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Kersten Artus
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Frage von Martin K. •

Frage an Kersten Artus von Martin K. bezüglich Frauen

Guten Tag!

Frau Artus - ich hätte eine, nein mehrere Fragen an Sie. Bezug nehmen möchte ich
für diese Fragen auf einen Beitrag von SpiegelTV, der sich mit einem Kinderbuch "Pixie" befasste.

Sie äusserten sich hier über die Darstellung der Familie, die allein dadurch, wie die im Buch gezeichneten Figuren zueinander positioniert waren, Ihr entschlossenes Protestieren zur Folge hatte.
Hier nun meine Fragen - ich möchte es einfach nur verstehen und werde die Frage soweit ausformulieren, dass keine Missverständnisse bezüglich meiner Einstellung entstehen sollten.

Sind Sie tatsächlich der Meinung, dass ein System, das hunderttausende von Jahren funktioniert hat (hier ein erster Erläuterungsversuch - natürlich brauchen wir keine Steinzeitverhältnisse, sondern eine mündige Frau von heute, jedoch wie weit kann eine solche Entwicklung funktionieren? ), so völlig abstrus und untragbar ist?

Ist es nicht viel mehr auffällig, dass der demographische Niedergang unserer Gesellschaft (Überalterung, 0.2 Kinder pro Paar) zu einem großen Teil auf diese vorangepreschte Umerziehung/das verteufeln alter Werte zurückzuführen ist?
Und was würde passieren, wenn die Frauen in allen Ländern und Kulturkreisen der Welt plötzlich Ihre verquere Einstellung annähmen und keine Einführung der neuen "Fortpflanzungsbrigade" aus den arabischen Ländern möglich wäre, wie sie eben in Deutschland praktiziert wird?
Die Emanzipierung in Deutschland läuft seit, korrigieren Sie mich, etwa 40 Jahren und begann mit völlig rationalen und wichtigen Dingen, wie der langsamen Entwicklung der Berufstätigkeit, dem Schutz der Frauen bezüglich Scheidungen, der Schritt weg vom Herd wurde gemacht und er ist zu begrüßen und wichtig.

Aber nicht erst seit neustem wird es abstrus und angsteinflößend - Ihre Bemerkungen in diesem Interview ließen mich mit Genickschmerzen, die von erhöhtem Kopfschütteln bedingt waren zurück.

Ich hoffe auf eine Antwort.
MfG
M. Kunzmann

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Martin Kunzmann,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich hoffe, Ihre Genickschmerzen sind wieder abgeklungen und Sie können entspannt vorm Computer meine Antwort lesen. Leider sind auch Sie einem manipulativen Bericht von Spiegel TV aufgesessen, der es der BILD nachgemacht hat und eine Sache aufbauschte, die es nicht wert ist, derart aufgebauscht zu werden. Erstens habe ich keine Umschreibung des Pixibuches gefordert, sondern Vorschläge gemacht. Und dies anlässlich der zweiten Auflage. Ich habe mich auch nicht ausführlich mit den Änderungen beschäftigt, sondern ca. eine Stunde. Ich bin nicht als Frontfrau angetreten und habe ich das Buch nie als rassistisch und sexistisch bezeichnet. Dies erfahren Sie nur durch die "Stimme aus dem Off" des Spiegel-TV-Beitrages, der Ihnen Glauben machen soll, DIE LINKE hätte nichts Besseres zu tun, als ihre Zeit mit einem Kinderbuch zu verbringen.

Das Pixibuch ist von der Hamburgischen Bürgerschaft herausgegeben worden. Ich bin Mitglied derselben und sehe es daher auch als einen (kleinen) Teil meiner Aufgaben an, mich für die Außendarstellung zu engagieren. Aus meiner Sicht war das Pixibuch in seiner ersten Auflage zu traditionell ausgerichtet und bot damit zu wenig Vielfalt. Es ging immer um die klassische Familie, immer um nicht behinderte Kinder, Migrantinnen und Migranten fanden sich nicht wieder. Mädchen waren in einem Ungleichgewicht präsent. Die Lebenswirklichkeit unserer Kinder ist eine andere. Daher bestand meine Befürchtung darin, dass das Pixi-Buch zu wenig Beachtung findet, weil sich viele Kinder nicht mit den Inhalten identifizieren könnten, und auf der anderen Seite Rollenbilder verfestigt werden, die es im realen Leben nur noch zum Teil gibt. Kurzum: Ich fand das Büchlein zu altmodisch.

Spiegel TV verzichtete bewusst darauf, zu erwähnen, dass es in der ersten Auflage "Bundeskanzler" heißt, trotz Frau Merkel. Es wurde weiterhin darauf verzichtet, zu erwähnen, dass künftig ein im Rollstuhl sitzendes Kind abgebildet wird. Des Weiteren wird eine Aussage von mir in einem völlig falschem Zusammenhang dargestellt: dass auch Kinder mit kurzen Haaren Mädchen sind. Ich hatte dies in dem Zusammenhang gesagt, dass ich keine Umzeichnung eines weiteren Bildes als erforderlich betrachte, weil man aus einem Jungen (Rick) ein Mädchen (Svetlana) machen wollte, und deswegen dem Kind Zöpfe verpasste: Es gibt nämlich auch genug Mädchen, die kurze Haare haben. Die Sendung Spiegel TV bezeichnet den Beitrag übrigens im Nachhinein als Satire. Die Anwendung dieser Kunstform ist allerdings reichlich misslungen.

Sie sagen, wir „brauchen heute eine mündige Frau“. Ich sage: Wir brauchen Sie nicht nur, es ist ein Menschenrecht, über sich selbst und das eigene Leben entscheiden zu können. Dies wurde den Frauen ewige Zeiten verwehrt – vor allem aufgrund und mit Hilfe der klassischen Familienstruktur. Die Emanzipation der Frau ist ein ewiger Befreiungsakt und hatte sein Schlaglicht Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Wahlrecht für Frauen. Ein Zusammenhang der Emanzipation mit der demografischen Entwicklung ist mir zu kurz gegriffen. Schon seit fast hundert Jahren sind Kinder für Frauen nicht mehr selbstverständlich, sondern eine bewusst getroffene Entscheidung. Wenn Frauen sich sicher wüssten, dass sie kein Armutsrisiko eingehen würden, wenn sie Kinder bekommen, würde sich mehr als derzeit für das Kinderkriegen entscheiden. Wenn Sie einen Blick auf die typische Familie werfen, stellen Sie zudem fest, dass die meisten Frauen Alleinerziehende sind. Der abwesende Vater ist zudem traumatisch für die Kinder (und das spätere Männerbild der Töchter und Söhne) und eine hohe Belastung für die Partnerschaft. Viele Beziehungen scheitern deswegen. Heute existieren viele Familienformen und alle sind es wert, anerkannt und unterstützt zu werden. Glück lässt sich nicht in ein fertiges Schema pressen.

Der größte Einbruch der Fertilitätsrate war übrigens ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau sank in kurzer Zeit von fünf auf unter zwei Kinder. Der erneute Abfall Anfang der Siebziger war dagegen harmlos. Was in der Tat sinkt, ist die die Zahl der Neugeborenen pro 1000 Bevölkerung. Das liegt an der steigenden Lebenserwartung: Je mehr Ältere es gibt, desto niedriger ist der Anteil der gebärfähigen Frauen. Alt zu werden ist heute kein Glücksfall mehr, sondern ganz normal.

Mit freundlichen Grüßen

Kersten Artus