Frage an Katherina Reiche von Charles T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Reiche,
wie stehen Sie zu den Äußerungen Ihres Parteifreundes Schönbohm, Innenminister von Brandenburg, der in einem Interview zu den Babymorden sagte:
"Also keine Erklärung möglich?
Vielleicht doch. Die ländlich strukturierten Räume Ostdeutschlands sind stärker verproletarisiert als ein eher städtisch geprägtes Land wie Sachsen, wo ein Teil des Bürgertums die SED-Diktatur überlebt hat. Jetzt werden natürlich wieder viele sagen, der Wessi tritt uns Ossis ins Kreuz. Aber ich glaube, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ist für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft.
Was bedeutet „Proletarisierung“?
Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft durch die SED in den 50er Jahren ging der Verlust von Verantwortung für Eigentum einher, für das Schaffen von Werten. Das freie, selbstveranwortliche Bauerntum wurde vertrieben."
Da mit den Äußerungen von Herrn Schönbohm m.E. die innerdeutsche Integration einen schweren Schlag erlitten hat, wie er ja schon selbst richtig vermutet, habe ich mich für dieses Themengebiet entschieden.
Für eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Charles Taylor
Sehr geehrter Herr Taylor,
Herr Schönbohm hat sich für seine Äußerungen entschuldigt. Ich denke, dass für den grausamen Fall in Frankfurt keine singuläre Erklärung gibt. Da spielt Alkohol genauso eine Rolle wie Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit und Bindungslosigkeit, aber auch völlige Nichtbeachtung der Umwelt bis möglicherweise hin zu Dingen, die vor 1989 passiert sind und bis heute wirken. Ich glaube nicht, dass man daraus einen Punkt herausziehen und diesen verantwortlich machen kann. An der Debatte ist aber wichtig, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt über das Thema zweite Diktatur auf deutschem Boden reden werden. Ich wage den Vergleich, dass nach den 68ern die 89er kommen – eine Generation, die uns Fragen stellt nach dem Leben in der DDR und der Rolle, die die Eltern und Großeltern gespielt.
Mit freundlichen Grüßen
Katherina Reiche