Frage an Jürgen Roth von Michael M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Roth !
"Integration von Anfang an" steht auf den Plakaten von Bündnis 90 / Die Grünen, "Deutschland ist ein Einwanderungsland" war ein Motto der Grünen in der (Bundes)regierungsarbeit.
Für Menschen, die in Schöneberg wohnen, ist das Erstgenannte einen Notwendigkeit für ein auf Dauer friedliches Zusammenleben, das Zweitgenannte ein Binsenweisheit.
Jedoch gibt es auch andere Realitäten, die jenseits von Schöneberg, ja jenseits von Berlin liegen. Bei allen Gutverdienenden, einschließlich der grünen Klientel (vielleicht auch der grünen Politiker) sind ethnisch reine deutsche Wohngebiete im Speckgürtel Berlins äußerst populär.
Darf es Ihrer Meinung nach sein, daß sich Menschen aus der multikulturellen Einwanderungsgesellschaft freikaufen können und überhaupt keine Integrationsleistung erbringen ? Wie wäre es, wenn man einen Vorstoß machen würde, den Speckgürtel kommunal (nicht Länderfusion !!!) nach Berlin einzugemeinden und gleichzeitig zu verhindern, daß eine neuer Speckgürtel entsteht (weg mit Häuslebauerförderung, Wohnungsbauprämie und Pendlerpauschale, ich weiß, das sind Bundesthemen) ?
Michael Mehne
Sehr geehrter Herr Mehne,
ich danke für die Frage, in der sie ein wichtiges Problem der Entwicklung aller großen Städte ansprechen: die Abwanderung ins Umland. Die Gründe dafür sind vielfältig - die Folgen für die betroffenen Städte indes eindeutig: Verlust von Familien, Verlust an Steuereinnahmen und Verlust an Kaufkraft. Berlin und seine Bezirke müssen alles tun, um den Trend zur Abwanderung zu stoppen, oder ihn sogar umzukehren.
Die Gründe für die Abwanderung sind vielfältig. Es springt zu kurz, hier nur die Probleme im Zusammenleben mit Migranten als Beispiel zu nennen. Junge Familien wollen oftmals ihre Kinder im Grünen auswachsen lassen, mit wenig Straßenlärm und viel Platz zum Spielen. Daher halte ich nichts davon, mit autoritären Mitteln herangehen zu wollen. Wir würden nämlich tief in das Grundrecht auf Freizügigkeit eingreifen. Was die Wohnungsbauförderung angeht, so ist Rot-Grün seinerzeit im Bundesrat stets mit der Abschaffung der Förderung gescheitert - jetzt hat die Große Koalition diesen Schritt gemacht.
Es ist vielmehr die Aufgabe der Politik, das Leben in der Metropole so attraktiv zu gestalten, dass die Menschen hier bleiben und sich nicht ins Umland zurückziehen! Wir brauchen besser gepflegte Spielplätze und Grünanlagen. Wir müssen uns einen öffentlichen Raum schaffen, der nicht aussieht wie eine Müllkippe!
Wir müssen auch die vielfältigen Probleme unserer Schulen endlich anpacken und in den Griff bekommen. Gelingt und dass, werden Eltern nicht mehr länger aus Sorge um die Zukunft ihrer Kinder mit dem Möbelwagen abstimmen. Um einen solchen Politikwechsel zu erreichen, brauchen auch einen neuen Senat, der nicht alle Ebenen zu Tode spart, sondern die Vision einer modernen Metropole entwickelt und in die Praxis umsetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Roth