Frage an Jutta Krellmann von Ines E. bezüglich Soziale Sicherung
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/schwerbehinderte-verlierer-auf-dem-arbeitsmarkt-a-870630.html . Schwerbehinderte fühlen sich doppelt behindert: körperlich und sozial. Ich bin infolge einer Krebserkrankung als Journalistin/Kulturmanagerin selbst 80% schwer behindert und von Arbeitsweisen in Jobcentern (Verweigerung von Kündigungsschutz im Öffentlichen Beschäftigungssektor, Bedrohung mit dem Entzug des Existenzminimums) und Rentenversicherung (Verweigerung von Erwerbsunfähigkeitsrente) traumatisiert.
Miltons Friedmans These war: Freie Märkte befördern eine freiheitlich orientierte Gesellschaft. Milton Friedman erhielt den Nobelpreis. Deutsche Politiker plapperten das nach. Im Modell Friedman ist eine bedingungslose Grundsicherung als Verhandlungsbasis über Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen integriert – als Voraussetzung für eine freiheitlich orientierte und menschenwürdige Gesellschaft. Politiker verschweigen das. Sie auch?
Politiker haben die Verantwortung für die Rahmenbedingungen, in denen Bürger leben und arbeiten können. Das Recht auf selbst bestimmte Arbeit in gemeinnützigen Vereinen für ein bedingtes Bürgergeld (Existenzminimum plus Aufwandspauschale) wäre bereits eine Hilfe. Aktion Mensch unterstützt die Idee.
Welche Problemlösung bieten Sie und Ihre Partei mir und anderen Schwerbehinderten an?
Sehr geehrte Ines Eck,
DIE LINKE ist der Meinung, dass Menschen mit Behinderungen keine „Sonderwelten“ brauchen. Sie brauchen aber den Ausgleich individuell nicht beeinflussbarer Nachteile. DIE LINKE will deshalb reale Schritte in eine inklusive Arbeitswelt: Nicht die Menschen müssen sich den Arbeitsplätzen anpassen, sondern letztere sind auf die jeweiligen Fähigkeiten zuzuschneiden. Das ist neues Denken á la UN-Behindertenrechts-Konvention.
Deshalb fordern wir ein umfassendes Gesetzesscreening. Alle gesetzlichen Hindernisse für reguläre Erwerbsarbeit von Fachleuten mit Beeinträchtigungen müssen beseitigt werden. Vor allem fordern wir einen anderen gesetzlichen Blick: Barrierefreiheit als Gestaltungs-Prinzip der Arbeitsstättenverordnung, bezahlte Arbeitsassistenz und gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit ohne Reduzierung behinderungsbedingter Nachteilsausgleiche.
DIE LINKE will die Situation von Menschen mit Behinderungen schnell verbessern. Deshalb muss die Beschäftigungsquote als Sofortmaßnahme wieder auf 6 % und die Ausgleichsabgabe so angehoben werden, dass Nichtbeschäftigung von Betroffenen der Firma weh tut, nicht den Draußen-Bleibenden. Wer die Beschäftigungsquote übererfüllt, soll dagegen Vorteile haben, z.B. auch steuerliche. Gern greifen wir den
Vorschlag von ver.di auf, eine Ausbildungsquote und bei Nichterfüllung eine Ausbildungsplatzabgabe für Jugendliche mit Behinderungen einzuführen.
Wir wollen die Arbeitsagentur als einheitliche Anlauf- und Vermittlungsstelle mit hoch qualifiziertem Personal sowie starke Integrationsfachdienste, die nicht nur vermitteln, sondern auch dauerhaft im Job begleiten. Und zwar nach dem peer-counseling-
Ansatz: Betroffene beraten und begleiten Betroffene.
Als Experten in eigener Sache brauchen sie Mitbestimmung, sowohl in Betriebsräten, als Schwerbehindertenvertretungen oder als Werkstatträte, gleichlautend verankert im Betriebsverfassungsgesetz, in der Werkstättenmitwirkungsverordnung und im SGB IX. Es geht um Stimmrechte gegenüber der Geschäftsführung. Und um echte
Verbandsklagerechte. Sie sollen auch dann klagen dürfen, wenn kein einzelner behinderter Mensch es wagt, Klage zu erheben.
Sie haben recht: es bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen, um Rahmenbedingungen zu ändern. Ein verfassungsmäßiges Recht auf Arbeit scheitert bisher nicht an den LINKEN. Dieses Recht müsste jedoch abgesichert werden durch wirksame staatliche Einflussnahme auf die Unternehmen. Ein bedingtes Bürgergeld schafft leider keinen einzigen Arbeitsplatz. Es beseitigt den existenziellen Druck für den einzelnen Betroffenen, und das ist schon viel. Letztendlich jedoch geht es um eine Arbeitswelt, in der jede und jeder seine Fähigkeiten auch tatsächlich einbringen kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Jutta Krellmann