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Kathrin Vogler
DIE LINKE
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Frage von Norbert S. •

Soziale Gerechtigkeit Die Linke will eine ausbeutungsfreie Gesellschaft, welche sie demokrat. Sozialismus nennt. Haben sie eine Begriffsdefinition von Ausbeutung und von deren Größen für Deutschl.?

Es gibt bisher von Seiten der Linken keine Begriffsdefinition von Ausbeutung und auch keine Aufstellung wie viel Ausbeutung es gibt.
Wie will die Linke zur einer ausbeutungsfreien Gesellschaft bzw. politischen Mehrheiten dafür kommen, wenn sie den Menschen nicht erklären kann, was sie davon haben bzw. was es konkret für Deutschland bedeutet?
Wie viel Geld geht den Menschen verloren, welche Arbeits- und Lebenszeit müssen die Menschen dafür aufwenden? Wie hoch ist der Resourcenverbrauch dafür?
Wieso kommt in Wahlprogrammen von Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen die Begriffe Ausbeutung und Umverteilung nicht vor, obwohl dies ja in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jeden Landkreis und in jeden Bundesland tagtäglich stattfindet?

Wie ist ihre Einschätzung dazu?
Für mich sind z.B. „leistungslose Einkommen“ Ausbeutung, weil der erzielte Gewinn/Reichtumszuwachs ohne persönliches Risiko bzw. eigene Arbeit entsteht.
Monopolgewinne/Ausbeutung z.B. d. Immobilien- und Bodenspekulation u.v.a.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr S.,

herzlichen Dank für Ihre Fragen und Anmerkungen; hier meine Anmerkungen dazu:

 

1. Die klassische Definition: Friedrich Engels erklärt das Marxsche Prinzip von Ausbeutung (http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_235.htm): „Der Kapitalist stellt seinen Arbeiter nun an die Arbeit. In einer bestimmten Zeit wird der Arbeiter so viel Arbeit geliefert haben, als in seinem Wochenlohn repräsentiert war. Gesetzt, der Wochenlohn eines Arbeiters repräsentiere drei Arbeitstage, so hat der Arbeiter, der montags anfängt, am Mittwochabend dem Kapitalisten den vollen Wert des gezahlten Lohnes ersetzt. Hört er dann aber auf zu arbeiten? Keineswegs. Der Kapitalist hat seine Wochenarbeit gekauft, und der Arbeiter muss die drei letzten Wochentage auch noch arbeiten. Diese Mehrarbeit des Arbeiters, über die zur Ersetzung seines Lohnes nötige Zeit hinaus, ist die Quelle des Mehrwerts, des Profits, der stets wachsenden Anschwellung des Kapitals.“

D.h. für die Generierung des „Mehrwerts, des Profits“ wird die Arbeitskraft und die Lebenszeit der Arbeiter*innen über das, was seinen Lohn, die „Kosten seiner Arbeit“ ausmacht hinaus abgeschöpft.

 

2. Das modernisierte Verständnis vom Widerstand gegen die Ausbeutung unter kapitalistischen Verhältnissen im Erfurter Programm der Partei DIE LINKE von 2011 (https://www.die-linke.de/partei/programm/, hier findet sich der Begriff „Ausbeutung“ 18 mal, „Umverteilung“ 11 mal): „Auch wenn die Arbeitsverhältnisse und Tätigkeiten sehr differenziert sind, so ergibt sich doch die gemeinsame Klassenlage aus dem allgemeinen Charakter der Lohnarbeit mit ihrer Abhängigkeit vom Kapital. Die Lohnabhängigen haben das gemeinsame Interesse, ihre Einkommen, Arbeitsbedingungen und ihre soziale Absicherung durch betriebliche, tarifliche und gesetzliche Regelungen zu verbessern und so die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung zu beschränken.“

 

3. Die Realität: Das Ausmaß der Ausbeutung in Deutschland wird deutlich, wenn man sich die vielen prekären Beschäftigungsverhältnisse bundesweit ansieht. Hier einige Beispiele:

