Frage an Kai Wegner von Corinna V. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Wegner
Seit nunmehr 8 Jahren befinden sich Einheiten der Bundeswehr in Afghanistan unter lebensgefährlichen Bedingungen ohne messbare Ergebnisse im Einsatz. Wahlbetrug im großen Stil, eine Wiederbewaffnung der afghanischen Bevölkerung in Form von Milizen und eine desolate Sicherheitslage in Afghanistan können nicht das Ziel des Mandats sein, dass soeben um drei Monate verlängert wurde.
Weitere Entschlüsse über das Engagement in Afghanistan sollen nach der Afghanistankonferenz fallen und welche konkreten Forderungen werden Sie den Teilnehmern mit auf diese Konferenz geben?
Sehr geehrte Frau Voss,
vielen Dank für Ihren Frage, in der Sie sich kritisch mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auseinandersetzen.
Da ich mit Ihrer Bewertung der Situation jedoch nicht in allen Punkten übereinstimme, möchte ich die Gelegenheit nutzen, meinen Standpunkt darzulegen.
Vor dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft bestand in Afghanistan eine durch die Taliban errichtete Schreckensherrschaft, in der auch fundamentalste Menschenrechte missachtet wurden. Darüber hinaus war Afghanistan ein Rückzugsraum und Trainingsgebiet für Extremisten, die mit Ihrer Gewalt alle liberalen Gesellschaften bedrohten. Aufgrund der weitreichenden Verquickung zwischen der Taliban-Regierung und Al-Qaida wurde den USA in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 vom UN-Sicherheitsrat das Recht auf Selbstverteidigung zuerkannt. Der folgende Einsatz amerikanisch geführter Streitkräfte in Afghanistan hatte den Sturz der Taliban zur Folge. Seither engagieren sich verschiedene Nationen im Land in dem Bestreben, den Terrorismus zurückzudrängen und rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Dieses ist im unmittelbaren Interesse der deutschen Sicherheitspolitik, da auch die Bundesrepublik vom internationalen Terrorismus bedroht ist, wie aktuelle Beispiele immer wieder zeigen. Das übergreifende Ziel des Einsatzes ist es, die afghanischen Behörden in die Lage zu versetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen.
Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle Fortschritte, die bisher gemacht worden sind, in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist direkt vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte, würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr in das Mittelalter und zu den Gewaltorgien der Taliban wünschen. Massenmorde würden dann wieder an der Tagesordnung sein, die auch von der Bundeswehr mit aufgebauten Schulen und Krankenhäuser würden wieder zerstört werden und die bisher - sicherlich noch ausbaufähigen - errungenen Frauenrechte würden komplett verloren gehen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger - aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte - stünde zur Disposition, wenn wir uns im Angesicht solcher Perspektiven unserer Verantwortung entziehen würden.
Die Anfang 2010 stattgefundene Afghanistan-Konferenz zeigt die Grundlage für das weitere Vorgehen im Land auf. Das vorrangige deutsche Ziel, die Verantwortung auf die afghanischen Autoritäten zu übertragen, wurde dort präzisiert. Wir haben uns bei der Konferenz erstmalig für einen konkreten zeitlichen Horizont des militärischen Abzugs eingesetzt. Um die wichtigen Zielgrößen hinsichtlich der afghanischen Sicherheitskräfte zügig zu erreichen, kann es unter Umständen sinnvoll sein, sich zunächst stärker zu engagieren.
Die neu gewählte afghanische Regierung muss verstärkt durch die internationale Gemeinschaft in die Pflicht genommen werden. Viele Problemfelder, wie Korruptionsbekämpfung und Etablierung staatlicher Strukturen liegen in der Verantwortung der afghanischen Regierung. Dies sind keine Aufgaben, die Militär bewerkstelligen kann. Nur wenn sich die Menschen in Afghanistan diesen Prozess zu Eigen machen, hat das Land langfristig eine Perspektive. Wir werden die Regierung nach Kräften bei diesen Aufgaben und der Bildung von Vertrauen in der Bevölkerung unterstützen.
Auch wenn Sie meine Haltung eventuell nicht teilen, hoffe ich, dass Sie sie respektieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kai Wegner