Frage an Katrin Göring-Eckardt von Birgit S. bezüglich Senioren
Sehr geehrter Frau Göhring - Eckhardt,
am 06.06 stellte ich einen jungen Mann ( 28 J / aktiver Fußballer) , ohne Berufsausbildung als Gartenhelfer ein. am 13.06. erschien er nicht zur Arbeit schickte eine SMS - er müsse sofort zum Arbeitsamt , weil ihm sonst alle Leistungen gestrichen würden. Den ganzen Tag war er nicht mehr zu erreichen. Am nächsten Tag hörte ich; die Probleme bezogen sich auf die Erstausstattung seiner Wohnung - heißt Bezahlung all seiner Möbel vom Amt - er hatte Ärger. Bei einer Kontrolle kam heraus - er hatte bereits gebrauchte Möbel, ließ sich diese aber auch bezahlen.
Er kam dann wieder zur Arebit ; bis 20.06., an diesem Tag entschied er sich nicht zur Arbeit erscheinen, noch telefonisch erreichbar zu sein. Danach hörte ich bis heute nichts mehr von ihm. Heute wollte er sofort auf der Stelle seine Abrechnung und Papiere, damit er mit dem Amt klären kann was die noch zuzahlen.
Nun meine Frage an Sie; warum zahlt der Sozialstaat ( wir alle ) solch einer Person : Miete , alle Möbel und Lebensunterhalt - ohne jede Gegenleistung ? Wo sehen Sie hier UNSERE SOZIALE VERANTWORTUNG ? Wo ist seine Leistung ?
Mit freundlichen Grüßen
Birgit S.
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Frage an Frau Göring-Eckardt, die ich auf ihre Bitte hin gern beantworten will. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich zu dem konkreten Fall auf der Basis Ihrer Schilderungen wenig sagen kann. Ich kann aber Ärger angesichts von so wenig Zuverlässigkeit sehr gut verstehen. Ich will deshalb auf ihre Fragen am Ende näher eingehen.
Im Grundgesetz ist in Artikel 1 der Schutz der Menschenwürde verankert. Dieser Schutz hat damit überragende Bedeutung als Wert in unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung und als tragendes Verfassungsprinzip. Der Staat wird in allen Aspekten seines Handelns an diesen Schutz der Menschenwürde gebunden. Zuerst kommt der Mensch, dann der Staat. Er ist für die Menschen da.
Diesem Gedanken folgt eine weitere Festlegung in Artikel 20 des Grundgesetzes. Dort wird festgelegt, dass die Bundesrepublik Deutschland "ein demokratischer und sozialer Bundestaat" ist. Der Staat hat sich also auch um soziale Sicherung und soziale Gerechtigkeit zu kümmern. Kurzum: Hier liegt die Begründung für die Sozialpolitik unseres Landes.
In seinem Urteil zu den Regelleistungen nach SGB II (Hartz IV-Gesetz) entschied das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind."
Anders ausgedrückt: Aus den beiden Normen des Grundgesetztes ergibt sich ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und die Verpflichtung des Staates, dieses zu gewährleisten.
Über die Höhe des Existenzminimums wird dabei keine Aussage getroffen, dass ist Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Debatte. Es muss aber nicht nur die Existenz, das Leben materiell absichern, sondern auch ein Mindestmaß an Teilhabe an gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglichen. Dazu zählt eben nicht nur der reine Lebensunterhalt, sondern auch Miete, Möbel, Heizung, Tickets für den ÖPNV oder Eintrittskarten fürs Kino oder Theater. Da es sich hierbei um ein Grundrecht handelt, ist es auch nicht an Bedingungen oder konkrete Gegenleistungen geknüpft.
Bei der Einführung von Hartz IV wurde ein Mindestmaß an Kooperation zum Prinzip erhoben. Hilfsbedürftige Menschen erhalten diese staatliche Unterstützung, verpflichten sich aber auch dazu, möglichst schnell davon unabhängig zu werden. Erhebungen zeigen aber, dass dabei verhängte Sanktionen nicht wirken. Etwa 80% der Sanktionen werden wegen Meldeversäumnissen verhängt, also weil ein Termin verpasst wurde. Nur 10% werden verhängt, weil sich jemand weigert, eine Arbeit anzunehmen oder weiter auszuführen. Zudem haben Juristen erhebliche Zweifel, ob Kürzungen beim ALG II mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird in diesem Jahr erwartet.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt