Frage an Karl-Heinz Brunner von Insa J. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Am 04.03.20 haben sie gegen die Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus den griechischen Lagern gestimmt, - wieso? Schon damals waren viele Kommunen und Städte bereit, Geflüchtete aufzunehmen und dennoch verhinderten sie dies mit Ihrer Stimme. Erklären Sie mir das bitte. Die Bereitschaft zu Menschlichkeit und Solidarität mit den Menschen auf Lesbos hält in vielen Regionen der BRD an und wird öffentlich kund getan. Die Situation auf Lesbos ist nicht mehr tragbar und schon längst nicht mehr zu verantworten. Was werden Sie tun, um Geflüchtete aufzunehmen und den Menschen auf Lesbos zu helfen?
Danke für Ihre Antwort, Insa Jebens
Sehr geehrte Frau J.,
am 4. März 2020 hat der Bundestag in einer namentlichen Abstimmung über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland" entschieden. Ich habe mich der Beschlussempfehlung, diesen Antrag abzulehnen, angeschlossen. Dies aber jedoch nicht, weil ich gegen die Aufnahme von Geflüchteten bin, um dies gleich klar zu stellen. Auch mich beschämt und entsetzt das gemeinschaftliche Versagen in Europa. Bei den Abstimmungen im Bundestag geht es aber nicht um Symbolpolitik. Es ist ein Irrglaube, dass die SPD-Bundestagsfraktion einfach nur dem Antrag hätte zustimmen müssen und schon wären die Menschen nach Deutschland gekommen.
Im Koalitionsvertrag haben sich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Das ist Grundlage jeder Koalition. Diese Tatsache wird von den Fraktionen der Opposition gerne dazu benutzt, um Fraktionen in einer Regierungskoalition vorzuführen. Über den Antrag wurde namentlich abgestimmt, auch wenn von vornherein klar war, dass dieser keine Mehrheit erhalten wird. Ich weiß, dies ist für die Bürgerinnen und Bürger oft nur sehr schwer nachvollziehbar, aber zur Regierungsverantwortung in einer Demokratie gehört es eben auch, getroffene Vereinbarungen einzuhalten. Insofern sagen unsere Zustimmung und Ablehnung nicht automatisch etwas über unsere persönliche Meinung aus. Dies gilt im Übrigen auch umgekehrt. Auch die Abgeordneten der Opposition lehnen Anträge der Regierungsfraktionen ab, auch wenn sie ihnen inhaltlich vielleicht zustimmen.
Unser Auftrag als Regierungsfraktion ist es jedenfalls nicht, symbolpolitischen Oppositionsanträgen zustimmen – was effektiv gar nichts verbessert –, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, die uns als an der Regierung beteiligte Fraktion offenstehen und konkrete Lösungen zu entwickeln. Und daran arbeiten wir und haben in den letzten Tagen viel erreicht: Seit den Zusagen im März hat Deutschland 981 Geflüchtete aus griechischen Lagern aufgenommen, letzte Woche wurde bereits über die Aufnahme von weiteren 150 unbegleitete Minderjährigen entschieden. Diese Woche hat die SPD in der Großen Koalition die weitere Aufnahme von weiteren 1553 Geflüchteten, hauptsächlich Kinder und ihre Familien, aus Moria durchgesetzt. Darüber hinaus hat Deutschland umfangreiche humanitäre Hilfe vor Ort geleistet, unter anderem durch die Bereitstellung von über 1000 Zelten, 7000 Schlafsäcken, 1400 Feldbetten, 22 Sanitärcontainern, Decken und Schlafunterlagen etc. Gleichzeitig müssen die Bemühungen um eine europäische Lösung verstärkt werden.
