Frage an Kerstin Andreae von Walter B. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Andreae,
mit Interesse habe ich Ihre bisherigen Beiträge zu dem Thema "Euro/Finanz-Krise" unter AbgeordnetenWatch.de gelesen. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Argumente sind in den Beiträgen der Fragesteller und Ihren Antworten im Wesentlichen ausgetauscht; mehr würde hier sicherlich keine neuen Einsichten bringen.
Was mich besonders interessiert, sind vielmehr die gesellschaftspolitische Dimension der Krise und die Reaktionen der Politik auf diese Situation. Die Fragen nach Legitimität und demokratischen Begründung der Maßnahmen zur Stabilisierung der Euro-Zone wurden von einigen Fragestellern in diesem Forum bereits angesprochen. Es irritiert mich daher sehr, dass auf diese Hinweise und auch Befürchtungen von Ihnen wenig bis gar nicht eingegangen wurde.
Für mich gibt es, mindestens aus deutscher Sicht, auch eine Krise der Demokratie und Legitimität:
- Geschlossene Verträge werden gebrochen (Mastrich,etc),
- europäische Institutionen handeln gegen Ihre Kompetenzen (EZB),
- undemokratische Institutionen werden geschaffen (ESM)
- und nationale Souveränität wird relativiert (Fiskalpakt).
Dies alles erfolgt, wie selbstverständlich, unter dem unsäglichen Begriff der Alternativlosigkeit und der Dringlichkeit und wird auch von Ihrer Partei mitgetragen. Wenn Sie (in einem früheren Beitrag) sinngemäß scheiben „es muss getan werden, um Zeit zu gewinnen“, frage ich mich: Zeit wofür? Was ist das Ziel?
Ist es ein freiheitliches Europa von selbstbestimmten Europäern? Oder ist es ein bürokratisches bis totalitäres Europa, die Integration unter Abwesenheit demokratischer Mitbestimmung? Die Haltung Ihrer Partei ist mir, nach vielen Jahren der Sympathie, nicht mehr deutlich.
Und noch eine Frage zum Fiskalpakt: sind es eine Finanztransaktionsteuer und ein paar Konjunkturhilfen wert, grundsätzliche verfassungsrechtliche Prinzipien aufzugeben?
Es würde mich freuen, Ihre Auffassung zu diesen Themen zu erfahren.
Viele Grüße von
Walter Bielefeld
Sehr geehrter Herr Bielefeld,
ich danke Ihnen für Ihre Fragen. Die verfassungsgemäße Mitbestimmung des Deutschen Bundestages bei Entscheidungen des ESM ist mir und der Grünen Bundestagsfraktion sehr wichtig. Wir haben uns deshalb bei den parlamentarischen Beratungen zum ESM und zum Fiskalpakt für eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestags erfolgreich eingesetzt und sind mit dieser Forderung auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.
Grundsätzlich kann nun keine wesentliche Entscheidung im ESM ohne die vorherige Zustimmung des Bundestages getroffen werden. Das gilt z.B. bei Änderungen des Stammkapitals, des maximalen Kreditvolumens oder der zulässigen Instrumente.
Darüber, ob ein Land unter den Rettungsschirm kommt, wird sogar zweimal im Bundestag abgestimmt werden. Bei der ersten Abstimmung muss bereits geklärt sein, dass eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Gebietes insgesamt besteht, dass der notleidende Staat seine Schulden auch wirklich tragen kann und wie hoch der tatsächliche oder potentielle Finanzierungsbedarf des Landes ist.
Der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM darf einem entsprechenden Beschlussvorschlag dort nur zustimmen, wenn der Bundestag dieses Votum erteilt hat, sonst nicht.
Die zweite Abstimmung des Bundestages erfolgt dann, wenn einem Land tatsächlich Finanzhilfen gewährt werden sollen. Diese werden nur gegen Auflagen gewährt und es wird regelmäßig von der Europäischen Kommission, der EZB und dem IWF (sogenannte "Troika") überprüft, ob das Land seine Auflagen tatsächlich einhält.
Auch beim Fiskalpakt konnten wir umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte gegen den Widerstand der Bundesregierung durchsetzen und zusätzlich wird der Bundestag bei allen künftigen völkerrechtlichen Vereinbarungen frühestmöglich eingebunden werden.
Bei der Abstimmung über ESM und Fiskalpakt am 29. Juni 2012 habe ich zugestimmt, weil mit den von uns durchgesetzten starken Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten des Bundestages nun die haushaltspolitische Verantwortung des Parlaments sicher gestellt ist, so dass der ESM kein "Fass ohne Boden" wird. Und ich habe zugestimmt, weil mit dem ESM eine Schutzmauer errichtet wird, die verhindert, dass die Krise eines Landes zu einer Destabilisierung des gesamten Euro-Gebietes führt. Die hätte unüberschaubare Konsequenzen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, sondern auch für Europa insgesamt.
Der ESM ist auch deshalb wichtig, um endlich die EZB aus ihrer aufgezwungenen Rolle eines Krisenmanagers zu befreien. Angela Merkels Verzögerungspolitik hat die EZB gezwungen einzuspringen und Banken zu Niedrigstzinsen Geld zu leihen und immer höhere Risiken für die deutschen Steuerzahlenden anzuhäufen. Der Widerstand der Regierung gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden ist ein reines Ablenkungsmanöver davon, dass es diese gemeinsame Haftung längst bei der EZB gibt und dies ohne demokratische Kontrolle. Dieser unhaltbare Zustand muss beendet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Andreae