen.
Richterliches Problembewusstsein ist vor diesem Hintergrund insbesondere für die betroffenen Kinder, aber auch für die übrigen Beteiligten von herausragender Bedeutung.
Die Präsidien der Gerichte sollten daher sensibilisiert werden, möglichst nur solchen Richterinnen und Richtern ein familienrechtliches Dezernat zuzuweisen, die über belegbare Kenntnisse des materiellen Familienrechts und des Familienverfahrensrechts sowie der damit verbundenen Querschnittskompetenzen im kommunikativen und analytisch-diagnostischen Bereich verfügen oder diese zumindest alsbald erwerben. Zumindest sollte für Familienrichterinnen und -richter eine längere Zeit der Berufserfahrung vorgegeben werden.
Ob weitere Änderungen - darunter die von Ihnen erwähnte zentrale Stelle, die sich um die Vergabe von Aufträgen für Gutachten kümmern und die Gutachten regelmäßig Qualitätskontrollen unterziehen sollte - erforderlich sind, lässt sich unseres Erachtens so kurzfristig nach der letzten Reform noch nicht sagen. Daher sollte abgewartet werden, wie die neuen Regelungen in der Praxis funktionieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Kerstin Andreae