Portrait von Karl A. Lamers
Karl A. Lamers
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Karl A. Lamers zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Oliver A. •

Frage an Karl A. Lamers von Oliver A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Lammers,

wieder einmal sind Beschlüsse der EU bei einer Volksabstimmung durchgefallen.
Wann setzt sich bei den Politikern endlich die Einsicht durch, dass die Mehrheit der Bevölkerung - nicht nur in Deutschland - diese EU nicht will. Grundsätzlich ist die Idee nicht schlecht aber die Umsetzung völlig inakzeptabel.
Warum hat es in Deutschland keine Volksabstimmung zu so einem wichtigen Thema gegeben? Das GG hätte man dahingehend problemlos ändern können - wenn man es denn nur wollte. Hier fürchten aber wohl die Politiker aller Parteien einen Machtverlust.
Wie stehen Sie zu dieser Frage und dem weitern Verbleib Deutschlands in der EU gegen den Willen der Mehrheit?

Portrait von Karl A. Lamers
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Ankert,

vielen Dank für Ihren Beitrag zum Thema "Vertrag von Lissabon". Gerne will ich Ihnen dazu antworten.

Zunächst möchte ich auf Ihre Ansicht eingehen, dass man das Grundgesetz hätte "problemlos" ändern können, um eine Volksabstimmung in Deutschland abhalten zu können.
Dazu ist festzustellen, dass die Väter des Grundgesetzes vor dem Hintergrund sehr negativer Erfahrungen in der Weimarer Republik die Möglichkeit, Volksabstimmungen auf Bundesebene abzuhalten, in der 1949 in Kraft gesetzten Verfassung nahezu ausgeschlossen haben. Bis heute ist es bei dieser Regelung geblieben - nach meiner Überzeugung aus guten Gründen. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob es sinnvoll wäre, dass der Bundestag, die Vertretung des Volkes, in gewissen Einzelfragen - wie zum Beispiel dem Vertrag von Lissabon - nicht abstimmen können soll, während er für alle anderen Fragen von höchster Bedeutung für das Volk zuständig sein soll. Wir haben ein repräsentatives Verfassungssystem, und wir sind mit diesem seit 1949 "sehr gut gefahren". Auch in Bezug der Bundestagsentscheidung zum Vertrag von Lissabon möchte ich betonen, dass wir die Entscheidung im Lichte der Verbesserungen und Vorteile, die der Vertrag von Lissabon gegenüber der bisherigen Vertragsgrundlage, dem Vertrag von Nizza, festschreibt, nach umfangreicher Beratung getroffen haben.

Für eine Verfassungsänderung zur Einführung von Volksabstimmungen würde eine Mehrheit von 2/3 der Mitglieder des Bundestages benötigt. Eine solche Mehrheit ist bisher, in all den Jahren seit 1949, in dieser Frage nie zustandegekommen. Eine "problemlose" Verfassungsänderung - das ist also wohl nicht ganz realistisch.

Über die Motive der Mehrheit der irischen Bevölkerung, den Vertrag von Lissabon abzulehnen, will ich hier nicht spekulieren. Wie Sie selbst in Ihrer e-mail sagen, ist "die Idee nicht schlecht". Die Frage, wie eine gute Idee richtig umgesetzt werden soll, wird wahrscheinlich Millionen Antworten in Europa finden. Sinn eines Vertrags wie der von Lissabon ist es, eine Grundlage für das Zusammenleben vieler Völker mit unterschiedlichen Erwartungen und Hoffnungen zu schaffen. Das kann nur mit einem Kompromiss geschehen. Es ist unmöglich, dass etwa wir Deutschen unsere Forderungen ohne Abstriche durchsetzen, und das trifft auch für alle anderen 26 Partnerländer in der EU zu. Kompromisse haben es oft an sich, dass sie nicht beliebt oder populär sind oder werden.

Zu bedenken ist auch, dass der Vertrag von Lissabon als Antwort auf die Kritiker der Europäischen Union entworfen wurde. Durch diesen Vertrag bekommen die nationalen Parlamente neue Mitwirkungsmöglichkeiten in EU-Angelegenheiten; mehr Mehrheitsentscheidungen als bisher werden durch den Vertrag möglich, zum Beispiel beim "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten", etwa dem Beitritt zum Schengen-Raum oder bei der Einführung des EURO. Die Charta der Europäischen Bürgerrechte ist ein Kernpunkt des Vertrags, und mit ihm wird auch das Institut eines europäischen Bürgerbegehrens eingeführt. Die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) bekommt durch Lissabon einen sehr viel höheren Stellenwert als bisher, denn mehr Sicherheit kann in unserer Zeit nur im globalen Kontext begriffen und verwirklicht werden. Das Motto der europäischen Integration "Einheit in Vielfalt" wird durch den Vertrag von Lissabon weiter gestärkt.

Die zur Zeit gültige Rechtsgrundlage der EU ist der Vertrag von Nizza. Nachdem die Volksabstimmung in Irland über den Vertrag von Lissabon gescheitert ist, ist der Vertrag von Nizza weiterhin gültig. Wir wissen jedoch, dass dieser Vertrag mit seinen teils komplizierten Regelungen die Handlungsfähigkeit der EU nicht gerade befördert hat. Deshalb brauchen wir den Vertrag von Lissabon, um für die Zukunft in einer sich rasch verändernden Welt als EU handlungsfähiger werden zu können.

Ich bin überzeugt davon, dass es nach wie vor viele gute Gründe für die Inkraftsetzung des Vertrags von Lissabon gibt, und es wird eine unserer Hauptaufgaben für die nächsten Monate sein, den durch die Volksabstimmung in Irland bewirkten Stillstand bei der EU-Integration wieder mit neuem Schwung zu versehen. Zum Vereinigten Europa gibt es keine vernünftige Alternative.

Dr. Karl A. Lamers MdB