Frage an Katarina Barley von Birgit D. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrte Frau Barley,
das neu gebildete EU- Parlament hat sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten als neuen Kommissionspräsidenten einigen können. Warum machen Sie jetzt Wahlkampf gegen Frau von der Leyen? Wie sieht Ihre Lösung aus?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Bei der Abstimmung über die Spitze der Europäischen Kommission ging es um weit mehr als die Personalie Ursula von der Leyen. Bei dieser Entscheidung ging es um die Kräfteverteilung zwischen den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten einerseits und dem Parlament, das als einziges Organ der EU von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt wird, andererseits.
Die Personalfrage hat die öffentliche Diskussion jedoch überlagert. Ich kann gut nachvollziehen, dass die grundsätzlichen Erwägungen dahinter nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen haben. Daher möchte ich kurz darlegen, warum für uns SPD-Europaabgeordneten diese Abstimmung eine Weichenstellung dargestellt hat. Bisher hat sich die Europäische Union nur in eine Richtung entwickelt, sie wurde immer demokratischer. Man kann sich heute z.B. kaum noch vorstellen, dass die Abgeordneten ursprünglich nicht gewählt, sondern von den nationalen Parlamenten geschickt wurden. 2014 konnte das Europäische Parlament das Spitzenkandidatenprinzip durchsetzen: Die Wählerinnen und Wähler konnten mit ihrer Stimme über die Kommissionspräsidentschaft mitentscheiden. Eine Stärkung der europäischen Demokratie.
Das Europäische Parlament hat – mit den Stimmen von CDU/CSU – vor den diesjährigen Wahlen bekräftigt, dass es bereit ist, jeden Kandidaten abzulehnen, der im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament nicht als Spitzenkandidat benannt wurde. Die Entschließung mit den relevanten Punkten 2-4 finden Sie hier: http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2018-0030_DE.html .
Die Menschen sollten vorher wissen können, wen sie nachher bekommen - so wie bei jeder nationalen Wahl auch. Dies habe ich den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf auch versprochen, daran habe ich mich gebunden gefühlt.
Ursula von der Leyen ist keine Spitzenkandidatin gewesen, sie hat den Wählerinnen und Wählern nicht Frage und Antwort zu ihren Vorstellungen von Europa gestanden. Der Vorschlag des Staats-und Regierungschefs hat das Spitzenkandidaten-Prinzip ad absurdum geführt und war daher ein Rückschritt für ein transparenteres und demokratischeres Europa.
Eine Mehrheit des Europäischen Parlaments hat Frau von der Leyen die Stimme gegeben und ich wünsche ihr Erfolg bei ihrer Aufgabe. Auch wenn wir auf dem Weg zu ihrer Wahl nicht einer Meinung waren, geht es nun darum zusammenzuarbeiten. Denn vor uns liegen große Herausforderungen: Wir müssen den Klimawandel bekämpfen, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken und konsequent dafür eintreten, dass die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten durchgesetzt wird, um nur einige Beispiele von vielen zu nennen.
Wir werden die vielen Versprechungen, die Frau von der Leyen im Plenum in Straßburg zu diesen und anderen Punkten gegeben hat, nun einfordern und sie an den konkreten Vorschlägen messen. Auch und vor allem geht es nun darum, den Spitzenkandidatenprozess endlich institutionell abzusichern. Europaweite Umfragen zeigen, dass es den Bürgerinnen und Bürgern sehr wichtig ist, über die Spitze der der Kommission mitentscheiden zu können. Dafür werden wir uns weiter mit ganzen Kräften einsetzen.
Zum Abschluss: In der vergangenen Woche erreichte mich oftmals der Vorwurf, ich hätte aus kollegialen oder persönlichen Gründen oder aus Frauensolidarität für Ursula von der Leyen stimmen müssen. Persönliche Sympathie entscheidet aber nicht über Erwägungen wie die oben dargelegten. Mit Hans-Jochen und Bernhard Vogel gab es sogar schon sich liebende Brüder, die nicht füreinander gestimmt haben. Das persönliche Verhältnis zwischen Ursula von der Leyen und mir ist intakt und wir haben uns auch über diese Fragen immer ausgetauscht und das werden wir auch in Zukunft tun.
Mit freundlichen Grüßen
Katarina Barley