Frage an Katja Dörner von Axel V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dörner,
hinsichtlich der Verhandlungen zu TTIP würde ich gerne wissen, ob Sie den Leseraum zur Sichtung der konsolidierten Verhandlungstexte aufsuchen werden?
Darüber hinaus wäre ich dankbar für einen kurzen Kommentar zu der bereits seit einiger Zeit geäußerten Kritik des Nobelpreisträgers Joseph E. Stiglitz, so aktuell in einem Interview: [...]Vor allem, weil es ja im Kern gar kein Handelsabkommen ist sondern eher der Versuch, amerikanische Regeln aus dem Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutz auf Europa zu übertragen. [...]" ( http://www.wiwo.de/politik/europa/joseph-stiglitz-gefahren-von-ttip-werden-in-deutschland-unterschaetzt/12868460-2.html ).
Mit freundlichen Grüßen
A. Voos
Sehr geehrter Herr Voss,
vielen Dank für Ihre Frage zu meiner Haltung zu den TTIP Verhandlungen.
Handel ist nicht nur ein Eckpfeiler für eine florierende Wirtschaft. Handel über Grenzen hinaus leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Austausch zwischen Menschen und Kulturen. Die grüne Bundestagsfraktion begrüßt deshalb grundsätzlich Initiativen zur Vertiefung der Handelsbeziehungen. Die Finanz- und Bankenkrisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass international vereinbarte Standards und stärkere Kontrollmechanismen dringend nötig sind.
Vertiefte Partnerschaften müssen dabei aber anstreben, soziale und ökologische Standards zu stärken und auch für den Klimaschutz positive Impulse zu setzen – und eben nicht allein wirtschaftlichen Erfolg und Deregulierung zum Ziel erheben. Die EU und Deutschland sollten deshalb auch nur Vereinbarungen eingehen, die neben wirtschaftlichen Vorteilen vor allem den Verbraucher- und Umweltschutz verbessern und soziale und Datenschutz-Standards sichern und dies möglichst, ohne die globale Perspektive aus den Augen zu verlieren indem bspw. Entwicklungsländer durch bilaterale Verträge wie TTIP Schaden nehmen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass TTIP sehr viel mehr sein soll als ein reines Handelsabkommen. Denn der Handel zwischen den USA und der EU floriert seit Jahren, ganz ohne TTIP. Die Märkte der USA und der EU sind bereits sehr offen. Unternehmen von beiden Seiten des Atlantiks investieren schon jetzt Milliardensummen auf der jeweils anderen Seite. Die Einfuhrzölle sind bereits niedrig, liegen bei etwa vier Prozent im Schnitt. Sicher gibt es einzelne Wirtschaftszweige, für die Zölle noch ein Problem darstellen – das ist aber eher eine Randerscheinung und auch ohne einen solch umfassenden Vertrag lösbar.
In den Verhandlungen zu TTIP geht es deshalb auch nur zu einem kleinen Teil um Zölle oder die Schaffung von Marktzugängen. Der Kern der Verhandlungen ist ein anderer: Verhandelt wird die Angleichung von bestehenden Standards und die Möglichkeit von Angleichungen in der Zukunft. Während die EU-Kommission beteuert, dass dadurch keine Standards untergraben werden, gibt es immer mehr Hinweise, die zeigen: Unser Misstrauen ist gerechtfertigt. Und die Sorge ist begründet, dass Handelsabkommen wie TTIP eine Hintertür dafür werden sollen, um soziale und ökologische Standards zulasten des Gemeinwohls abzusenken.
Die Verhandlungen laufen seit Mitte 2013 und sind lange Zeit fast unter komplettem Ausschluss der Öffentlichkeit geführt worden. Wir haben das von Anfang an kritisiert und echte Transparenz eingefordert. Erst nach massivem Protest hat sich die EU Kommission dazu durchringen können, ihr Mandat für TTIP im November 2014 zu veröffentlichen. Anfang Januar 2015 schließlich wurden weitere Unterlagen von der EU-Kommission zur Verfügung gestellt. Das zeigt, dass der öffentliche Druck wirkt. Es reicht aber nicht, nur die Ausgangspositionen der EU öffentlich zu machen. BürgerInnen und Parlamente müssen auch nachvollziehen können, was in den Verhandlungen passiert. Deshalb fordern wir, dass regelmäßig öffentlich über Zwischenstände aus den Verhandlungen informiert wird und diese mit der Öffentlichkeit auch diskutiert werden. Nur so kann echt Transparenz entstehen. Bisher ist die Lage nach wie vor nicht zufriedenstellend.
Ein Abkommen mit den USA könnte die Chance bieten, in vielen Bereichen dringend nötige Fortschritte zu erzielen. Leider fehlen eine ganze Reihe solcher Themen in TTIP. So spielt etwa die Stärkung der Rechte von ArbeitnehmerInnen keine große Rolle. Genauso ist nicht nachvollziehbar, dass die Auswirkungen auf Entwicklungsländer und Drittstaaten in der Diskussion bisher fast völlig ignoriert werden. Das ist schlicht inakzeptabel. Vor allem aber fehlt mit dem Klimaschutz eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit in den Plänen zu TTIP. Die Diskussionen zu Thema Energie befassen sich bisher fast ausschließlich mit fossilen Brennstoffen, anstatt über konkrete Pläne zur Stärkung der Erneuerbaren Energien zu reden. Damit vergibt TTIP riesige Chancen und ist in vielen Fragen das Gegenteil von dem, was eigentlich gebraucht wird.
Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lassen sich nur gemeinsam lösen. Handelsabkommen können ein Weg sein, daran zu arbeiten – wenn sie die richtigen Schwerpunkte setzen und Staaten nicht gegeneinander ausspielen. All das hat TTIP auch fast zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen nicht erkennen lassen. Im Gegenteil, je mehr über die Pläne bekannt wird, desto größer wird die Kritik. Auch wir sind der Meinung, dass die negativen Folgen und Gefahren die möglichen Gewinne von TTIP bei weitem übersteigen – und lehnen das Abkommen in seiner derzeitigen Form deshalb ab.
Obwohl die Regularien für eine Einsichtnahme im Leseraum der Wirtschaftsministeriums abstrus sind, plane ich, mir selbst einen Einblick zu verschaffen. Besonderes Augenmerk habe ich dabei auf die Themen Kultur und Medien.
Freundliche Grüße
Katja Dörner