Wie wollen die Grünen den digitalen Wandel gestalten?
Sehr geehrte Frau Verlinden,
über die letzten 30 Jahre hat jede Bundesregierung im Bereich IT und Digitalisierung enttäuscht. Entweder wurden gesetzte Ziele verpasst oder es wurden fatale Fehlentscheidungen getroffen. Bewegung gab es eigentlich nur, wenn es darum ging, mehr Daten zu erheben und neue (oder alte, bereits für illegal erklärte) Überwachungsmaßnahmen zu etablieren.
Wie und wie schnell wollen die Grünen diese Entscheidungen korrigieren und Deutschland und Europa auf einen Weg heraus aus der Abhängigkeit von US-Konzernen bringen, der gleichzeitig ein hohes Maß an Bürgerbeteiligung durch Nutzung offener Standards und offener Lizenzen ermöglicht?
Planen die Grünen, die IT-Sicherheit europäischer Unternehmen zu stärken, z.B. durch eine Abschaffung des "Hackerparagraphen" 202c StGB, oder ein konsequentes geregeltes Responsible Disclosure Verfahren mit einem Verbot der Geheimhaltung und staatlichen Nutzung von IT-Sicherheitslücken?
Mit freundlichen Grüßen
Hauke Born
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Nachricht zu diesen spannenden und wichtigen Themen. Wir Grüne setzen uns seit Jahren für ein gerechte, nachhaltige und innovationsfreundliche Gestaltung der Digitalisierung sowie für ein offenes Netz ein. Daher bewerten wir die Entwicklung in den letzten Jahren ähnlich wie Sie: Bei der Digitalisierung hat die schwarz-rote Bundesregierung aktuell weder eine Vision, wo es hingehen soll, noch treibt sie die notwendigen Entwicklungen mit dem notwendigen Tempo voran. Gleichzeitig sind mühsam erkämpfte Bürgerrechte in Gefahr, weil immer neue Überwachungsmethoden wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung beschlossen werden. Diese lehnen wir Grüne selbstverständlich entschieden ab.
Als Grüne müssen wir diese Entwicklung so schnell wie möglich umkehren und dazu eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen beschließen, von denen ich hier einige wenige exemplarisch ausführen möchte:
- Wir brauchen schnelles Internet für alle, denn schnelles Internet gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge, auch auf dem Land. Dabei wollen wir Grüne zum einen mehr Geld investieren, insbesondere auch in den ländlichen Regionen. Vor allem aber wollen wir einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet beschließen. Konkret bedeutet das: Jede und jeder soll einen Anschluss mit einer Bandbreite, die mindestens genauso hoch ist wie jene, die von der Mehrheit der Menschen bereits genutzt wird, bekommen können. Wo das technisch nicht möglich ist, wird unverzüglich ausgebaut. Die Kosten werden auf die Telekommunikationsunternehmen umgelegt, nach ihren jeweiligen Marktanteilen. Mehr Infos finden Sie auch in unserem Bundestagsantrag „Breitband für alle – Digitale Infrastruktur flächendeckend ausbauen“ aus dem Jahr 2018 (siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/19/053/1905306.pdf).
- Neben dem Ausbau müssen wir auch als Gesellschaft mehr in die Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur investieren. Doch mehr Geld allein reicht nicht. Bereits 2018 haben wir die Bundesregierung aufgefordert, eine echte Kehrtwende bei der IT-Sicherheit einzuleiten, auf verfassungsrechtlich umstrittene Instrumente wie „Hackbacks“ zu verzichten, die Vulnerabilität gegenüber IT-Angriffen insgesamt deutlich zu verringern und auch unabhängige Aufsichtsstrukturen zu stärken. Diese und weitere Forderungen – die leider heute ebenso aktuell sind wie damals – finden Sie u.a. in unserem Bundestagsantrag „IT-Sicherheit stärken, Freiheit erhalten, Frieden sichern“ (siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/19/013/1901328.pdf).
- Ebenso wichtig ist es jedoch, mittel- bis langfristig die digitale Souveränität Deutschlands und Europas zu stärken, sowie die einseitige Abhängigkeit von wenigen Anbietern zu verringern. Darüber hinaus wollen wir Open Source als Standard etablieren. Dafür muss Deutschland auch auf europäischer Ebene eine Vielzahl an Maßnahmen anstoßen und aktiv vorantreiben. Auch hierzu haben wir 2019 zwei umfangreiche Anträge vorgelegt:
- „Maßnahmen zur Gewährleistung der Integrität digitaler Infrastrukturen, Geräte und Komponenten – Für eine größere digitale Souveränität Deutschlands und Europas“ (siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/19/160/1916049.pdf) und
- „Offen für die Zukunft – Offene Standards für eine gerechte und gemeinwohlorientierte Gestaltung der Digitalisierung nutzen“ (siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/19/075/1907589.pdf).
- Und last but not least werden wir als Grüne im Bundestag weiter für die Freiheits-, Bürger- und Menschenrechte im Internet kämpfen. Dabei setzen wir uns aktiv für Datenschutz und Freiheitsrechte z.B. in sozialen Netzwerken ein, sowie gegen Massenüberwachung oder predictive policing im Internet.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten und Ihnen einen guten Überblick über meine und die Position meiner Fraktion zur Digitalisierung geben.
Mit freundlichen Grüßen
Julia Verlinden