Frage an Katja Dörner von Gordon Z. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrte Frau Dönerr
Ich habe auf ihrer Hompage gelesen, das sie den Umgang der Bundeswehr mit "Minderjährigen" (in welchen Zusammenhang) missbiligen. Ich würde daher gerne Wissen ob sie mir hierfür ein Komkretes Beispiel nennen können. Sie sagen die Jugendlichen würden für Themen wie Gewalt, Verwunung und Seelische Traumata nicht genug Sensibilisiert, andereits Sagen sie das es beim Beratungsgespräch doch noch erwähnt wird? Wie ist das jetzt zu verstehen? Wie sollte ihrer Meinung nach die Bundeswehr sonst um Nachwuchs werben?
MfG
Gordon Züchter
Sehr geehrter Herr Züchter,
vielen Dank für Ihre Frage nach meiner Haltung zur Nachwuchswerbung der Bundeswehr an öffentlichen Schulen.
Ich bin aus folgenden Gründen der Meinung, dass die Bundeswehr an Schulen keine Nachwuchswerbung betreiben soll.
Im politischen und sozialkundlichen Schulunterricht spielen die Bundeswehr und ihre Aufgaben im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik früher oder später eine Rolle. Umstritten ist, ob in diesem Kontext auch Besuche von Vertreterinnen und Vertretern der Bundeswehr an Schulen stattfinden sollten. Viele Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräften, Friedensorganisationen oder Nicht-Regierungsorganisationen kritisieren, dass eine aktive Rolle der Bundeswehr an der Schule im Widerspruch zum Ziel der Erziehung zum Frieden steht. Diese und andere Bedenken nehmen ich sehr ernst. Um unausgewogene Settings von vorne herein zu vermeiden, sollte ein Besuch von Bundeswehrvertreterinnen und -vertretern an Schulen keinesfalls einfach „von oben verordnet“ werden, sondern in einem offenen Diskurs mit Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften besprochen werden. Die Meinungen der Schülerinnen und Schüler und Eltern müssen bei der Entscheidung berücksichtigt werden.
Ethische und politische Themen sind in der Schule nicht ohne Grund besonderen Rahmenbedingungen unterworfen. Staatliche Bildungseinrichtungen sind besonders zur Ausgewogenheit verpflichtet und müssen die Meinungsvielfalt respektieren. Auch Bundeswehrvertreterinnen und -vertreter müssen sich an entsprechende Regeln für den Unterricht halten, wenn sie an Schulen auftreten. Hier ist zuallererst der Beutelsbacher Konsens zu nennen, eine Vereinbarung, durch die in den 70er Jahren Grundsätze für die politische Bildung gefasst worden sind. Demnach sollen sich alle Unterrichtsangebote der politischen Bildung an drei Prinzipien orientieren: dem Überwältigungsverbot, dem Gebot der Kontroversität und der Orientierung an den Interessen der Schülerinnen und Schüler.
Die Umsetzung dieser Prinzipien lässt nur die kritische Diskussion als Format zu. Wenngleich Schülerinnen und Schüler durchaus oft in der Lage sind, Aussagen kritisch zu hinterfragen, halten ich einen reinen Dialog zwischen Bundeswehrangehörigen und Schülerinnen und Schülern dennoch nicht für das geeignete Format. Auch auf dem Podium einer solchen Runde muss die Meinungsvielfalt vertreten sein. Diskussionen mit Bundeswehrangehörigen an Schulen sollten daher gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern einer zivilgesellschaftlichen Institution stattfinden, um divergierende und kontroverse Positionen darzustellen. Auch über Veranstaltungen unter Beteiligung der Bundeswehr, die nicht im Rahmen des Unterrichts und ggf. schulöffentlich stattfinden, müssen die Eltern im Vorfeld informiert sein. Die Teilnahme für Schülerinnen und Schüler muss freiwillig sein.
Garant für die Einhaltung solcher Rahmenbedingungen sind allerdings in erster Linie die Schulen selbst. Bundeswehrangehörige kommen nur auf Einladung an die Schulen. Lehrkräfte sind aufgefordert, auf die ausgewogene Behandlung dieser Thematik zu achten. Auch ist der Besuch von Jugendoffizieren kein Ersatz für eine eigene Unterrichtsvorbereitung.
In den vergangenen Jahren wurden in der Hälfte der Bundesländer Kooperationsvereinbarungen zwischen Schul- bzw. Bildungsministerien und der Bundeswehr über Besuche an Schulen getroffen. Ich halten solche Kooperationsvereinbarungen nicht für zielführend, da sie den Schulen suggerieren, dass sie die Angebote der Jugendoffiziere in jedem Fall annehmen sollten. Wenn derartige Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen werden, müssen sie auch die Rahmenbedingungen und Grenzen von Besuchen von BundeswehrvertreterInnen an Schulen festhalten.
Bereits als die Wehrpflicht noch bestand, haben ich Grünen gefordert, dass der Staat neben dem Wehrdienst auch gleichberechtigt über die Optionen des Zivildienstes informieren muss. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht gilt dies gleichermaßen. Auch der gleichberechtigte Zugang von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen für eine ganzheitliche friedens- und sicherheitspolitische Aufklärung muss gewährleistet werden, wie ihn auch schon Mitglieder des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit des Deutschen Bundestages in einem Schreiben an die Kulturministerkonferenz im Sommer 2011 angeregt haben. Neben der Verpflichtung auf die oben angesprochenen Regeln ist eine Selbstverpflichtung der Bundeswehr, möglichst in Begleitung von Vertreterinnen und Vertretern der friedenspolitischen Organisationen an die Schulen zu gehen, Voraussetzung für eine kritische Diskussion. Funktionieren kann eine solche Selbstverpflichtung allerdings nur, wenn für diese ReferentInnen finanzielle Mittel für Fahrtkosten und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stehen. Nordrhein-Westfalen hat vorgemacht, dass solche Mittel auch im Landeshaushalt verankert werden können. Von der Bundeswehr erwarten ich, dass sie sich solchen Bestrebungen der Bundesländer nicht versperrt.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Dörner