Zu der von Ihnen erwähnten Abstimmung am 4. März habe ich eine persönliche Erklärung abgegeben, der Sie meine Beweggründe entnehmen können:
"Die Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen auf den griechischen Inseln sind unbestritten katastrophal und untragbar. Wir brauchen so schnell wie möglich eine Lösung für die Menschen in Griechenland. Wir müssen dabei darauf achten, dass wir einen Schritt in Richtung einer europäischen Lösung gehen. Wir arbeiten derzeit mit voller Kraft an einer Lösung, an der sich nicht alleine Deutschland, sondern wenigstens ein paar andere europäische Staaten beteiligen, von denen zum Teil auch schon Zusagen für eine Aufnahme vorliegen. Wir erwarten von Bundesinnenminister Seehofer, heute beim Innenministerrat in Brüssel nachdrücklich für eine „Koalition der Vernunft“ zu werben und konkrete Maßnahmen zur gemeinsamen Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen auf den Weg zu bringen. Ein deutscher Alleingang kann das Problem nicht lösen.
Wir sind für die Aufnahme von Geflüchteten im Rahmen einer europäischen Koalition der Vernunft. Inzwischen hat sich mit Frankreich, Portugal, Finnland und anderen bereits eine nennenswerte Gruppe von Staaten zu einer gemeinsamen Aufnahme bereit erklärt. Wir erwarten, dass die deutsche Bundesregierung jetzt zusammen mit diesen Staaten die Aufnahme dringend in die Wege leitet. Das Engagement unserer aufnahmebereiten Bundesländer, Städte und Gemeinden begrüßen wir außerordentlich. Es ist wichtig, zu wissen, dass es die Bereitschaft gibt, Schutzsuchende zügig aufnehmen zu können. Wir stehen auch hinter der Initiative des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, der sich als einer der ersten für die Aufnahme minderjähriger Geflüchteter starkgemacht hat. Für diese Gruppe müssen wir Sorge tragen, dass sie zudem auch im Rahmen der Familienzusammenführung nach den Regelungen der Dublin-III-Verordnung schnell und unbürokratisch zu ihren Angehörigen in Deutschland reisen können. Ebenso wichtig ist uns, dass wir schnell eine dauerhafte Verbesserung der Verhältnisse in den griechischen Hotspots erreichen. Ein Weg könnte sein, dem UNHCR die operative Verantwortung zur Leitung der Flüchtlingszentren zu übertragen. Für eine grundsätzliche Lösung brauchen wir eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Wir müssen weg vom Prinzip der Zuständigkeit des Ersteinreisestaates. Wir brauchen eine gerechte und solidarische Verteilung geflüchteter Menschen auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Nur so schaffen wir dauerhaft eine Entlastung der Staaten an den EU-Außengrenzen und somit auch insbesondere Griechenlands. Daran arbeiten wir auf EU-Ebene mit Hochdruck.
Ein erster Schritt in Griechenland könnte die Entwicklung eines Pilotmodells für ein gemeinsam betriebenes europäisches Asylzentrum auf den griechischen Inseln sein. Auf jeden Fall dürfen wir weder die Menschen in Griechenland noch die griechische Regierung mit diesen Herausforderungen alleine lassen. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Mit unserem gemeinsamen Handeln zur Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland machen wir einen ersten und notwendigen humanitären Schritt. Unser Ziel bleibt es, dass sich am Ende alle europäischen Mitgliedstaaten in diese Solidarität einbringen.
Jetzt gilt es, alle Anstrengungen auf eine europäische Lösung, an der nicht alle Länder teilnehmen müssen, zu konzentrieren. Nur so kann umfassend den Minderjährigen und den besonders Schutzbedürftigen geholfen werden. Eine Zustimmung zum Antrag der Grünen würde dies nicht erreichen.
Dabei sehen wir auch, dass die Kämpfe in Idlib die humanitäre Lage in Syrien weiter verschärfen und erneut viele Menschen zur Flucht Richtung türkische Grenze zwingen. Europa und die internationale Gemeinschaft müssen darauf schnell reagieren und bereit sein, weitere humanitäre Hilfe für die Menschen in Idlib und die Geflüchteten in der Türkei zu leisten. Im Vertrauen darauf, dass die Bundesregierung diese Verhandlungen mit allem Nachdruck verfolgt, lehnen wir den vorliegenden Antrag ab."
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinz Brunner