Frage an Karin Evers-Meyer von Iris J. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Evers-Meyer,
vielen Dank für Ihre aufschlussreiche Antwort auf meine Anfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen vom 28.02.2009. Dennoch bleiben für mich noch einige Fragen offen.
1. Wie wollen Sie in einer Zeit beschleunigter Produktivität und einer nach kurzer Erholung wieder stark ansteigenden Arbeitslosigkeit bzw. Kurzarbeit Vollbeschäftigung erreichen?
2. Sie beanstanden, dass auch Erwerbstätige das BGE erhalten würden.
Frage: Wie stehen Sie zu den existierenden Steuer- bzw. Kinderfreibeträgen oder dem Ehegattensplitting, die Erwerbstätige überhaupt erst ab hinreichend hohem Einkommen voll ausschöpfen können? Sehen Sie darin nicht eine Art BGE für Besserverdienende?
3. Im Gegensatz dazu sind (z. T. auch in Vollzeit arbeitende) Geringverdiener darauf angewiesen, mit Hartz IV aufzustocken, mit allen dazugehörigen Belastungen und Erniedrigungen. Siehe hier:
http://www.alice-dsl.net/hartzkritik/ausderpresse.htm#top-Gaengelband-des-Amts
Frage: Wie stehen Sie zu der Diskrepanz, die sich da zwischen Besser- und Geringverdienern ergibt?
4. Genau wie Sie sehen auch andere Menschen in der Arbeit die Möglichkeit zur Teilhabe, aber auch, um sich etwas leisten zu können, z. B. ein Haus, ein neues Auto, Urlaub und vieles mehr, was allein mit einem BGE wohl kaum möglich wäre.
Frage: Wie stehen Sie zu der Vorstellung, lieber Anreize zu schaffen anstatt Menschen unter massiven und z. T. existenzbedrohenden Druck zu setzen?
In Erwartung Ihrer baldigen Antwort verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Iris Jannaschk
Sehr geehrte Frau Jannaschk,
Ihre Fragen zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) beantworte ich wie
folgt:
1) Bis in den Herbst 2009 hinein hatten wir eine sehr gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Davon haben auch zahlreiche Langzeitarbeitslose profitiert. Das geschah trotz hoher Produktivität in den Unternehmen. Ich bin daher überzeugt, dass wir bei guter wirtschaftlicher Entwicklung sehr viele Menschen in Arbeit vermitteln können. Es gab im vergangenen einige Regionen in Deutschland, in denen es deutlich mehr offene Stellen als Bewerber gab. Insofern halte ich auch unter den heutigen Arbeitsbedingungen Vollbeschäftigung für möglich.
2) Unser Steuersystem fördert Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen. Das Kindergeld mit eingerechnet, bezahlt beispielsweise ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern erst ab einem Einkommen von rund 37000 Euro pro Jahr Lohn- oder Einkommensteuern. Dagegen sorgen die zehn Prozent der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen für mehr als die Hälfte des Lohn- und Einkommensteueraufkommens des Staates. Die 20 Prozent mit dem niedrigsten Einkommen bezahlen übrigens überhaupt keine Lohn- und Einkommensteuer. Allerdings kommt es nach dem Überschreiten des Steuerfreibetrages von derzeit 7834 Euro zu einem überdurchschnittlich starken Anstieg der Steuerlast. Diese Belastung in unteren Einkommensklassen sollte abgemildert werden. Dem Ehegattensplitting stehe ich sehr kritisch gegenüber, da es oftmals verheiratete Frauen davon abhält, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Ich begrüße daher einen entsprechenden Vorstoß der SPD-Bundestagsfraktion, der darauf abzielt, das Ehegattensplitting zumindest deutlich zu begrenzen.
Allerdings gibt es aus meiner Sicht bei diesen steuerlichen Vorteile für Familien im Vergleich zu einem bedingungslosen Grundeinkommen einen wesentlichen Unterschied: Die steuerlichen Vorteile sind an eine Erwerbstätigkeit geknüpft. Ich teile daher Ihre Auffassung nicht, dass es sich bei den genannten steuerlichen Vorteilen um ein bedingungsloses Grundeinkommen in anderer Form handelt. Und auch Ihre Vermutung, dass das deutsche Steuersystem Besserverdienende bevorzuge, trifft wie oben dargestellt nicht zu.
3) Es ist tatsächlich ein ernsthaftes Problem, dass viele Menschen zwar Vollzeit arbeiten, aber für ihren Lebensunterhalt dennoch staatliche Hilfen benötigen, weil sie ein zu geringes Einkommen erzielen. Ich befürworte daher die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns. Nur so können wir sicherstellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden. Wer Vollzeit arbeitet, muss davon ohne staatliche Hilfe leben können.
4) Ich finde, dass das BGE eben keinen ausreichenden Anreiz schafft, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen.Vielmehr wird das Geld vom Staat bedingungslos zur Verfügung gestellt. Genau das widerspricht meiner Auffassung von der Bedeutung der Arbeit, wie ich sie Ihnen in meiner vorherigen Antwort dargelegt habe.
Mit freundlichen Grüßen
Karin Evers-Meyer