Frage an Josip Juratovic von Eckhard V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Juratovic,
mit Empörung habe ich heute von der vorgesehenen Diätenerhöhung im Bundestag gelesen! Und dazu die Begründung, "...es gab hohe Tarifabschlüsse"! Mit Verlaub, unverschämt ist das nicht? Nein, nein es ist KEINE Neid-Diskussion! Ich weiß, daß es nie einen gerechten Staat geben kann - aber einen gerechteren! Der Staat hat immense Schulden, hat für viele sozialen Dinge kein Geld, die Abgeordneten aber nehmen es sich.
Ich bin grundsätzlich für eine hohe Bezahlung für ein solch verantwortungsvolles Amt. Ich erwarte als Bürger aber, daß die Damen und Herren ihre Verantwortung für das Volk sehen, das heißt, zumindest zu Bundestagssitzungen anwesend sind - ohne wenn und aber!
Die Rentenerhöhungen waren wohl nicht an die Tarifabschlüsse gebunden? Nun ja, 0,52% im letzten und vielleicht 1,1% in diesem Jahr. 2009 sollen es ja 3,0% werden - ach ja, da sind doch Wahlen? KEIN Rentner beutet die Jugend aus!
Eine wichtige Frage sei gestattet:
Ist der Generationsvertrag heute noch RICHTIG? 1952 notwendig, wäre es richtig gewesen, zu "goldenen Zeiten" diesen wieder umzugestalten. Dazu war man in allen Regierungen eben zu feige! Es kostet eventuell Wählerstimmen. Juristen und Lehrer im Bundestag wäre ein weiteres, langes Thema!
Sehr geehrter Herr Vater,
ich möchte mich zuallererst entschuldigen, dass ich Ihre Frage zum Thema Diätenerhöhung erst jetzt beantworte. Sie haben sicherlich mitbekommen, dass dieses Thema im Mai 2008 für hohe Wogen gesorgt hat und die Erhöhung letztlich nicht beschlossen wurde. Über all diese politische Aufregung habe ich Ihre Anfrage nicht vergessen, bin jedoch nicht zur Beantwortung gekommen. Dies möchte ich heute nachholen und hoffe, Sie sind trotz des sehr langen zeitlichen Abstandes noch an der Antwort interessiert.
Die finanzielle Entschädigung von Abgeordneten basiert auf dem Grundsatz, dass niemandem aus finanziellen Gründen eine politische Tätigkeit verwehrt wird. Gleichzeitig soll aber auch niemand in die Politik gehen, nur um Geld zu verdienen. Die Bundestagsabgeordneten müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1975 selbst über ihre Bezüge entscheiden; automatische jährliche Anpassungen oder eine Entscheidung über ein Expertengremium sind verfassungswidrig. Die Entscheidungen über Diätenerhöhungen, die daher mehr oder weniger regelmäßig auf der Tagesordnung des Bundestages stehen, sorgen immer für große öffentliche Diskussionen, und das ist auch gut so.
Im November 2007 wurde mit breiter Zustimmung das Gesetz novelliert, damit die Entscheidung, wie die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigungen in Zukunft ablaufen soll, an eine Art Automatismus gekoppelt wird. Zukünftig sollen sich die Diäten an den Bezügen eines Bürgermeisters einer Stadt mit 50 bis 100 Tausend Einwohnern bzw. an den Bezügen eines einfachen Bundesrichters orientieren. Ich habe mich bei dieser Abstimmung enthalten. Zwar halte ich den Ansatz, die Diätenentwicklung an externe Faktoren zu koppeln, für richtig, damit nicht die Abgeordneten selbst mehr oder weniger willkürlich über ihr Einkommen entscheiden können. Ich habe damals jedoch den Vorschlag eingebracht, dass sich die Diätenentwicklung an der Rentenentwicklung orientieren solle, die wiederum an die Entwicklung der beitragspflichtigen Bruttolöhne der rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer gekoppelt ist. Damit wäre eine klare, verständliche und in meinen Augen in der Bevölkerung akzeptierte Formel gefunden worden.
In beiden Fällen der Koppelung der Diäten an externe Lohnentwicklungsfaktoren muss im Bundestag ein Gesetz eingebracht werden, sobald ein neuer Lohnabschluss der Tarifparteien vorliegt. Die Debatte vom Mai 2008 war daher abzusehen, da die Gewerkschaft ver.di und die öffentlichen Arbeitgeber einen neuen Tarifabschluss beschlossen haben, der nun auf die Abgeordnetenentschädigungen übertragen werden sollte. Problematisch war jedoch der Zeitpunkt, nachdem erst im November 2007 die Diäten erhöht worden waren. Zuvor wurde zwischen 2003 und 2007 keine Diätenerhöhung vorgenommen, sodass Abgeordnete derzeit weniger als Bürgermeister und Richter erhalten, an denen sich die Diäten orientieren sollen. Nach langer und heftig geführter öffentlicher Debatte hat SPD-Fraktionschef Peter Struck in Absprache mit unserem Koalitionspartner entschieden, dass die Diätenerhöhung ausgesetzt wird. Ich persönlich trete weiterhin dafür ein, die Diäten an die Rentenentwicklung anzulehnen und sie damit an die Einkommensentwicklung eines Großteils der Bevölkerung anzupassen und nicht nur an die Entwicklung der Beamtenbesoldung. Ich werde mich im Rahmen meiner Tätigkeit in Berlin weiterhin dafür einsetzen - und vermittle dies auch im Wahlkreis, besonders bei meinen ehemaligen Kollegen bei Audi.
