Frage an Kerstin Andreae von Klaus D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Andreae,
Sie schreiben "Wir wollen die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee machen, sie verkleinern u. Freiwilligendienste ausbauen." und sind somit für die Abschaffung der Wehrpflicht.
Wie stehen Sie zu der - mit der Abschaffung der Wehrpflicht einhergehenden - Abschaffung des Zivildienstes?
Klaus Demerath
Sehr geehrter Herr Demerath,
vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre wichtige Frage, die ich Ihnen
gerne beantworte. Erlauben Sie mir vorab zwei Bemerkungen:
Wie sieht die "allgemeine Wehrpflicht" in Deutschland aus? Für 350.000 bis 450.000 Wehrpflichtige gibt es 55.000 Wehrdienst- und 110.000 Zivildienstplätze. 2008 wurden 85.000 Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst aber nur etwa 45.000 Wehrpflichtige zum 9-monatigen Grundwehrdienst herangezogen. De facto haben wir heute eine Situation, in der Nicht-Dienen die Regel und der Wehrdienst die Ausnahme ist. Die Wehrpflicht wird überwiegend von Kriegsdienstverweigerern erfüllt und die Bundeswehr zu 88 % eine Freiwilligenarmee. Heute leisten mehr als 60 % der Wehrpflichtigen keinerlei Dienst, 20 % Zivildienst, 10 % den gesetzlichen Grundwehrdienst,5 % einen freiwilligen Wehrdienst. Damit wird die "allgemeine Wehrpflicht" ad absurdum geführt.
Von Wehrgerechtigkeit und Pflichtengleichheit kann in Deutschland keine Rede sein. Diese ungerechte Rest-Wehrpflicht kann und muss schnellstmöglich abgeschafft werden. Die Ungleichbehandlung und Benachteiligung wird durch die internationale Entwicklung verstärkt. Fast alle unsere Bündnispartner haben angesichts der veränderten Sicherheitslage auf die Wehrpflicht verzichtet. Sie messen der Freiheit und Gleichheit eine größere Bedeutung bei als es diese Regierung unter Merkel und Steinmeier tut. Wie sieht es im Zivildienst aus? Waren im Jahr 1998 im Durchschnitt 138.000 Zivildienstleistende Einsatz, waren es 2008 etwa 63.000. In den Sommermonaten sinkt der Anteil der besetzten Zivildienststellen auf unter 40.000. Hören wir einen Schrei der Empörung oder ist unser Sozialsystem zusammengebrochen? Nein. Offensichtlich geht es auch ohne Zivis. Die Träger des Zivildienstes wissen, dass sie nicht damit rechnen können, dass Zivildienstleistende immer dann zur Verfügung stehen, wenn man sie gerne hätte. Wenn niemand verweigert oder sich kein Zivildienstleistender findet, müssen die Einrichtungen ihre Arbeit auch ohne Zivis erledigen können. Außerdem müssen Zivildienstleistende arbeitsmarktneutral und gemeinwohlorientiert eingesetzt werden. Viele Krankenhäuser und soziale Betreuungseinrichtungen werden heute von gewinnorientierten Dienstleistungsunternehmen und nicht mehr von Wohlfahrtsverbänden betrieben.
Mit der Verkürzung der Zivildienstdauer, der Ausweitung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, Verbesserungen im Rahmen des Freiwilligen sozialen und ökologischen Jahres usw. hat der Einsatz von Zivildienstleistenden für viele der anerkannten Trägerorganisationen an Bedeutung verloren. Sie sind darauf vorbereitet, auch ohne Zivildienstleistende auszukommen. Dazu hat nicht zuletzt auch der 2004 vorgelegte Abschlußbericht der Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" http://www.bmfsfj.de/Politikbereiche/zivildienst,did=14904.html beigetragen, in dem es um die Zukunft des Zivildienstes und der Freiwilligendienste geht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Abschied vom Zivildienst machbar ist und nicht einher gehen muss mit einem Verlust an Betreuungsqualität.
Was wollen die Grünen?
§ Qualifizierte Fachkräfte
Aus Sicht der Grünen sollen die Aufgaben der Zivildienstleistenden u.a. durch die Schaffung regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze abgedeckt werden. In vielen Bereichen, z.B. bei der Betreuung von Schwerstbehinderten, ist es wichtig, dass diese anspruchsvollen Aufgaben nicht von alle paar Monate wechselnden angelernten jungen Männern, sondern von Fachkräften ausgeübt werden.
§ Attraktivere Freiwilligendienste
Der Zivildienst ist auch ein wichtiger Lerndienst. Viele junge Menschen sind nach Abschluss der Schulausbildung daran interessiert, neue Lebenswirklichkeiten kennen zu lernen und sich zu engagieren. Diese Lern- und Orientierungsfunktion möchten wir gerne erhalten und ausbauen. Die Zahl der Jugendfreiwilligendienstplätze im sozialen, ökologischen, kulturellen und internationalen Bereich wollen wir mehr als verdoppeln. Damit passen wir das Angebot der enormen Nachfrage von Jugendlichen an. Notwendig ist die konsequente Ausrichtung der Dienste an Orientierung, Bildung und Qualifizierung. Die verschiedenen Programmzweige benötigen eine kohärente Gesamtkonzeption. Sie müssen allen Jugendlichen gleichermaßen offen stehen. Daher ist ein stärkeres Augenmerk auf bislang unterrepräsentierte und benachteiligte Jugendliche zu richten. Dies wird zu massiven Umschichtungen aus den Haushalten für Verteidigung und Zivildienst zugunsten von Freiwilligendiensten und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führen.
Ich hoffe, Ihre Frage damit zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Andreae