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Katherina Reiche
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Frage von Silvan H. •

Frage an Katherina Reiche von Silvan H. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Reiche,

obwohl ich weiß, dass Ihre Fachkompetenzen in anderen Gebieten liegen, wende ich mich mit meiner Frage an Sie, da Ihre (vielleicht eher zuständige) Kollegin Voßhoff noch nicht geantwortet hat. Zudem kommen Sie aus meinem Wahlkreis Potsdam und sind mit der Beantwortung von Anfragen auf dieser Webseite dankenswerter Weise sehr aktiv. Natürlich freue ich mich über eine vielleicht nicht ganz fachkompetente Antwort auch deutlich mehr als über einen Verweis an "zuständige Stellen" oder gar keine Antwort.

Meine Frage bezieht sich auf die geplante Vorratsdatenspeicherung. Dem wohl noch recht frühen "Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/46/EG" vom 8.November 2006 entnehme ich, dass

"Anbieter von Mobilfunk- Telefondiensten (...) die Bezeichnung der durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen"

künftig aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für mindestens 6 Monate speichern und staatlichen Behörden bei Bedarf zugänglich machen sollen.

Praktisch würde das bedeuten, dass bei meinem Telefonverhalten nahezu lückenlos zurück verfolgt werden kann, *wann* ich mich im Laufe des letzten halben Jahres *wo* aufgehalten habe. Das gilt für mich genauso wie für alle anderen Menschen in diesem Land, die ein Handy benutzen.

Meine Fragen dazu betreffen drei verschiedene Ebenen:
* Halten Sie rational ein solches Verhalten des Staates gegenüber seinen Bürgern für angemessen?
* Glauben Sie, dass eine solche Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
* Könnten Sie die Zustimmung für ein solches Gesetz mit Ihrem eigenen Gewissen vereinbaren?

Ich freue mich auf Ihre Antwort,

Mit freundlichen Grüßen - Silvan Heintze

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Heintze,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Ich glaube, dass es wichtig ist, uns am Anfang der Debatte noch einmal klar zu machen, worum es den Befürwortern einer - wohlgemerkt: eingeschränkten - Vorratsdatenspeicherung geht und was den Anlass zu dem vorliegenden Antrag gegeben hat.

Ich möchte nur ein Beispiel von vielen Fällen anführen, in denen die Vorratsdatenspeicherung eine Rolle hätte spielen können. Anfang 2003 deckte die spanische Polizei ein Internetforum auf, in dem Bilddateien mit überwiegend kinderpornographischem Inhalt verbreitet wurden. Die Spur der Verantwortlichen führte nach Deutschland. Als sich die Polizei um die Daten der Tatbeteiligten bemühte, teilte ihr der Internetserviceprovider mit, dass keine gesetzliche Protokollierungspflicht hinsichtlich IP-Adresse und Nutzungszeitraum bestehe. Eine Identifizierung der Täter schied damit aus. Dies ist umso tragischer, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Forumsnutzer auch an Misshandlungen von Kindern beteiligt waren.

Dieses Beispiel ist, wie gesagt, nur eines von vielen. Zahlreiche Verbrechen nicht nur im Bereich des Kindesmissbrauchs, sondern etwa auch rechtsradikale Straftaten, Taten des organisierten Verbrechens und des internationalen Terrorismus hätten in Deutschland aufgeklärt werden können, wenn es bereits eine entsprechende Regelung, gegeben hätte.

Die Koalitionsfraktionen erkennen sehr wohl an, dass wir uns hier in einem schwierigen Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und Grundrechte befinden. Die Interessen des Bürgers, möglichst wenigen Eingriffen in die Privatsphäre ausgesetzt zu werden, stehen dem staatlichen Interesse an der Verfolgung von Kriminellen gegenüber.Wir sind uns bewusst, hier in Rechte der Bürger einzugreifen. Aber es sind eben keine Rechte, die die Verfassung vorbehaltlos gewährt. Einschränkungen sind möglich, solange sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

Bei einer ernsthaften Interessenabwägung darf man nicht bei dem vordergründigen Interessengegensatz Bürger/Staat stehen bleiben. Vielmehr muss man sich fragen, welches Gut auf der Seite des Staates steht. Hat denn nur der Staat als Institution ein Interesse an einer effektiven Strafverfolgung oder ist die Strafverfolgung nicht vielmehr ein Mittel zum Zweck, damit die Menschen in unserem Land in Sicherheit leben können?

Der Staat darf nicht tatenlos zusehen, wie seine Staatsbürger zu Opfern werden. In Wirklichkeit geht es also nicht nur um den Interessengegensatz Staat/Bürger, sondern auch um den zwischen dem Bürger als Opfer und dem Bürger als Täter. Wer dies ignoriert, betreibt Täterschutz auf Kosten von Opferschutz.

Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es lediglich um Verkehrsdaten und nicht um Daten, die über den Inhalt einer Kommunikation Auskunft geben. Es sind noch nicht einmal alle Verkehrsdaten, die von der Richtlinie erfasst werden, sondern es sind nur ausgewählte Daten, die für die Strafverfolgung unerlässlich sind. Das ist im Internet etwa die IP-Adresse; es sind aber nicht die aufgerufenen Internetseiten. Bei einem Telefonat sind das die Telefonnummer, die Verbindungsdauer und die Standortdaten zu Gesprächsbeginn, nicht aber der Inhalt des Gespräches. Erfolglose Telefonate und die Standortdaten im weiteren Verlauf eines Handygespräches im Auto sind von der Speicherungspflicht entbunden. Die angesprochenen Verkehrsdaten werden zum Teil schon heute gespeichert, wenn es sich um Daten handelt, die der Diensteanbieter aus abrechnungstechnischen Gründen braucht. Bei diesen Daten besteht für den Zeitraum der Abrechnung das Recht der Unternehmen, sie zu speichern.

Für die Staatsanwaltschaft und die Polizei beginnt damit in schöner Regelmäßigkeit ein Wettlauf mit der Zeit, um noch rechtzeitig an die benötigten Daten zu kommen. Die Tataufklärung wird damit zum Roulettespiel. Sie ist von der Zufälligkeit des Vertragsverhältnisses und der Organisation der internen Betriebsabläufe in dem jeweiligen Telekommunikationsunternehmen abhängig. Da, wo Pauschalvergütungen, so genannte Flatrates, mit dem Kunden vereinbart sind, ist der Täter nahezu optimal geschützt; denn Alternativen zu solchen Telekommunikationsdaten stehen den Strafverfolgungsbehörden oft gar nicht zur Verfügung. Die traurige Folge der gelöschten Daten ist daher oft die unaufgeklärte Tat. Das wollen und können wir nicht hinnehmen.

Wie schon mein kurzes Eingangsbeispiel gezeigt hat, macht Kriminalität heute längst nicht mehr vor Landesgrenzen Halt. Wir brauchen daher einen verlässlichen Rahmen in der Europäischen Union, der den Strafverfolgungsbehörden eine solide Grundlage für ihre Ermittlungen gibt. Daher sind nationale Alleingänge keine Lösung; vielmehr müssen in allen Ländern der EU Mindeststandards gelten. Dass die Mindeststandards ihren Namen auch verdient haben und die Europäische Union auf übertriebene und unverhältnismäßige Speichervorgaben, etwa bei den Fristen, verzichten wird, ist ganz entscheidend dem Einsatz unserer Justizministerin, Frau Zypries, geschuldet.

Die Bürger und die Unternehmer können sich darauf verlassen, dass wir die Vorgaben aus Brüssel nicht überschreiten werden. Getreu der in den Medien hinreichend oft genannten zentralen Devise der großen Koalition wollen wir auch diese Richtlinie nur eins zu eins umsetzen und nicht draufsatteln. In Deutschland wird die Speicherfrist daher nicht über sechs Monate ausgedehnt werden. Die Rückmeldungen aus der Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaften zeigen übrigens sehr deutlich, dass die Sechsmonatsfrist in aller Regel ausreichend ist, um die relevanten notwendigen Daten für die Ermittlung zu erhalten.

Mit der jetzt gefundenen Lösung, die unser Antrag widerspiegelt, können auch die betroffenen Unternehmen gut leben. Diese Akzeptanz können wir von den betroffenen Unternehmen aber nur dann erwarten, wenn zumindest die Kosten abgegolten werden, die bei einem konkreten Auskunftsverlangen der Behörde entstehen. Wenn ein Unternehmen Ermittlungshandlungen für Polizei und Staatsanwaltschaft durchführen muss, darf es nicht auf den Kosten sitzen bleiben.

Die Unternehmen erhalten somit einen finanziellen Ausgleich durch den Staat auf der einen Seite, auf der anderen Seite bleibt die Belastung im Vergleich zu anderen TK-Märkten auch innerhalb der Europäischen Union durch die Festlegung der Speicherungspflicht auf sechs Monate an der untersten Grenze.

Ich glaube aber, dass wir bei aller gebotenen Zurückhaltung bei europäischen Rechtsgrundlagen eine vertretbare Lösung gefunden haben. Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn diese Angelegenheit vom EuGH geprüft wird. Ich glaube schon, dass wir es durch die konstruktive Haltung, uns auf die Verhandlungen innerhalb der Richtliniendiskussion einzulassen, geschafft haben, die Frist von sechs Monaten zu erreichen, die schlimmsten Dinge abzuwehren und eine ausgewogene und vernünftige Lösung zu finden.

Speicherung mit Augenmaß - das ist unser Ziel. Interessengegensätze können und dürfen wir, die wir Regierungsverantwortung tragen, nicht einseitig auflösen.Wir müssen vielmehr einen vernünftigen, adäquaten und fairen Ausgleich finden, gerade auch im Interesse der Bürger in Deutschland und der Europäischen Union. Sie werden mit dieser Vorratsdatenspeicherung ein Stück sicherer leben.

Mit freundlichen Grüßen

Katherina Reiche