Übrigens: Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung muss ich als Abgeordneter meine Diäten voll versteuern und erhalte keine jährlichen Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder ein 13. Monatsgehalt. Dabei wird es auch bleiben.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu Ihrer Anmerkung zur Anwesenheit der Abgeordneten bei Bundestagssitzungen. Dies ist ein Argument, das viele Bürgerinnen und Bürger verständlicherweise hervorbringen, wenn sie bei Phoenix oder direkt im Bundestag vor Ort sehen, dass häufig nur wenige Abgeordnete im Plenum sitzen. Dies liegt jedoch darin begründet, dass der Bundestag - im Gegensatz beispielweise zum britischen Unterhaus, das als Redeparlament gilt - ein Arbeitsparlament ist. Die wichtige Arbeit findet daher in den Arbeitsgruppen der Fraktionen und in den Ausschusssitzungen statt. Hier werden Gesetzestexte erörtert, verändert und über die Zustimmung oder Ablehnung beraten. Im Plenum debattieren dann die Fachpolitiker jeder Fraktion. Ich persönlich nehme mir so oft es geht die Zeit, die Debatten, die mein Fachgebiet der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik betreffen, zu verfolgen. Die Anwesenheit bei Bundestagssitzungen scheint mir jedoch kein Indiz dafür zu sein, ob die Abgeordneten ordentlich arbeiten - dies lässt sich viel eher an der Qualität der Debatten in den Ausschüssen messen.
Das zweite Thema, das Sie ansprechen, ist die Entwicklung der Renten. Gerne verweise ich dabei auf die Persönliche Erklärung zum Gesetz zur Rentenanpassung, die ich am 8. Mai 2008 zusammen mit Kolleginnen und Kollegen abgegeben habe und die Sie als Anlage 5 unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16160.pdf finden.
Das Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung beruht darauf, dass ausreichend in diese Versicherung eingezahlt wird. Durch den demografischen Wandel geht dieser Grundsatz immer weniger auf, da sich das Verhältnis zwischen BeitragszahlerInnen und RentnerInnen verändert. 1950 wurde die Rente eines Rentners noch durch die Beiträge von vier Erwerbstätigen finanziert, heute sind es noch dreieinhalb BeitragszahlerInnen je RentnerIn. 2040 werden es lediglich noch zwei BeitragszahlerInnen sein und bereits 2050 beträgt das Verhältnis unter gleich bleibenden Bedingungen fast eins zu eins. Außerdem beziehen die RentnerInnen durch die gestiegene Lebenserwartung immer länger ihre Renten. Seit 1980 ist die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei Männern von 11 (West) auf 15,2 Jahre und bei Frauen von 13,8 (West) auf 19 Jahre gestiegen.
Bereits jetzt werden die Lücken in der Rentenkasse mit jährlich 80 Milliarden Euro Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt gedeckt. Und die Zahlen zur demografischen Entwicklung verdeutlichen, dass sich das Finanzierungsdefizit der gesetzlichen Rentenversicherung absehbar nicht verbessern wird. Rentenpolitik ist naturgemäß eines der schwierigsten Politikfelder. Ich halte es für richtig, dass sich die Renten an der Entwicklung der Bruttolöhne orientieren (siehe dazu auch meine Antwort auf abgeordnetenwatch vom 13. September 2007). Ich halte auch den Generationenvertrag für richtig, auch wenn er unter den veränderten Voraussetzungen neu gedacht werden muss. Private Vorsorge nimmt bereits jetzt durch die sogenannte "Riester-Rente" einen prominenteren Platz als früher ein. Schon seit Jahren setze ich mich langfristig für ein steuerfinanziertes Sozialsystem ein, wie es jüngst im SPD-Wahlprogramm verankert wurde. Dieses System führt, wie es die skandinavischen Staaten zeigen, zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Eine angemessene Rentenhöhe kann grundsätzlich nur erreicht werden, wenn in der Arbeitswelt faire Löhne gezahlt werden. Wer wenig verdient, kann wenig einzahlen und bekommt später eine niedrige Rente. Für mich ist es daher unverständlich, wie CDU und CSU einerseits populistisch nach Rentenerhöhungen rufen und andererseits einen flächendeckenden Mindestlohn, der für eine faire Entlohnung von guter Arbeit und angemessene Renten sorgen würde, immer wieder blockieren.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen den Hintergrund der Debatten erläutern und meine Meinung zum Ausdruck bringen konnte. Ich entschuldige mich nochmals für die Verspätung meiner Antwort.
Freundliche Grüße
Josip Juratovic MdB