  • Für 2021 wurde ermittelt, dass in Deutschland 8,6 % aller Erwerbstätigen ab 18 Jahren unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze leben (= weniger als 60 % des bundesdurchschnittlichen Einkommens); besonders betroffen waren hier Erwerbstätige mit befristeten Arbeitsverträgen (13,9 %) und Teilzeitarbeitende (11,5 %); Besonders betroffen sind arbeitende Frauen: Der Paritätische Wohlfahrtsverband gibt an, dass 2021 17,5 % der Arbeitnehmerinnen in Deutschland als armutsgefährdet galten (Männer 15,7 Prozent); 4,3 Mio. Frauen waren 2012 geringfügig beschäftigt (Männer 3,1 Mio.); 44 % der Frauen haben ein Einkommen von unter 1.000 Euro netto (Männer 20%) (https://data.wdr.de/arm-trotz-arbeit/)
  • Aktuell: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für Oktober 2022 verdienen von etwa 39,8 Millionen Menschen in Beschäftigtenverhältnissen rund 9,3 Millionen (23,35 Prozent) weniger als 14 Euro brutto in der Stunde. Auszubildende sind nicht mitgerechnet. 14,8 Prozent der Erwerbstätigen erhalten nur den Mindestlohn von 12 Euro die Stunde. Dieser soll nach Beschluss der Mindestlohnkommission im kommenden Januar trotz der weiter steigenden Lebenshaltungskosten lediglich um 41 Cent auf 12,41 Euro und im Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen. (https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/armut-deutschland-hat-ein-deutlich-zu-niedriges-lohnniveau/)
  • Amazon: „sogenannte Flex-Zusteller (müssen) Paketmengen ausfahren .., die "überhaupt nicht zu bewältigen" seien. Fahrer erhielten teilweise pauschale Tagessätze von 75 Euro, müssten dafür aber von acht Uhr morgens bis in den frühen Abend hinein schuften. Wenn sie krank sind oder Urlaub nehmen, erhielten sie kein Geld. (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/paket-verdi-zusteller-gewerkschaft-1.5485097)
  • Studentische Hilfskräfte: „39 Prozent der Befragten gaben demnach an, monatlich unbezahlte Überstunden zu leisten. Etwa genauso viele sagten, sie hätten keine Urlaubstage. Fast 17 Prozent arbeiteten unbezahlt bereits vor Vertragsbeginn oder über die Vertragsdauer hinaus, für im Schnitt mehr als einen Monat. Vertragslaufzeiten von einem halben Jahr seien - bis auf Berlin, als einzigem Bundesland mit einem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte - der Normalzustand, heißt es. „Studentische Beschäftigte arbeiten in Kettenverträgen.““ (https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitsbedingungen-grenzen-an-ausbeutung-studentische-hilfskrafte-leisten-laut-studie-oft-unbezahlte-uberstunden-9214575.html)
  • Saisonarbeit in der Landwirtschaft: „fehlende Sozial- und Krankenversicherung wegen kurzfristiger Beschäftigung, zu geringe Löhne, mangelhafte Unterkünfte sowie Verstöße gegen Infektionsschutzregeln und den Gesundheitsschutz“. (https://www.merkur.de/politik/ausbeutung-gewerkschaft-beklagt-rechtsverstoesse-bei-saisonarbeit-in-landwirtschaft-91069081.html)
  • Leiharbeit: In Vollzeit beschäftigte Leiharbeitende verdienten 2022 ein Medianentgelt in Höhe von 2.254 Euro, während das Medianentgelt aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten bei 3.646 Euro lag - ein Unterschied von 1.392 Euro oder 38,2 Prozent. Fast 60 Prozent der Leiharbeitskräfte arbeiten zu einem Niedriglohn – im Vergleich dazu sind es unter allen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten 16,5 Prozent. In der Branche Verkehr/Logistik bekommen sogar mehr als 80 Prozent der Leiharbeitskräfte ein Gehalt unter der OECD-Niedriglohnschwelle. (https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/leiharbeit-beschaeftigte-zweiter-klasse/)
  • Geflüchtete: „Manche Arbeitgeber wittern bei den ukrainischen Geflüchteten billige Arbeitskräfte. Mehrere wurden von einer Reinigungsfirma in niedersächsischen Hotels schwarz beschäftigt und um den Mindestlohn betrogen. Um sie vor Ausbeutung zu schützen, sind mehr staatliche Kontrollen und die Anerkennung von Berufsabschlüssen notwendig“. (https://niedersachsen.dgb.de/themen/++co++f86b4d96-cc66-11ec-b829-001a4a160123)
  • Pflege: „Überstunden, Überlastung und Stress sind Alltag in der Pflege. Schon seit mehreren Jahren sprechen kirchliche Verbände, die Pflegekammern der Ländern, Wohlfahrtsverbände und weitere Gruppen von einem Pflegenotstand. … Auch Wohlfahrtsverbände wie die Caritas in Leipzig fordern eine Steigerung der Anerkennung und Wertschätzung, eine Erweiterung des Personalschlüssels und angemessene Vergütung.“ (https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2023/05/die-pflege-macht-sich-stark-kundgebung-zum-internationalen-tag-der-pflege-533253)

 

Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag setzt sich ein für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Die Partei DIE LINKE tut das ebenfalls auf vielen Ebenen, in der Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben und in den Kommunen. Unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen tun wir alles, um die Beschäftigten dabei zu unterstützen, Einkommen, Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung durch betriebliche, tarifliche und gesetzliche Regelungen zu verbessern und so die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung zu beschränken.

Im April 2023 hieß es in LINKS, der Zeitung der Fraktion: „Die finanzielle Belastung durch die steigenden Preise für Wohnen, Heizen und Lebensmittel sind für immer mehr Menschen nicht mehr tragbar. Deswegen setzt sich die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag für spürbare Entlastung ein: Wir haben beantragt, dass die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ausgesetzt wird. Eine Preiskontrolle soll dabei sicherstellen, dass die Reduzierung an den Supermarktkassen an die Verbraucher weitergegeben wird. Um die steigenden Energiekosten aufzufangen, haben wir monatliche Zahlungen von mindestens 125 Euro pro Haushalt beantragt sowie eine Einmalzahlung von 200 Euro an alle armutsgefährdeten Menschen. Zusätzlich haben wir vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Erdgas, Strom und Fernwärme auf 7 Prozent zu reduzieren und den CO2-Preis für das Heizen vollständig an die Vermieter zu übertragen. Wir machen uns außerdem dafür stark, dass bei Menschen in Grundsicherung die tatsächlichen Energiekosten übernommen sowie Strom- und Gassperren für Privathaushalte verboten werden. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag setzt sich für die Verlängerung des 9-Euro-Tickets, ein sozial gerechtes Mobilitätsgeld, ein Energiegrundkontingent für alle Bürgerinnen und Bürger zu günstigen und stabilen Preisen sowie eine unbürokratische und schnelle Unterstützung für Studierende ein. Diese Maßnahmen würden die Menschen in diesem Land merklich entlasten – und wurden allesamt von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP im Bundestag abgelehnt. (https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/uns-trennt-ein-oben-und-unten-ein-arm-und-reich/)

In diesem Sinne und in der Hoffnung auf bessere und gerechtere Zeiten,

Kathrin Vogler

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