Frage an Katja Kipping von Martin R. bezüglich Gesundheit
Wie stehen Sie zu dem Problem der fehlenden medizinischen Versorgung von Patienten mit ME/CFS (G. 93.3)?. Trotz etwa 250.000 ME/CFS-Kranken gibt es de facto keinen Zugang zu einem Minimum an ärztlicher Versorgung. Die meisten Ärzte kennen diese Erkrankung nicht und können diese nicht diagnostizieren. Dies führt zu einer hohen Dunkelziffer mit gefährlichen Konsequenzen für die Erkrankten. Trotzer eindeutiger Faktenlage (laut US-Gesundheitsbehörden wie dem Centers for Disease Control and Prevention) überwiegt in Deutschland der Irrglaube, es handle sich um eine psychische Erkrankung und es werden schädigende Therapien empfohlen (Bewegungstherapie, aktivierende Psychopharmaka). Im Extremfall kann Belastung zu langfristiger Schädigung führen (u.a. Prof. Scheibenbogen, Charité).
In den 4 Jahren meiner Erkrankung habe ich noch keinen Arzt mit minimalen Kenntnissen getroffen. Während Infekte und ständige Grippesymptome die ersten Jahre prägten, kann ich mittlerweile kaum mehr laufen und benötige ständig Opioide.
Wie kann sowas in Deutschland passieren? Wieso reagieren andere Staaten auf den Forschungsstand. Die norwegische Premierministerin hat sich öffentlich entschuldigt und Besserung gelobt.
Wer kontrolliert die Ärzte bzw. deren Fachgesellschaften? Mir ist bekannt dass die Präsidentin der DEGAM absichtlich wichtige Studien ignoriert hat um ihre merkwürdige Leitlinie durchzuboxen.
Wieso gibt es kaum Forschungsgelder? Trotz eines wirtschaftlichen Schadens in zweistelliger Milliardenhöhe (US-Gesundheitsbehörde) und einem unendlichen Leid für uns und unseren Familien ist der Forschungsetat lächerlich.
Sehr geehrter Herr Rückgauer,
vielen Dank für Ihre Frage. Bitte entschuldigen Sie die späte Antwort - da dies nicht zu meinem Fachgebiet gehört, musste ich mich erst mit den Fachreferent*innen meiner Fraktion beraten. Dies ist unsere Position dazu:
Das chronische Erschöpfungssysndrom CFS bzw. Myalgische Enzephalomyelitis ME ist seit langen als Erkrankung anerkannt.
Die Politik kann und muss Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass eine bestmögliche Behandlung erfolgt, eine bedarfsorientierte Forschung stattfindet und dass Menschen nicht aufgrund einer Erkrankung stigmatisiert oder diskriminiert werden. Selbstverständlich gibt es Erkrankungen, für die trotz Forschung noch keine wirksame Therapiemethode gefunden wurde. Wir sehen aber auch grundsätzliche Probleme in der Ausgestaltung der Pharmaforschung, die eine Ausrichtung am Gemeinwohl verhindern.
Die Entscheidung, welche Wirkstoffe zur Marktreife gebracht werden, liegt momentan allein bei der Pharmaindustrie. Das hat zur Folge, dass sich die Forschung vor allem an dem zu erwartenden Gewinn orientiert. Erkrankungen, mit deren Behandlung sich nicht ausreichend Profit erwirtschaften lässt, werden da oft vernachlässigt. Der Schlüssel für gute neue Arzneimittel ist eine bedarfsorientierte und unabhängige Pharmaforschung. Dafür beantragen wir, jährlich 500.000 Euro aus dem Bundeshaushalt zu verwenden, um die nichtkommerzielle Pharmaforschung voran zu bringen. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen hinterfragen, warum nicht diejenigen die Forschung gestalten, die sie letztlich finanzieren: die Beitrags- und Steuerzahlerinnen und -zahler. Deshalb wollen wir eine öffentlich finanzierte Arzneimittelentwicklung, die am Gemeinwohl ausgerichtet ist und aus der keine exorbitanten Profite der Pharmaindustrie erwirtschaftet werden.
Niemand kann versprechen, dass CFS so in absehbarer Zeit behandelbar wird. Aber wir sehen nur so eine Chance, dass tatsächlich im Interesse der Betroffenen geforscht wird und die daraus entstehenden Therapeutika auch für die sozialen Sicherungssysteme finanzierbar sind. Hier müssen mindestens die Staaten der EU zusammenarbeiten. Wir begrüßen die neueren Erkenntnisse, mit denen CFS besser verstanden wird und mit denen sich bei entsprechender hoffentlich bald eine wirksame Behandlung zur Verfügung steht.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen unsere Position dazu veranschaulichen. Ihnen wünsche ich alles Gute.
Freundliche Grüße
Katja Kipping