Frage an Katrin Göring-Eckardt von Hartmut R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Katrin Göring-Eckardt,
ich bin froh, dass sich die Christen Ihre Partei gegen Diskriminierung von Minderheiten einsetzen.
Ich finde es auch nach wie vor bedenklich, wenn Steuergelder für missionarische Dinge eingesetzt werden, die wiederum gegen andere Minderheiten gerichtet sind, wie bspw. beim Christival.
Ich finde es bedenklich, wenn die Träger des Christivals ihrer Partei "Zensur" oder einen "Angriff auf die Meinungsfreiheit" vorwerfen, nur weil einige Ihrer Parteimitglieder die Umpolungsangebote für Homosexuelle kritisieren.
Wie stehen Sie persönlich eigentlich zu den "Veränderungsangeboten" an Homosexuelle durch evangelikale Organisationen, die die sexuelle Orientierung "umpolen" können sollen?
Sehen Sie mögliche Konflikte auch in anderen Bereichen, wenn öffentliche Gelder für missionarische Dinge ausgegeben werden? Sendungsbewusste christliche Organisationen wie die Evangelische Allianz wollen ja auch Muslime missionieren. Könnte es nicht problematisch werden, wenn eines Tages sich bspw. auch Muslime durch staatlich geförderte Missionierung angegriffen fühlen könnten und sie staatliche Neutralität in Glaubensfragen einfordern?
Ein Beispiel aus dem mit 250.000 € Steuergeldern geförderten Christival:
„404 Missionarische und Diakonische Aktionen in Bremen
Seminarbeschreibung:
Bremen soll einen Segen vom Christival haben. Deshalb wollen wir beim "Gruß in die Stadt" als missionarische Aktion alle Haushalte in Bremen besuchen. …“
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Rus
Sehr geehrter Herr Rus,
danke für Ihre Email und die von Ihnen vorgenommene differenzierte Einschätzung der Kontroverse um das Christival. Ich teile die inhaltlich die Kritik, die gegen das Christival-Seminar vorgebrachte wurde, welches "Ursachen und konstruktive Wege heraus aus homosexuellen Empfindungen" aufzeigen sollte. Die Veränderbarkeit einer homosexuellen Prägung durch Therapie oder durch Seelsorge wird heute wissenschaftlich überwiegend verneint. Versuchen, sexuelle Orientierung "umzupolen" stehe ich ablehnend gegenüber und fürchte, dass hierbei auch Schaden zugefügt werden kann. Gerade, wenn Menschen sich Rat suchend an Seelsorgerinnen und Seelsorger wenden, weil sie unsicher sind, oder unglücklich über ihre homosexuelle Veranlagung, kann es nicht darum gehen, Druck aufzubauen und eine Norm vorzugeben, der zu entsprechen ist. Sondern zu allererst muss derjenige gestärkt werden und ermutigt, sich selbst so anzunehmen wie er ist. Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden, jedem ist mit Achtung und Respekt zu begegnen. Dies kann und muss auch von christlichen Gemeinschaften eingefordert werden, auch wenn sie mit religiöser Begründung Homosexualität ablehnen.
In Deutschland regeln die Kirchen ihre inneren Angelegenheiten gemäß ihres Selbstbestimmungsrechts ohne staatlichen Einfluss, solange sie sich dabei auf dem Boden der Verfassung bewegen. Als eine ihrer ureigenen Aufgaben verstehen die Kirchen die Weitergabe des Glaubens, das öffentliche Reden von Gott, die Mission. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn damit nicht Zwang verbunden ist. Darüber hinaus leisten die Kirchen im sozialen Bereich, im Bildungsbereich und beispielsweise auch im kulturellen Bereich einen gesellschaftlichen Beitrag, den der Staat schätzt, auf den er angewiesen ist und den er finanziell fördert. Über den Kinder- und Jugendplan des Bundes wird unter anderem die christliche Jugendarbeit der Kirchen gefördert. Aus diesem Etat stammen auch die 250.000 Euro, die für das Christival aufgewendet wurden. Grundsätzlich habe ich dagegen keine Bedenken. Gerade die Diskussion über das Christival hat gezeigt, dass parlamentarische Kontrolle gut funktioniert. Es bestanden Bedenken hinsichtlich des Programms einer mit Steuergeldern finanzierten Veranstaltung, für die Bundesministerin von der Leyen die Schirmherrschaft übernommen hatte. Mit dem parlamentarischen Instrument einer kleinen Anfrage ist dies öffentlich gemacht worden, das Ministerium hat interveniert und die fragliche Veranstaltung wurde aus dem Programm genommen. Das scheint mir eine akzeptable Lösung im Rahmen eines belastbaren und vertrauensvollen Verhältnisses von Staat und Kirche.
Mit vielen Grüßen,
Katrin Göring-Eckardt