Frage an Karin Müller von Monika F. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Guten Tag!
Sehr geehrte Frau Müller,
ist Ihnen bekannt, dass der ehemalige SS Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen- SS und der Polizei, Heinz ( Heinrich ) Reinefarth, von 1951 - 1964 Bürgermeister in Westerland auf Sylt war? Ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Stadt, als auch der Landkreis Kassel ein Erholungsheim in Westerland auf Sylt besitzen? Ist Ihnen bekannt, dass Heinz Reinefarth Jurist war, wie es auch der berüchtigte Roland Freisler, der aus Kassel kam, damals war? Ist Ihnen bekannt, seit wann das Ferienheim mit den dazugehörenden Ländereien der Stadt und dem Landkreis Kassel gehören und wem diese Grundstücke vor dem Krieg gehörten? Ist Ihnen bekannt, wer damals die Verträge für die Stadt Kassel und wer sie für den Landkreis Kassel unterschrieb? Ist Ihnen bekannt, ob es sich nur Dauerpacht- oder Kaufverträge handelt? Wenn es sich nur um Pachtverträge handelt, ist Ihnen bekannt, wann diese auslaufen? Ist Ihnen bekannt, seit wann dem Landkreis Kassel das Ferienheim in Schönau in Berchtesgaden gehört? Auch hier die Frage, wissen Sie, wem die Grundstücke vor dem Krieg gehörten und ob es sich um einen Dauerpacht- oder Kaufvertrag handelt? Können Sie mir sagen, wer die Pacht-oder Kaufverträge für Schönau unterschrieb?
Frau Müller, es ist ein umfangreiches Fragenpaket geworden, deshalb bin ich Ihnen schon jetzt für Ihre Beantwortung dankbar und verbleibe mit freundlichem Gruß
Monika Frank
Sehr geehrte Frau Frank,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 26. August.
Mit der Veröffentlichung der Biografie" Der Fall Reinefarth: Eine biografische Studie zum öffentlichen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit", fiel ein Schlaglicht auf das Westerland. Heinz Reinefarth war 1944 als SS-General beim Warschauer Aufstand beteiligt und von 1951 bis 1963 Bürgermeister von Westerland. Auch wissen wir heutzutage, durch den Auftrag zur Aufarbeitung der Sylter Politiker, dass er als Kommandeur einer Kampfgruppe mitverantwortlich für schreckliche Verbrechen war und dennoch bis zu seinem Tod 1979 auf Sylt als Anwalt fungierte und ohne Verurteilung starb. Wir Grüne sehen in der Veröffentlichung der Biografie um die Vergangenheit von Reinefarth eine Chance, das Tabu aufzubrechen, das um das Verhalten von NS-Beteiligten gelegt wurde.
In unzähligen Gemeinden gab es tiefgehende Verstrickungen von Verbrechen des Dritten Reiches und ebenso leider auch problematische personelle und institutionelle Kontinuitäten nach dem Krieg, ein weit verbreitetes Schweigen über die Vorgeschichte und auch fahrlässiges Nichtstun, und mutwilliges Vertuschen und Verdrängen. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, gab es auch in Kassel Debatten zum Umgang mit den Vergangenheiten der drei Kasseler Oberbürgermeister Willi Seidel, Lauritz Lauritzen und Karl Branner und eine vertiefende Betrachtung vor allem der Fünfziger und Sechziger Jahre. Viele Menschen, auch die Parteien, wollten in dieser Zeit nicht über ihre Vergangenheit nachdenken. Heute gilt es, die Biografien der Protagonisten im Licht der neuen Erkenntnisse neu zu betrachten und eine systematische Aufarbeitung voranzuführen.
Zu ihrer Frage, dass sowohl die Stadt, als auch der Landkreis Kassel ein Erholungsheim in Westerland auf Sylt besitzen bin nach Recherche auf das Erholungsheim Westerland Haus Schwalm-Eder und das Jugendseeheim Kreis Kassel Sylt gestoßen. Wem die Grundstücke vor dem Krieg gehörten und ob es sich um einen Dauerpacht- oder Kaufvertrag handelt kann ich Ihnen allerdings nicht beantworten. Weiterhelfen kann Ihnen aber sicherlich das Liegenschaftsamt Kassel. Amtsleiter ist Herr Wolfgang Staubesand, Telefon: 0561 / 787-7054, E-Mail: liegenschaftsamt@kassel.de. Auch lohnt sich ein Anruf beim Kommunalen Liegenschafts-Management Sylt, Telefon: 04651 851 -888.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Tatkraft bei der Nachforschung. Es gibt keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Ganz im Gegenteil: Wir sehen anhand vieler Biografien, dass die Aufarbeitung ein kontinuierlicher Prozess ist, der uns weitere wichtige Einblicke in unsere Geschichte gibt. Wir stehen alle in der Verantwortung jetzt und nachfolgenden Generationen deutlich zu machen, zu was Rassenhass, Antisemitismus, Antiziganismus und die Verfolgung politisch Andersdenkender, Homosexueller und behinderter Menschen geführt hat. Es geht heute darum, sich dieser menschenverachtenden Gesinnung entgegen zu stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Karin Müller, MdL