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Kerstin Andreae
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Frage von Dieter D. •

Frage an Kerstin Andreae von Dieter D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

1.) Weshalb kann Deutschland den NSU - Prozess in München nicht auf eine höhere Ebene stellen, da er nach dem Aufschrei in der Welt fast vergleichbar mit den Nürnberger Prozessen ist?
2.) Schon die Räumlichkeiten sind ein Armutszeugnis für unsere Nation, weshalb schalten sich nicht die Bundesstaatsanwaltschaft und das Bundesinnenministerium ein, um gemeinsam eine Lösung zu finden, um so der Welt auch zu zeigen, dass es Deutschland wichtig ist solche Rechtsextreme Themen auch aufzuarbeiten?
3.) Kann man hier die Gewaltenteilung so strickt getrennt halten um eine ordentliche Lösung zu erarbeiten? (In der Deutschen Wirtschaft zwingt man die Partner sich zusammen zu raufen um die best mögliche Lösung zu bekommen) (Ich hoffe Sie haben zwischen den Zeilen in dieser Frage die weitere Frage gelesen, die für Deutschland in diesem Prozess besonders entscheidend ist).
4.) Bei der hohen Weltaufmerksamkeit denke ich, sind Sie als Abgeordnete gefragt sich dazu zu äußern um noch größeren Schaden von Deutschland fern zu halten; weshalb hört man in den Medien nichts von Ihnen (Grünen) oder einem Pressesprecher?
5.) Muss man der Justiz nicht auch auf die Finger schauen, damit diese keine Fehler schon von Beginn an macht? (Die deutsche Presse scheint mir fast zensiert für diese Überwachung).

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dier,

auch ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland eine breitere Debatte über den Kampf gegen den Rechtsextremismus und eine Zwischenbilanz hinsichtlich einer Aufarbeitung der Defizite und Pannen bei den Ermittlungen wegen der NSU-Morde bekämen. Wir schulden sie den Opfern der NSU und deren Angehörigen.

Es gibt keinen Grund, die öffentliche Debatte zu scheuen. Dass der NSU-Untersuchungsausschuss noch mitten in seiner Arbeit steckt, schließt eine öffentliche Debatte im Parlament nicht aus. Wir haben vor fast einem Jahr eine fraktionsübergreifende Resolution einstimmig im Bundestag beschlossen. Dort wurde gefordert, dass wir Hürden in der Projektarbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus überprüfen und ausräumen. Diese Hürden bestehen - beispielsweise durch die Extremismusklausel - noch immer, eine Überprüfung hat bis heute nicht stattgefunden.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat im November 2012 ein Reformkonzept für die deutsche Sicherheitsarchitektur vorgelegt. Wir plädieren für einen klare Zäsur und einen Neustart, in dem wir die Auflösung des Verfassungsschutzes, die Neustrukturierung der Inlandsaufklärung und die Stärkung der Demokratieförderung vorschlagen. Auch für den Polizeibereich braucht es Reformkonzepte, denn die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben hier ebenfalls erhebliche auch strukturelle Mängel festgestellt. Doch eines ist klar: die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist vor allem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eine Reform der Sicherheitsbehörden ist dabei ein Baustein. Ich halte es aber für unverantwortlich, in dieser Situation populistisch und pauschal nach neuen Sicherheitsgesetzen zu rufen, wie Bundesinnenminister Friedrich das tut. Das schürt unnötige Ängste und schadet dem Rechtsstaat. Die Gründung eines Terrorabwehrzentrums gerade für den Linksextremismus erscheint in dieser Situation skurril. Mehr Sicherheit schafft es sicher nicht, wenn ohne eingehende, auch für das Parlament transparente Evaluierung und Analyse des Behördenversagens die Sicherheitsbehörden, die so offensichtlich versagt haben, mit weiteren Befugnissen ausgestattet werden. Wir Grüne wollen eine ausgewogene, realitätstaugliche Sicherheitspolitik: Sicherheit muss im Dienst der Freiheit stehen, nicht umgekehrt. Die Verfassung und die Grundrechte sind dabei unsere Leitlinien.

Beinahe absurd ist der Beschluss der Innenministerkonferenz, den Verfassungsschutz nun noch stärker für die Aufklärungs- und Präventionsarbeit in der Öffentlichkeit einzusetzen, weil er die „maßgebliche Bewertungsinstanz für Extremismus“ sei. Die im Zusammenhang mit dem NSU zutage getretene Blindheit für die Gefahr des Rechtsextremismus und die systematische Ignoranz gegenüber zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts zeigen eines ganz sicher: der Verfassungsschutz hat in der politischen Aufklärungs- und Bildungsarbeit nichts zu suchen. Er ist dafür nicht kompetent und er hat zudem ein gravierendes Kontrollproblem: Behördeninterne Aufsicht und externe Kontrolle waren nicht gut genug. Innerhalb der Verfassungsschutzbehörden mangelt es am Bewusstsein der Notwendigkeit einer externen Kontrolle. Das zeigen die vielfältigen Vertuschungsmanöver bzw. die Fälle der Aktenvernichtung. Dies muss im NSU-Prozess ebenso mit aufgearbeitet werden. Deren Verschiebung ist bedauerlich und für die Angehörigen mehr als ärgerlich, da sie neben der psychischen Belastung nun auch noch höhere Kosten haben (z.B. Reise- und Fahrtkosten). Die Verschiebung ist aber notwendig, um ein faires, transparentes und nicht angreifbares Akkreditierungsverfahren der Medien zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Andreae MdB