Frage an Karl-Heinz Florenz von Elisabeth B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Florenz,
mich würden folgende Fragen interessieren:
1) Als sich Israel aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat, sollte nach meiner Erinnerung durch die EU sichergestellt werden, dass keine Waffen dorthin gelangen. Ist das so? Welche Maßnahmen werden und wurden dazu unternommen? Was unternimmt Deutschland in dieser Richtung?
2) Gibt es von Seiten Deutschlands eine wirksame Kontrolle darüber, dass Steuermittel, die direkt oder indirekt über EU oder internationale Organisationen in das Westjordanland oder den Gazastreifen fließen, direkt oder indirekt für terroristische Aktivitäten verwendet werden? Ich denke da beispielsweise an Waffenkäufe und militärische oder die finanzielle Alimentierung von Personen, die für die Tötung von Israelis verurteilt wurden, bzw. deren Familien über einfaches Sozialhilfeniveau hinaus?
3) Wie sorgen die EU im Allgemeinen bzw. Deutschland im Speziellen dafür, dass die vom UN-Menschenrechtsrat abgelehnte Untersuchung von möglichen Kriegsverbrechen durch die Hamas und anderer militanter Gruppen im Gazastreifen über den nicht geleugneten Beschuss rein ziviler Ziele hinaus in irgendeiner Form untersucht und veröffentlicht werden? Das heißt, die Anlage militärischer Infrastruktur in Wohngebieten, die Verwendung von UN-Gebäuden und Krankenhäuser für militärische Aktivitäten, der Beschuss der eigenen Bevölkerung durch Raketen, die ihr Ziel Israel nicht erreicht haben? Was untersucht Deutschland in dieser Frage selbst, um z.B. auch eigene Maßnahmen, Forderungen etc. auf eine entsprechende Basis zu stellen?
5) Wie werden gemeinsame Projekte zwischen Muslimen und Juden in der EU, sei es durch Institutionen, Privatpersonen, Schulen oder Gemeinden (jüdische und muslimische meine ich jetzt) gefördert und bei Förderung gegebenenfalls die Wirkung dieser Projekte über längere Zeiträume evaluiert?
Mit Dank im Voraus
Und freundlichen Grüßen,
Sehr geehrte Frau Bories,
vielen Dank für Ihre Nachricht, die mich über abgeordnetenwatch erreichte und die ich hiermit gerne beantworten möchte. Bitte entschuldigen Sie, dass die Antwort etwas länger auf sich warten ließ. Dies ist der Wahl der Kommission im Herbst und längeren Rechercheanstrengungen geschuldet.
Einleitend möchte ich Sie gerne über die neuesten Entwicklungen im Europäischen Parlament im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt informieren: Erst im Dezember 2014 hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Anerkennung eines palästinensischen Staates verabschiedet und sich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen. Jedoch unter dem Vorbehalt, dass dieser Anerkennung Friedensgespräche vorausgehen müssen. Eine dauerhafte Lösung kann nur dann gefunden werden, wenn beide Parteien einem gewaltfreien Friedensprozess zustimmen (Entschließungstext http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2014-0103+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE ).
Im Folgenden möchte ich auf Ihre konkreten Fragen näher eingehen:
Antwort auf Frage 1:
Nach dem Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen wurde zunächst im November 2005 ein "Agreement on Movement and Access" zwischen Palästina und Israel vereinbart, das den Waren- und Personenverkehr in den palästinensischen Gebieten erleichtern und eine Öffnung der internationalen Gaza-Ägypten-Grenze ermöglichen sollte. Die Kontrolle über diese Grenze wurde den palästinensischen Behörden zugeteilt, unter Beaufsichtigung der Europäischen Union als dritte Partei.
Die EU hat daraufhin die "Border Assistance Mission (EUBAM)" am Grenzübergang Rafah gegründet. Das Hauptziel dieser Mission war es, den Schmuggel von Waffen und Sprengstoff zu unterbinden und das Sicherheitspersonal fortzubilden. Ebenso ging es darum, die Grenzschutzkapazitäten zu erhöhen sowie das Vertrauen zwischen den Grenzstaaten zu verbessern. Knapp 90 europäische Kontrolleure waren im Einsatz, um das palästinensische Personal bei der Personen- und Warenkontrolle, ohne eigene exekutive Befugnisse, zu unterstützen. Die Bundesregierung hat sich damals mit Kräften des Zolls und der Bundespolizei an der europäischen Mission beteiligt. Diese Mission wurde im Juni 2007 aufgrund der Regierungsübernahme durch die Hamas ausgesetzt.
Nach den erneuten Kämpfen im Sommer 2014 wurde im August beim Außenministertreffen in Brüssel beschlossen, dass im Einklang mit der UN-Resolution 1860 die EU bereit ist das EUBAM-Mandat zu erneuern und eventuell zu erweitern. Eine Eindämmung des Waffenschmuggels soll somit zur dauerhaften Öffnung der Grenzübergänge beitragen. Im Dezember 2014 fand bereits ein Seminar zur Weiterbildung von hochrangingen Offizieren der palästinensischen Zollbehörden statt. Weiterführende Informationen dazu finden Sie hier: http://www.eubam-rafah.eu/content/eubam-rafah-concludes-first-high-level-seminar-pa-agency-borders-and-crossings.
