Frage an Karl A. Lamers von Sebastian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lamers,
finden Sie es irgendwie fair, demokratisch oder auch nur bürgernah, wenn Sie auf ernstgemeinte und konkrete Befürchtungen ihrer Mitbürger in Bezug auf eine staatliche Überwachung von engstem, privatem Lebensraum (und dazu zähle nicht nur ich meine Computerfestplatten!), mit vermutlich keinem eigenen Wort eingehen? Glauben Sie (oder auch Ihre Fraktionskollegen, die auf ähnliche Fragen mit teilweise komplett identischen Textbausteinen antworten), dass Sie tatsächlich auf eine solche Art und Weise kritische Wähler überzeugen können?
Warum ignorieren Sie die wesentlichen Kritikpunkte? Wie soll Missbrauch verhindert werden? Wie soll eine verfassungstechnisch einwandfreie technische Realisierung aussehen? Wie steht es prinzipiell mit dem geschützten privaten Lebensraum und der Unverletzlichkeit der Wohnung?
Sie schreiben, dass 99% der Bevölkerung nicht davon betroffen sein werden. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass grössenordnungsmässig 1% der Bevölkerung (immerhin über 800.000 Menschen!) in Zukunft damit rechnen muss, Opfer einer Onlineüberwachung zu werden? Können Sie versichern, dass durch spätere Ausweitungen der Gesetze nicht etwa dann doch ein grösserer Bevölkerungsanteil aus "Sicherheitsgründen" überwacht werden muss?
Garantieren Sie mir jetzt und hier, dass eine Onlinedurchsuchung, sollte sie je kommen, tatsächlich nur bei schwersten Straftaten angewandt wird? Ist in Ihren Augen und nach Ihrem Rechtsverständnis der Besitz oder die Bereitstellung einer "Bombenbauanleitung" oder das Lesen einer "Islamistischen Hasspredigt" bereits eine schwere Straftat?
Und selbst wenn Sie mir all diese Dinge jetzt garantieren würden, wer garantiert dann mir, dass all diese schönen Versprechen nach der nächsten Wahl nicht auf dem Altar des Koalitionsvertrages geopfert werden? Wer garantiert mir, dass es eine zukünftige Regierung genauso gut mit mir meint, wie es die derzeitige Regierung scheinbar tut?
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Sproesser
Sehr geehrter Herr Sproesser,
vielen Dank für Ihre Nachfragen zum Thema Online-Durchsuchungen, nach meiner ersten Stellungnahme.
Gestatten Sie mir bitte, zunächst mit einem Wort auf Ihre Enttäuschung über eine Ihrer Meinung nach nicht individuell genug gestaltete Antwort meinerseits und von Seiten meiner Fraktionskollegen einzugehen.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich stets großen Wert auf Bürgernähe lege und mich deshalb auch so oft wie möglich im Wahlkreis aufhalte, um den persönlichen Kontakt zu suchen. Ich lade Sie gerne ein, in einer Bürgersprechstunde mit mir über ihr Anliegen ganz direkt zu sprechen.
Nun zu Ihrer Befürchtung, mit meiner schriftlichen Antwort nicht ernst genommen zu werden.
Lassen Sie mich versuchen, Ihnen meine Vorgehensweise zu erläutern. Die Sorgen der Bürger -- natürlich insbesondere der aus meinem Wahlkreis - sind mir immer wichtig. Oft ist es jedoch so, dass meine persönliche Meinung auf Linie mit der der Fraktion liegt. Wohlgemerkt ohne, dass ich eine solche ungeprüft übernehme. Dennoch hat jede Fraktion -- Gott sei Dank- Fachleute in ihren Reihen, die sich mit den jeweiligen Themen auseinandersetzen.
Ohne die Unterstützung meiner Fachkollegen wäre meine alltägliche politische Arbeit, inklusive dem persönlichen Kontakt zum Wähler, so wie ich ihn mir vorstelle, einfach nicht möglich.
Deshalb nun auch zu Ihren Nachfragen, die ich versuche so konkret wie möglich zu beantworten.
Sicherlich ist ein Problem für mich bei dieser Beantwortung das gleiche, was Sie veranlasst, in Bezug auf das Thema Onlinedurchsuchungen so voller Sorge zu sein: es handelt sich um einen sehr unscharfen, schwer fassbaren Bereich. Aber umso mehr ist es doch wichtig, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die Voraussetzungen und Grenzen einer solchen Durchsuchung präzise umreißt.
Insbesondere fragen Sie, wie ein Missbrauch verhindert werden kann, wie es prinzipiell mit dem geschützten Lebensraum jedes Einzelnen aussieht und wie eine technische Realisierung aussehen kann.
