Frage an Kerstin Andreae von Matthias L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Andreae
Wie denken Sie über das Bedingungslose Grundeinkommen, finanziert durch eine reine Konsumsteuer?
Mich interessiert hierbei Ihre persönliche Meinung und nicht die Position Ihrer Partei.
Bund, Länder und Kommunen geben zusammen über 750 Milliarden an Sozialleistungen aus (Sozialbericht 2009). Hinzu kommen mehrere milliarden Verwaltungskosten in den Steuer- und Sozialsystemen. Des weiteren geben wir Geld aus um Menschen zu Arbeiten zu zwingen, die wir zuvor mit noch mehr Geld schaffen oder erhalten müssen. So zum Beispiel im Stein- und Braunkohleabbau. Dies wird sich durch die zunehmend schnellere Entwicklung der Maschinen, die uns vor allem unangenehme Arbeit abnehmen, eher noch verstärken.
Die Konsumsteuer müsste also nicht höher sein, als die Gesamtheit der Steuern, die sich jetzt schon auf den Produktpreis auswirken und durch die Konsumsteuer wegfallen würden. Das Produkt wäre also nicht teuerer als jetzt und es hätte keine Steuererhöhung stattgefunden.
Außerdem fördert ein Grundeinkommen im Gegensatz zum jetzigen Steuer und Sozialsystem die Arbeitsmotivation, da einem der hinzuverdiente eigene Lohn, nicht mehr abgezogen wird. Leistung würde sich also Lohnen.
Die Bürokratieabbau würde die Transparenz für den Bürger gewährleisten und die Notwendigkeit der ständigen Gängelung des arbeitenden oder nicht-arbeitenden Bürgers durch Kontrollen, Einkommenssteuererklärungen, Sozialmeldenachweise u.s.w. würde wegfallen. Des weiteren würde ein Grundeinkommen dem Bürger ermöglichen sein eigener Unternehmer zu sein. Er würde seine Arbeitskraft als Produkt zur Verfügung stellen und über den Preis nach Angebot und Nachfrage verhandeln.
Ein Grundeinkommen müsste also finanzierbar sein, Bürokratie würde abgebaut und Transparenz sowie Freiheit gefördert. Familien würden gefördert und auch ehrenamtliche Arbeit gefördert.
Ich freue mich auf Ihre Antwort
Matthias Lindemer
Sehr geehrter Herr Lindemer,
das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens klingt zunächst interessant und begrüssenswert. Die Grundthese: Wir leben in einem Überfluss an Gütern, während die Erwerbsarbeit stetig abnimmt und die öffentlichen Kassen leer sind. Arbeit und Einkommen muss entkoppelt werden. Ein Grundeinkommen, das an keine Vorbedingungen geknüpft werde, ermögliche den Menschen ein Leben in Würde und erlaube ihnen Tätigkeiten, die heute als unbezahlbar gelten.
Dennoch ist meine Vorstellung von der Zukunft des Sozialstaats eine grundlegend andere. Mehr soziale Gerechtigkeit erfordert neue Zugänge zu Bildung und Arbeit und nicht allein materielle Absicherung. Wir brauchen dringend mehr Investitionen in die soziale Infrastruktur, insbesondere für die Verbesserung des Bildungswesens. Früh entscheidet sich, wer dazu gehört und wer draußen bleibt. Jeder zehnte Jugendliche verlässt heute die Schule ohne jeden Abschluss. Unter den Kindern von Migranten ist es sogar jeder fünfte. Der Zugang zu Bildung ist die soziale Frage dieses Jahrhunderts. Ein bedingungsloses Grundeinkommen löst diese Frage nicht und lässt vollständig den Anspruch fallen, Menschen durch Unterstützung und Qualifizierung den Weg in Arbeit und damit Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Wer nicht in der Lage ist, sich durch Arbeit - sei es ehrenamtlich oder entlohnt - zu integrieren, der hat in diesem Modell keinen Platz. Das bedingungslose Grundeinkommen zementiert die Spaltung unserer Gesellschaft. In die, die arbeiten und die, die keine Arbeit haben. Wer außen vor ist, bleibt außen vor. Gerechtigkeit ist für mich mehr als reine Verteilungsgerechtigkeit. Mir geht es um gleichberechtigte Teilhabe.
Statt für ein bedingungsloses Grundeinkommen trete ich daher für eine individuelle Grundsicherung auf Höhe des soziokulturellen Existenzminimums ein. Dazu gehört für mich untrennbar eine Förderung, die Zugänge zur Erwerbsarbeit schafft. Mir geht es um mehr als reine Umverteilung: Nur wer jedem Einzelnen die Chance auf Bildung und Arbeit ermöglicht, schafft die Voraussetzung für ein Leben in Selbstbestimmung. Auch ich möchte in einer zukunftsfähigen Gesellschaft leben, ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass das Grundeinkommen dazu der richtige Weg ist.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Andreae MdB