Josip Juratovic MdB
Josip Juratovic
SPD
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Frage von Viktor H. •

Frage an Josip Juratovic von Viktor H. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Guten Tag Herr Juratovic,

Ich würde mich gerne auf folgende Aussage von Ihnen hier auf abgeordnetenwatch.de beziehen:
"Denn es gibt in Deutschland ausreichend Arbeit, und es wird erwartet, dass sich jeder arbeitsloser Erwerbsfähige um eine Arbeitsstelle bemüht."

Den zweiten Teil unterschreibe ich sofort. Den ersten Teil wage ich jedoch partiell zu bezweifeln. Nicht jeder der arbeiten möchte findet etwas das seinen Qualifikationen entspricht. Hierbei sind vor allem jene betroffen, die die Regierung euphemistisch als "bildungsfern" bezeichnet. Simple Arbeit, die kaum auf Bildung zurückgreift gibt es ja immer weniger in Deutschland. Und wenn man sich die Medien anschaut so gewinnt man doch das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen fast schon freiwillig der Bildung versagen. Sprich in Zukunft werden diese Menschen kaum eine Chance haben eine Arbeit zu finden.

Frage: Wie könnten Anreize geschafft werden, dass die Menschen wieder auf den Pfad der Bildung finden?

Ich als Russlanddeutscher hatte noch das Glück die erste Schulklasse in Russland besucht zu haben und weiß was Anforderungen, vor allem in Mathe, sind. Hierzulande hat man aber das Gefühl, dass man die Kinder möglichst nicht überfordern möchte und ihnen in der ersten Klasse gerade mal das Zählen bis 10 oder 20 beibringt. Also in einem Alter, wo die Kinder am aufnahmefähigsten sind, wie immer behauptet wird. Sind dann nicht vielleicht die Lernanforderungen immer mehr gesenkt worden um möglichst vielen eine "gute Ausbildung" zukommen zu lassen? Und wir im Süden sind ja noch gut bedient, wenn man Pisa anschaut.

Das größte Problem dürfte dann aber sein, dass die talentierten Leute alle auswandern. Weil es hier keine Arbeit gibt, die ihrem Profil entspricht oder halbwegs akzeptable Bedingungen bietet. Gibt es also wirklich "ausreichend Arbeit"?

Mit freundlichen Grüßen aus Ihrem Wahlkreis,
Viktor Hemminger, Bad Friedrichshall

Josip Juratovic MdB
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hemminger,

Ich freue mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Antworten hier auf abgeordnetenwatch so aufmerksam durchzulesen. Der Ausschnitt, mit dem Sie mich zitieren, dass es in Deutschland ausreichend Arbeit gebe, ist jedoch ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen: Ich habe dies in Verbindung mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen gesagt, und in diesem Zusammenhang stehe ich auch dazu, dass grundsätzlich alle Menschen die Möglichkeit und die Anforderung an sich selbst haben müssen, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die Chance dazu haben, in Arbeit zu kommen.

Gerne gehe ich auf Ihre weitergehenden Fragen ein:

Sie sprechen an, dass Menschen mit einem geringen Bildungsniveau auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland nur schwer Fuß fassen können. Dieser Einschätzung kann ich leider nicht widersprechen. Dass vor allem Jugendliche, die „nur“ einen Hauptschulabschluss vorweisen können, Schwierigkeiten dabei haben, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden, ist unbestreitbar. Als ehemaliger Hauptschüler habe ich die Initiative „Hauptschülern eine Chance geben“ ins Leben gerufen. Mir ist der Einsatz für Ausbildungsplätze in unserer Region besonders wichtig. Im letzten Monat hat der angesprochene Initiativkreis in Heilbronn eine Ausbildungsmesse unter dem Motto „Wir bilden Hauptschüler aus“ veranstaltet. 23 Unternehmen aus Handwerk, Industrie, Dienstleistung und Handel sind dort mit über 400 Jugendlichen ins Gespräch gekommen. In Zeiten des Fachkräftemangels ist die Förderung von Haupt- und Werkrealschülern auch für Betriebe eine Chance für die Zukunft vorzubauen. Bei meinen Terminen in Unternehmen werbe ich daher stets dafür, auch und gerade Hauptschülern Arbeitsplätze anzubieten.