Hierbei muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass unser Rechtsstaat interne und externe Kontrollmechanismen vorsieht, um rechtswidrige Vorgänge von Behörden zu ahnden und zu verhindern. Festzuhalten bleibt aber insbesondere, dass Onlinedurchsuchungen grundsätzlich nur nach richterlicher Anordnung erfolgen können, so wie dies bei jeder Durchsuchung der Fall ist. Dieses ist ein entscheidender Baustein in unserem Rechtsstaat, um eine wirksame Kontrolle zu garantieren und somit natürlich auch Missbrauch zu verhindern. Onlinedurchsuchungen finden nur in einem rechtstaatlichen Verfahren statt. Der von Ihnen angesprochene Grundrechtsschutz erfolgt damit auch durch das den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellte Verfahren. Weitere denkbare Mechanismen zur Missbrauchsverhinderung wären etwa die Überwachung durch die Staatsanwaltschaft oder die Kontrolle durch Datenschutzbeauftragte.
Sicherlich ist die Frage nach der technischen Umsetzbarkeit eine der schwierigsten auf diesem Bereich, die ich allerdings zunächst den Fachleuten überlassen muss. Aber grundsätzlich ist es doch in unserer heutigen Zeit auch offensichtlich, dass es immer einen Wettlauf geben wird um die neuesten Technologien. Das heißt doch aber nicht, dass man sich einem Problem geschlagen geben muss, nur weil man an der technischen Umsetzungsmöglichkeit zweifelt. Im Gegenteil: um hier erfolgreich zu sein ist es doch essentiell, an Technologien zu forschen und deren Effektivität zu testen. Natürlich im Rahmen der Grenzen, die der Rechtsstaat vorgibt. Überlegen Sie sich doch nur einmal, was etwa vor 10 Jahren denkbar war, im Vergleich zu den technischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Der zeitliche Rahmen kann sogar kürzer gesteckt werden. Ich denke da nur etwa an Moblifunküberwachungen- weder der Mobilfunk selbst, geschweige denn dessen Überwachung war vor noch nicht allzu langer Zeit denkbar.
Gerade hier schulden wir dann aber unseren Bürgern, dass wir mit einer solchen Entwicklung Schritt halten und Sie auch in dieser schnelllebigen Welt in größtmöglichem Umfang schützen.
Unser Rechtsstaat muss in die Lage versetzt werden, auf diese neuen Herausforderungen angemessen zu reagieren.
Darüber hinaus sind nicht alle potentiellen Täter -- etwa aus dem Milieu religiös motivierter Extremisten - auch "hochqualifizierte Hacker", nutzen das Internet aber trotzdem zur Kommunikation und Informationsrecherche (Anleitung zum Bombenbau, Verbreitung von Propaganda etc.). Außerdem kann es schon ausreichend sein, sich etwa über eine CIPAV-Software ein Bild über die Internetverbindungen und die angesteuerten URLs zu verschaffen, um so Indizien gegen einen Verdächtigen zu sammeln. In den USA ist es dem FBI im Juni dieses Jahres gelungen, auf diese Art und Weise den Versender mehrerer Bombendrohungen an eine Highschool im Bundesstaat Washington zu überführen (Vgl. Berliner Morgenpost vom 31.7.2007).
Zu Ihrer Frage nach einer Garantie der Einhaltung der Richtung unserer jetzigen Koalition durch zukünftige Regierungen muss ich Sie allerdings zumindest teilweise enttäuschen. Ich selbst kann Ihnen eine solche natürlich nicht geben- das führt eine Demokratie mit sich. Aber unser Grundgesetz tut es, wenn auch nicht so explizit, wie Sie es sich vielleicht im konkreten Fall wünschen- der Umfang dieser Garantie ist aber sogar noch wesentlich größer, wenn man Sie sich einmal vor Augen führt:
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von staatlichen Eingriffen in die Rechte der Bürger ist verfassungsmäßig verankert und hat sich nun schon über 50 Jahre bewährt. Er verhindert auch, dass Gesetze, die unverhältnismäßig in die Privatsphäre von Bürgern eingreifen von irgendeiner Regierung als geltendes Recht verabschiedet werden können. Solche Gesetze sind und bleiben verfassungswidrig.
Zum Abschluss möchte ich ganz klar noch einmal betonen, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, dass wir das Instrument der Onlinedurchsuchung brauchen. Nicht zu Unrecht hat der Vorsitzende unserer Fraktion Volker Kauder die zu bekämpfenden Probleme, wie etwa die Verbreitung von Kinderpornographie und terroristischen Schriften als "Krebsübel" bezeichnet. Ohne ein klares, scharfes Gesetzeswerk können wir solchen Geschwüren unseres Rechtsstaates aber nicht Herr werden.
Vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Meinung und dafür, dass Sie das aktuelle politische Geschehen aufmerksam verfolgen. Dies begrüße ich ausdrücklich.
Wegen anfangs dieser Antwort angeführter Gründe möchte ich Sie aber auch bitten, sich mit etwaigen Bedenken und Problemen direkt an mich zu wenden. Gerne beantworte ich an mich gerichtete Briefe selbst oder leite Sie an die geeigneten Fachleute meiner Fraktion weiter. Es steht Ihnen zudem jederzeit frei, eine meiner Bürgersprechstunden zu besuchen.
Ich hoffe Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihr Karl A. Lamers MdB