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Katrin Göring-Eckardt
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Frage von Heidrun H. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Heidrun H. bezüglich Kultur

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

in einem Gastkommentar für den "Tagesspiegel" vom 18.5.2011 sprechen Sie sich für die Diskussion über eine aus Ihrer Sicht offenbar wünschenswerte "Kultur des Weniger" aus. Sie stellen diese Kultur einem von Ihnen wohl eher als schädlich empfundenen Bemühen um wirtschaftliches Wachstum entgegen.

Am Anfang einer Diskussion stehen meist Fragen. Mit Bezug auf Ihren Kommentar frage ich Sie:

1. Auf welche Weise sorgt ausbleibendes Wirtschaftswachstum für ein "besseres Leben"?
2. Welcher Kulturbegriff liegt Ihren Ausführungen zu Grunde? Ist die menschliche Produktion materieller Güter nicht Ausdruck kulturellen Fortschritts?
3. Wie darf man sich die (aus Ihrer Sicht offenbar wünschenswerte) Produktion von Kulturgütern ohne oder mit zumindest schwindender materieller Basis vorstellen?
4. Wird die solidarische Gesellschaft sich weniger konfliktreich einrichten lassen, wenn es für alle weniger zu verteilen gibt?
5. Inwiefern trägt ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt dazu bei, besser miteinander umzugehen?

Mit freundlichen Grüßen

Heidrun Hüller

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Hüller,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Vielleicht vorne weg: Es geht mir nicht um „ausbleibendes Wachstum“, sondern zunächst um eine Diskussion über die Frage, inwieweit Wachstum einzige Voraussetzung für ein gutes Leben ist. Diese Diskussion gibt es bereits, und ich will, dass sie auf breiter Ebene geführt wird.

Damit gleich zu Ihrer ersten Frage: Ein „besseres Leben“ ist meiner Ansicht nach nicht unverrückbar an Wirtschaftswachstum gebunden. Immer nur mehr (in der Tasche) zu haben, macht auf Dauer nicht glücklich. Dies hat - ganz aktuell - wieder einmal eine Studie des Roman-Herzog-Instituts dargestellt („Wie viel Familie verträgt die moderne Gesellschaft“, 2011, kostenlos über das Institut zu beziehen). Trotz wachsendem Wohlstands in Deutschland stagniert die Zufriedenheit der Menschen seit den 1990er Jahren - in Westdeutschland ist sie seit den 80ern sogar gesunken! Das gilt auch für andere untersuchte Länder wie die USA oder die Schweiz. Das ist ein doch ein Hinweis darauf, dass man sich mal fragen sollte, woran es liegt, dass Wachstum und Wohlbefinden nicht direkt zusammenhängen. Darum geht es mir.
Für das Wohlbefinden scheinen mir auch andere Werte als wirtschaftlicher Erfolg eine Rolle zu spielen: Freizeit, Zeit für Familie, Freunde und Hobbys, Teilhabe an Kultur und Genuss. Eine weitere Arbeitsverdichtung und Druck am Arbeitsplatz, welche oft mit Wachstumszwängen begründet werden, stehen dem oft entgegen. Und viele Menschen sind nicht mehr bereit, für (noch) mehr ökonomischen Erfolg diese Faktoren eines guten Lebens zu opfern.

Damit ist Ihre zweite Frage im Prinzip mit beantwortet, die nach dem Kulturbegriff. Sie haben Recht, dass Produktion materieller Güter Ausdruck kulturellen Fortschritts ist, aber sie ist bei Weitem nicht der einzige Aspekt von menschlicher Kultur (oder Lebensqualität).

zu 3.) Die Produktion von Kulturgütern ist nicht Abhängig von dem heutigen Wohlstandsniveau, das zeigt der Blick in die Geschichte oder in andere Länder mit einem geringeren Wohlstand. Übrigens bin ich nicht gegen Wohlstand, aber die Reproduktion von Wohlstand unter Bedingungen, die keinen Raum mehr für Kultur lassen, die lehne ich ab.

Zu 4.) Die Solidarität einer Gesellschaft hängt nicht davon ab, wie viel zu verteilen ist, sondern wie der jeweils vorhandene Wohlstand verteilt wird und ob dies als gerecht empfunden wird.

Zu 5.) Es ist nicht das schrumpfende BIP an sich, dass die Lebensqualität steigert, sondern die Frage, wie dieses BIP erwirtschaftet wird und was das für die Menschen bedeutet. Wenn die Menschen unter den gegebenen Bedingungen nicht Zufrieden sind, so sollte man die Bedingungen ändern. Natürlich muss weiterhin gearbeitet und gewirtschaftet werden, aber die Frage ist, auf welchem Niveau und mit welchem Ziel: Steigerung des Wachstums oder Steigerung der Lebensqualität? Ich sehe da, wie immer mehr Menschen in diesem Land, langsam einen Widerspruch. Das wird übrigens sehr gut dargestellt in einer weiteren aktuellen Publikation von Petra Pinzler: „Immer mehr ist nicht genug“; München, 2011, ISBN 978 570 55163, erscheint dieser Tage.

Mit freundlichen Grüßen
Katrin Göring-Eckardt

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