Ein weiteres Instrument der EU zur Unterstützung eines effizienten Straf- und Justizsystems stellt die Mission "EUPOL COPPS" in Ramallah dar (siehe http://eupolcopps.eu/en/node/4771). Sie trägt zur Entwicklung der modernen und demokratischen Polizei bei und bietet sowohl Ausbildungsmöglichkeiten als auch Ausrüstung und Technik an. Palästinensische Sicherheitskräfte sollen ausgebildet werden, um den Schmuggel von Waffen zu unterbinden. Auch diese Mission soll aufgrund der neuen Konflikte ausgebaut und die deutsche Beteiligung aufgestockt werden, wie das Auswärtige Amt mitteilt.
Antwort auf Frage 2:
Die Bundesregierung ist einer der größten Geber und engagiert sich seit langem in den palästinensischen Gebieten. Im Jahr 2013 hat sich Deutschland mit 100 Millionen Euro an der internationalen Unterstützung beteiligt. Diese Gelder flossen in bilaterale Projekte der EU oder international anerkannter Organisationen in den Bereichen Entwicklungshilfe (60 Mio. Euro), humanitäre Hilfe (ca. 34 Mio. Euro), zivile Krisenprävention (ca. 3 Mio. Euro) und Kultur und Bildung (ca. 5 Mio. Euro).
Im Bereich der humanitären Hilfe unterstützt die Bundesregierung das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) mit 29 Millionen Euro. UNRWA konzentriert sich auf die Bereiche Erziehung und Ausbildung, medizinische Versorgung sowie soziale und humanitäre Maßnahmen.
Ebenso engagiert sich die Bundesregierung im Rahmen der EU-Fördermechanismen, die seit Februar 2008 mit PEGASE ( http://eeas.europa.eu/palestine/tim/pegase_en.pdf ) kanalisiert werden. PEGASE umfasst die EU-Hilfe für das Westjordanland, Gaza und Ostjerusalem und wird vor Ort mit den EU-Mitgliedstaaten und anderen internationalen Partnern koordiniert. Die ECHO (Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission http://ec.europa.eu/echo/en/who/about-echo ) überwacht und koordiniert den Einsatz von finanziellen Mitteln.
Auf der Geberkonferenz in Kairo im Oktober 2014 hat die EU einen Beitrag von 450 Millionen Euro zugesagt, während die Bundesregierung noch einmal 50 Millionen Euro national spenden möchte. Diese Finanzmittel gehen ausschließlich an konkrete Projekte zur Unterstützung des Wiederaufbaus des Gaza-Streifens und der nachhaltigen Entwicklung. Die Bundesregierung und die EU arbeiten mit Organisationen vor Ort, um Hilfsgelder möglichst effizient und direkt weiterzuleiten.
Antwort zu Frage 3:
Der UN-Menschenrechtsrat hat im Juli 2014 eine Resolution verabschiedet, um umgehend einen unabhängigen Untersuchungsausschuss einzurichten, der die Verstöße beider Seiten – also von Israel und Palästina – gegen internationales Recht untersuchen soll. Die Untersuchungsergebnisse sollen im März 2015 vorgestellt werden. Mehr Informationen finden sie hier: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/CoIGazaConflict/Pages/CommissionOfInquiry.aspx. Das Europäische Parlament hat im September 2014 einen Entschließungsantrag angenommen, in dem es heißt, dass "die Arbeit der Untersuchungskommission finanziell und politisch uneingeschränkt zu unterstützen" wäre (siehe http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+MOTION+B8-2014-0113+0+DOC+XML+V0//DE ).
Antwort zu Frage 4:
Die EU fördert ein friedliches Zusammenleben aller Religionen. Die Initiative "European Platform for Jewish Muslim Cooperation" fördert den Dialog zwischen Juden und Muslimen in Europa und veröffentlicht jährlich einen Bericht, um die Fortschritte zu dokumentieren. Innerhalb Deutschlands gibt es ebenfalls Initiativen, die sich um einen offenen Dialog zwischen Juden und Muslimen bemühen, wie z.B. die Berliner Initiative "Salaam-Schalom", die sich für ein friedliches Zusammenleben in Neukölln einsetzt. Darüber hinaus engagiert sich die von der Kommission anerkannte "Platform for Intercultural Europe" für ein interkulturelles Europa und unterstützt vor allem regionale Projekte zur Verbesserung des interkulturellen Dialogs und der sozialen Integration. Der Ministerrat des Europarats organisiert jährlich eine Konferenz zum Thema "The religious dimension of intercultural dialogue", die im September 2014 in Baku stattfand. Mehr Informationen erhalten Sie hier: http://www.coe.int/T/CM/Exchanges-intercultural-dialogue_en.asp.
Ein gemeinsames Projekt "Religion in the Shaping of European Cultural Identity" der Mitgliedsstaaten Schweden, Großbritannien und Slowenien untersucht bis 2015, inwiefern Religion eine europäische Identität beeinflusst (siehe http://ec.europa.eu/programmes/creative-europe/projects/ce-project-details-page/?nodeRef=workspace://SpacesStore/7e4463d0-9bfe-4bcb-80a3-5072654010fc ).
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen zu können, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihr Karl-Heinz Florenz