Frage an Katarina Barley von Rolf-Bernd M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Barley,
in vielen Talkshows habe ich festgestellt, dass Sie ein starke Verfechterin dafür waren, nach dem schlechten Wahlergebnis in die Opposition zu gehen. Diese Konsequenz wäre für mich überzeugend, wenn die SPD diese Einsicht bereits bei verlorenen Landtagswahlen gezeigt hätte. Aber da versuchte Frau Kraft in NRW, nachdem sie mit den Grünen verloren hatte, die FDP zu überreden, mit in die Regierung einzusteigen.
Des Weiteren kann ich das Argument der SPD, insbesondere auch von Ihnen, nicht verstehen, dass eine Mehrheit von 53% einen Oppositionsauftrag und die 10% Parteien einen Regierungsauftrag erhalten haben. Ist es Ihrer Auffassung nach neuerdings so, dass Oppositions- oder Regierungsauftrag nicht mehr von den tatsächlichen Wählerstimmen abhängen, sondern vielmehr davon, ob eine Partei Verluste oder Gewinne eingefahren hat. Dann müssten Sie auch konsequenterweise sagen, dass AfD und FDP, Parteien mit den höchsten Zuwachsraten, einen Regierungsauftrag erhalten haben. Für mich ist die GroKo nicht abgewählt, weil die Bürger keine Alternative haben erkennen lassen, ansonsten hätten sie z.B. Linken oder Grünen mehr Zustimmung geben müssen.
Wenn eine Handballmannschaft den Gegner zu Hause mit 35:18 besiegt und das Rückspiel mit 21:20 gewinnt, müssten Sie, Ihrer Logik zu Folge, doch sagen, dass die Mannschaft mit den 21 Toren das Rückspiel verloren hat, da sie 14 Tore weniger und der Gegner zwei Tore mehr als zuvor erzielt haben.
Finde auch realitätsfremd, wenn erklärt wird, zu wissen, was der Wähler wollte. Als ich gewählt habe, konnte ich überhaupt nicht wissen, welche Koalition in Frage kommen würde. Meine Stimme hätte in eine Jamaikakoalition, einer GroKo oder anderen Konstellation (auch Neuwahlen) eingehen können. Aber Politiker wissen angeblich, was ich mit meiner Stimme gewollt habe.
Um eine Stellungnahme wäre ich dankbar, m.f.G., M.
Die SPD hat bei der Bundestagswahl eine bittere Niederlage erlebt. Unser Ziel, die stärkste politische Kraft zu werden, haben wir deutlich verfehlt. Bei uns betrugen die Stimmeneinbußen fünf Prozentpunkte. Mit nur 20,5 Prozent der Stimmen hat unsere Partei bei dieser Bundestagswahl ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielt. CDU und CSU haben mit neun Prozentpunkten Verlust das schlechteste Ergebnis seit 1949 erhalten, auch das ist ein historischer Verlust. Nach einem solchen Ergebnis sollte niemand einfach so weitermachen wie bisher.
Die Bundestagswahl und der Einzug der AfD in den Bundestag sind eine politische Zäsur. Mit insgesamt 13 Prozentpunkten Verlust ist die Große Koalition abgewählt worden. Ich bin der Überzeugung, dass dauerhaft Große Koalitionen kein Gewinn für die Demokratie sind. Die erheblichen Stimmenverluste von Union und SPD machen ebenso wie die bedrückenden Zugewinne der AfD deutlich: Eine Große Koalition von SPD und Union muss die Ausnahme bleiben. Denn unsere parlamentarische Demokratie lebt vom Wettstreit politischer Alternativen und einem klar unterscheidbaren Angebot der großen demokratischen Parteien. Deshalb hatten wir uns entschieden in die Opposition zu gehen und als größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag demokratische Verantwortung zu übernehmen. Angesichts einer rechtspopulistischen Fraktion im Parlament ist auch das Übernehmen der Oppositionsführerschaft eine staatstragende Aufgabe.
Der derzeitigen Bundeskanzlerin ist es jedoch nicht gelungen, ein stabiles Bündnis aus CDU, CSU, Grünen und FDP zu bilden. Das Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche hat unser Land in eine schwierige Lage gebracht. Auch bei dieser neuen Entwicklungen haben wir uns entschlossen, verantwortungsbewusst zu handeln. Auf unserem Bundesparteitag im Dezember haben wir beschlossen, ergebnisoffene Gespräche mit der Union zu führen. In einem harten Ringen mit der Union haben wir gute Sondierungsergebnis erzielt. Viele SPD-Anliegen konnten wir durchsetzen. Eine Große Koalition ist für viele – und das gilt auch für mich – keine Wunschkonstellation und kein Sehnsuchtsort sozialdemokratischer Politik. Sie kann aber eine Möglichkeit sein, konkrete Verbesserungen für unsere Wähle-rinnen und Wähler umzusetzen, für die wir im Wahlkampf geworben haben. Und dies ist einer der Maßstäbe, an denen ich das Sondierungsergebnis messe. Auf unserem Bundesparteitag im Januar haben wir deshalb beschlossen, Koalitionsverhandlungen mit der Union aufzunehmen.