Ihren Eindruck, dass „sich immer mehr Menschen fast schon freiwillig der Bildung versagen“, kann ich nicht teilen. Gerade durch meine Arbeit im Wahlkreis habe ich vielmehr den Eindruck, dass sowohl jungen Menschen sich mit großem Einsatz um einen Ausbildungs- oder Studienplatz bemühen, als auch ältere Menschen sich beispielsweise durch Fort- und Weiterbildungen dem Arbeitsmarkt entsprechend qualifizieren. Schwarze Schafe gibt es natürlich immer.

Der deutsche Arbeitsmarkt hat derzeit und zukünftig einigen Herausforderungen zu begegnen: Erstens der Integration von (Langzeit-)Arbeitslosen in die Arbeitswelt, zweitens dem demografischen Wandel unserer Gesellschaft und drittens der Abwanderung qualifizierter Arbeitnehmer ins Ausland und dem damit verbundenen Fachkräftemangel. Um Ihre Frage nach „ausreichend Arbeit“ zu beantworten, möchte ich Ihnen anhand der einzelnen Punkte erläutern, welche Linie die SPD verfolgt, um alle Menschen angemessen in Arbeit zu bringen:

Die Integration von (Langzeit-)Arbeitslosen in die Arbeitswelt muss das oberste Ziel einer aktiven Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik sein. Die Bereitstellung einer guten Arbeitsvermittlung ist dabei genauso essentiell wie Weiterbildungsprogramme für Arbeitslose, sodass diese nicht den Anschluss verlieren und bei Bewerbungen tatsächlich realistische Chancen auf einen positiven Ausgang haben.

Der demografische Wandel stellt vor allem auf die Zukunft gesehen die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft und den Arbeitsmarkt dar. Im Jahr 2020 wird jeder dritte Erwerbstätige in Deutschland älter als 50 Jahre sein. Die „Initiative 50Plus“, die die SPD unter Franz Müntefering gestartet hat, fordert und beinhaltet Maßnahmen zur altersgerechten Gestaltung der Arbeitswelt. Auch der „Rente mit 67“ müssen der Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik begegnen. In unserer Arbeitswelt müssen wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen tatsächlich länger arbeiten können. Denn Fakt ist, dass der Leistungsdruck steigt, die Auslastung der Beschäftigen bei über 95 Prozent liegt, die Anzahl der psychischen Erkrankungen stark zunimmt. Unter den heutigen Arbeitsbedingungen kann eine Vielzahl von Arbeitnehmern nicht einmal bis 65 arbeiten, geschweige denn bis 67. Die Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer müssen umgestaltet und angepasst werden. Auch müssen die finanziellen Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer bereitgestellt werden. Es ist falsch, dass die schwarz-gelbe Regierung diese kürzt!

Mit der Fachkräfteentwicklung beschäftige ich mich bereits seit langem. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 2008 in einer Projektgruppe, der auch ich angehörte, ein Papier unter dem Titel „Bildungsanstrengungen verstärken – Fachkräftepotenziale ausschöpfen“ verabschiedet. Meine grundlegende Argumentation war und ist: Unternehmen dürfen erst über einen Fachkräftemangel jammern, wenn sie ordentlich aus- und weiterbilden. Es kann nicht sein, dass jedes Jahr zahlreiche Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhalten und ältere Arbeitnehmer ohne Weiterbildung frühverrentet werden, und die Wirtschaft, um diese von ihr selbst verschuldeten Lücken zu schließen, nach Arbeitnehmern aus dem Ausland ruft. Das Papier finden Sie unter http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_datei/0,,9770,00.pdf .

Erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sind für mich wichtige Angelegenheiten. Ich verfolge das Ziel, dass alle Menschen ihren eigenen Lebensunterhalt durch gerecht bezahlte Arbeit verdienen können. Daher kämpfe ich auch gegen jegliche Form prekärer Beschäftigung, besonders in der Leiharbeit.

Mit freundlichen Grüßen
Josip Juratovic

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