Frage an Karl A. Lamers von Sven R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Lamers
in Ihrer Antwort auf die Anfrage Herrn Köhlers vom 27.04.09, der nach dem Sinn des NATO-Manövers in Georgien sowie nach der möglichen Belastung des Verhältnisses zu Rußland fragt, nehmen Sie Bezug auf die "massive sowjetische Bedrohung" in den Zeiten des Kalten Krieges sowie die Bedrohung Georgiens durch den "großen Nachbarn", womit ja nur Rußland gemeint sein kann. Können Sie erklären, worin die Bedrohung Georgiens durch Rußland besteht, angesichts der Tatsache, daß der Kaukausus-Konflikt im letzten Jahr eindeutig und für jeden erkennbar von georgischer Seite mit dem Angriff auf Zchinwali begonnen und initiiert wurde, um die abtrünnige Provinz Südossetien wieder unter georgische Kontrolle zu bringen?
Des weiteren möchte ich generell danach fragen, worin eigentlich die Bedrohung Europas bzw. der NATO durch Rußland besteht, wie man aus der Kampfrhetorik der offiziellen Politik bzw. in der Berichterstattung der Medien über dieses Land schließen könnte? Gibt es irgendwelche konkreten militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Aktivitäten, die sich gegen den Bestand oder zum Nachteil des westlichen Bündnisses richten?
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Rußland das ständige Heranrücken der NATO an seine Grenzen, welches entgegen der Zusagen erfolgt, die der damaligen sowjetischen Regierung unter Gorbatschow für die Zustimmung zur deutschen Einheit gemacht wurden, als Bedrohungs- und Einkreisungsstrategie empfinden muß? Ebenso wie der geplante Bau eines sog. Raketenabwehrschildes gegen eine angebliche Bedrohung gegen iranische Interkontinentalraketen, die es noch gar nicht gibt, zusammen mit der Errichtung von Radarstationen, mit denen man tief in das russische Hinterland hineinschauen kann, womit man sich die Zweitschlagsfähigkeit zur Abwehr einer russischen Reaktion auf einen eventuellen Angriff sichern würde?
Mit freundlichen Grüßen
Sven Rüger
Sehr geehrter Herr Rüger,
vielen Dank für Ihre e-mail.
Es dürfte kaum umstritten sein, dass Russland die georgische Souveränität nicht akzeptieren will. Denn warum würde Russland sonst abtrünnige Gebiete innerhalb der georgischen Grenzen unterstützen, die ja inzwischen von Russland sogar als "Staaten" anerkannt wurden. Der Gesamtstaat Georgien muss sich durch die Politik Russlands bedroht fühlen.
Anders liegt es mit der von Ihnen behaupteten Bedrohung Europas durch Russland. Die NATO hat nach 1990 viele Programme und Vorstellungen entwickelt, wie die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts in der Zeit nach dem "Kalten Krieg" in die Friedensordnung Europas eingebunden werden können. Auf Wunsch dieser Länder wurden diese inzwischen in die NATO aufgenommen.
Russland konnte zwar nicht in die NATO aufgenommen werden, weil es für sich nach wie vor einen Großmacht-Sonderstatus beansprucht und auch ansonsten die klar definierten Beitrittskriterien nicht erfüllen würde. Trotzdem hat die NATO unterhalb der Ebene der formellen Mitgliedschaft viel unternommen, damit Russland in die laufende Politik soweit als möglich integriert werden kann. Das Programm "Partnership for Peace" und vor allem der NATO-Russland-Rat als herausgehobenes Konsultativ-Gremium setzen die Eckpunkte für eine Zusammenarbeit der NATO mit Russland, die ja nach dem Georgien-Konflikt nun wieder auf den normales Niveau zurückgeführt werden soll. Aber dazu benötigen wir die Kooperationsbereitschaft Russlands. Da ist es nicht gerade hilfreich, wenn Russland sich eine neue Nationale Sicherheitsstrategie zulegt (siehe FAZ vom 14.05.2009), in der als herausragendes Ziel die Zurückgewinnung des Weltmacht-Status formuliert wird und als Waffe, um dieses Ziel zu erreichen, unter anderem auf die Rohstoffressourcen des Landes verwiesen wird.
Trotz all dieser irritierenden Signale fühlt die NATO sich von Russland nicht im militärischen Sinne bedroht, wie umgekehrt Russland nicht von der NATO "eingekreist" werden soll. Die NATO ist ein Defensiv-Bündnis und bedroht niemand.
Wir haben großes Interesse daran, dass die Politik der möglichst weitgehenden nuklearen weltweiten Abrüstung weitergeht und dass die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) weiterhin auf dem vor vielen Jahren vereinbarten niedrigeren Niveau verbleibt.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Karl A. Lamers MdB