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Katrin Göring-Eckardt
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Frage von Heidrun H. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Heidrun H. bezüglich Kultur

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

in Bezug auf Ihren Gastkommentar für den "Tagesspiegel" vom 18.5.2011 zur "Kultur des Weniger" sind mir noch ein paar Fragen mehr eingefallen, deren Beantwortung mir helfen könnte, Ihr Anliegen zu verstehen:

1. Was macht das "gute Leben" aus, von dem Sie offenbar annehmen, dass es sich nur die Gutverdienenden leisten können? Und wie kommt diese Annahme logisch mit dem Umstand in Deckung, dass "gutes Leben" auf der "Kultur des Weniger" beruhen sollte?
2. Wie stellen Sie sich den Zusammenhang zwischen einer "Kultur des Weniger" und dem Versprechen von mehr Freiheit konkret vor?
3. Passt es zu Ihrem Freiheitsbegriff, Menschen zum Beispiel in ihren Wahlmöglichkeiten als Konsument oder in ihrer Beweglichkeit vorsätzlich einzuschränken? Wenn ja: Wo kommen die Maßstäbe für die Zulässigkeit von Einschränkungen für den Einzelnen her und wie sollen dafür Grenzen bestimmt werden?
4. Wie stehen Sie zu der These, Freiheit sei die Einsicht in die Notwendigkeit?
5. Welche Änderungen der Produktionsverhältnisse und welche politisch-institutionellen Rahmenbedingungen stellen Sie sich als ideal für eine "Kultur des Weniger" vor?

Und ein letzte Frage: Wie verträgt sich die "Kultur des Weniger" mit dem Umstand, dass Sie als Präsidentin des Evangelischen Kirchtages in Dresden dafür gesorgt haben, dass es sich – nach Ihrer eigenen Aussage - um den bisher größten seiner Art gehandelt hat?

Mit freundlichen Grüßen

Heidrun Hüller

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Hüller,

zu Ihren weiteren fünf Fragen:

1. Ich argumentiere in meinem Kommentar eben gerade nicht dafür, dass ein gutes Leben nur für Gutverdienende erschwinglich sein sollte. Es geht mir ja gerade um die Abkehr von einer Haltung, die Glück nur im materiellen Wohlstand findet. Wie in meiner vorherigen Antwort schon geschrieben gehört zu einem „guten Leben“ vielmehr Zeit für soziale Kontakte, Familie und Freunde, Hobbys und Genuss.

2. Freiheit heißt in diesem Zusammenhang nicht nur in einem Produktions- und Wachstumsdiktat unterworfen zu sein, sondern Freiheit, auch nichtmateriellen Ideen und Werten folgen zu können. Kurz: Nicht rund um die Uhr arbeiten müssen, sondern auch mal Freiheit im Sinne von Freizeit zu haben. Einem Diktat des Geldes und des ständigen Wachstums unterworfen zu sein ist für mich keine Freiheit.

3. Nein, das passt nicht zu meinem Freiheitsbegriff, und das habe ich auch nicht geschrieben. Es geht gerade darum, die Einschränkungen für den einzelnen aufzuheben. Es bleibt jedem unbenommen, nach materiellem Wachstum zu streben, wenn er das will. Man sollte das aber nicht müssen.

4. Es kommt immer darauf an, was als Notwendigkeit angesehen oder definiert wird. Und das kann durchaus von Mensch zu Mensch variieren. Darin liegt die Freiheit.

5. Es geht, auch das steht in dem Kommentar, eben nicht um die Veränderung der politisch-institutionellen Rahmenbedingungen, sonder um einen gesellschaftlichen Diskurs. Solche Veränderungen können eben nicht von „oben“, also der Politik verordnet werden sondern nur im Rahmen eines kulturellen Wertewandels erfolgen. Und es scheint, dass dieser für viele Menschen bereits begonnen hat, sogar gegen die derzeitige Politik, die immer noch einseitig auf reines Wirtschaftswachstum setzt. Warum sonst sollten die Menschen in Deutschland trotz boomender Wirtschaft unzufrieden sein mit der Regierung? Meine Antwort ist, dass ihnen das gar nicht mehr so wichtig ist, gerade angesichts des bereits erreichten Wohlstands. Immer mehr macht irgendwann eben nicht mehr immer glücklicher.

Zu Ihrer letzten Frage: Das Interesse der Menschen an Kirche und am Kirchentag steigt, und das ist eine gute Nachricht. Selbstverständlich habe ich als Kirchentagspräsidentin nicht dafür zu sorgen, dass der Kirchentag schrumpft, sondern möglichst vielen Menschen offen steht. Aber der Vergleich hinkt ohnehin, denn hier ging es ja nicht um materielle Steigerung des Wirtschaftswachstums, sondern um ein großes, gemeinsames Fest der Gläubigen und Interessierten.

Mit freundlichen Grüßen
Katrin Göring-Eckardt

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