Frage an Josip Juratovic von Birte S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Juratovic,
ich habe von den Plänen gehört, den NC für das Medizinstudium fallen zu lassen, um dem Ärztemangel zu begegnen. Ich selbst bin Anästhesistin (30 J.) und habe bislang 100% gearbeitet. Dabei blieb unserer Familie von meinen Gehalt 600,-!!! Wie kommt diese erbärmliche Summe zustande? Wenn ich nicht arbeite, hat mein Mann Steuerklasse 3 und somit ein höheres Nettoeinkommen. Dann haben wir als größten Kostenpunkt noch 2 Kleinkinder, deren Betreuung zu organisieren nicht nur sehr schwierig, sondern eben auch kostspielig war. Jetzt bekommen wir das dritte Kind und ich habe ganz aufgehört zu arbeiten, denn nun wäre die Kinderbetreuung so teuer, daß sie mein gesamtes Gehalt auffressen würde. Das heißt eine gesuchte Ärztin weniger auf dem Arbeitsmarkt. Im Kollegium sind wir sehr viele Frauen, denen es ähnlich geht. Das bedeutet für unser Haus mit 800 Betten, daß während sie händeringend jeden verfügbaren Leiharzt zu deutlich höheren Preisen einkaufen, ein Teil des vertrauten Stammpersonals zuhause sitzt und Kinder hütet. Für das Haus bedeutet es zudem, daß die Qualität sinkt, da die Leihärzte nie so vertraut mit den Abläufen sind oder das Restpersonal sich in zahlreichen Überstunden überarbeitet, während die Kosten steigen, da die Leihärzte aufgrund mehrerer Faktoren teurer bezahlt werden müssen. Macht das Sinn? Als Schnittstelle zur Familienpolitik: Es fehlt nicht nur eine adäquate Kinderbetreuung, sondern sie müßte auch bezahlbar sein. Oder Ärzte verdienen einfach zuwenig, wenn sie mit drei Kindern nicht mehr arbeiten können. Was ist Ihr Vorschlag, solchen Problemen entgegen zu treten?
Mit freundlichen Grüßen,
Birte Schulze
Sehr geehrte Frau Schulze,
Ich freue mich, dass Sie sich mit Ihren Fragen direkt an mich wenden. Sie sprechen mit Kinderbetreuung, Familien- und Steuerpolitik Themen an, die viele Bürgerinnen und Bürger bewegen. Auch mir sind diese Themen wichtig. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich selbst drei Kinder, deren Betreuung meine Frau und ich vor einigen Jahren organisieren mussten. Meine Frau ist als Krankenschwester auch im Gesundheitswesen tätig.
Im deutschen Steuerrecht können Familien unterschiedlich besteuert werden. Wenn in einer Ehe zwei Verdiener sind, die in etwa gleich verdienen, wird Lohnsteuerklasse 4 empfohlen. Arbeitet nur einer der Ehepartner, kann Lohnsteuerklasse 3 angewandt werden, bei dem ein höherer Freibetrag besteht. Daher erhält Ihr Mann jetzt ein höheres Nettoeinkommen.
Neben den Lohnsteuerklassen werden bei Familien durch das Ehegattensplitting beide Einkommen zusammengerechnet, durch zwei geteilt und dann nach der Grundtabelle besteuert. Dadurch wird bei unterschiedlich hohen Verdiensten der Ehepartner die Progressionswirkung gemindert. Das Splitting fördert jedoch einseitig die Ehe, und zwar auch dann, wenn keine Kinder vorhanden sind. Vom Splitting profitieren am stärksten die Paare mit nur einem Verdiener. Es setzt damit negative Erwerbsanreize, wie Sie es deutlich beschreiben. Außerdem profitieren Paare mit partnerschaftlicher Arbeitsteilung und gleich hohem Erwerbseinkommen nicht. Diese Zweiverdienerehepaare haben aber viel höhere Kinderbetreuungskosten, und auch sonst sind ihre Ausgaben, wie zum Beispiel für Fahrtkosten, oft höher. Daher ist es notwendig, dass das Ehegattensplitting überdacht wird.
Seit 2006 können Kinderbetreuungskosten stärker von der Steuer abgesetzt werden. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich fordere, dass das Steuersystem in Zukunft nicht mehr blind die Ehe fördert, sondern Familien mit Kindern – ob die Eltern verheiratet sind oder nicht – gezielt steuerrechtlich unterstützt werden. Ziel muss sein, dass Eltern, die beide arbeiten wollen, in diesem Vorhaben vom Staat unterstützt und nicht dafür bestraft werden.
Jenseits des Steuersystems liegt mir die Kinderbetreuung sehr am Herzen. Auf Initiative der SPD-Gemeinderatsfraktion ist seit Januar 2008 der Kindergartenbesuch in Heilbronn gebührenfrei. Heilbronn ist die erste Großstadt bundesweit mit einer solchen Regelung. Hier wurde vor Ort gezeigt, dass die Kommunen Handlungsmöglichkeiten haben, um eine bessere Betreuung zu organisieren. Auch bundesweit konnten wir viele neue Regelungen schaffen. Ab dem Kindergartenjahr 2013/14 besteht ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige. Der Bund beteiligt sich dauerhaft finanziell an der Kinderbetreuung. Die Zahl der Betreuungsplätze konnte damit kontinuierlich erhöht werden. Durch den Rechtsanspruch können wir endlich eine konkrete Forderung an die Kommunen stellen, dass der Ausbau der Betreuungsplätze auch tatsächlich passiert. Leider steht Baden-Württemberg in der Betreuung Unterdreijähriger im bundesweiten Vergleich schlecht da.
Die SPD wird sich weiterhin kommunal, landes- und bundesweit für den Ausbau der Kinderbetreuung einsetzen. Wir stehen langfristig für eine Gebührenfreiheit der Kinderbetreuung. Mittelfristig müssen die Angebote deutlich günstiger werden. Neben der Quantität muss aber auch die Qualität der Betreuung gezielt gefördert werden.
Ihre Schilderung zeigt deutlich, wie wichtig es ist, dass Familien gefördert werden. Ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift und werde Ihre Argumente in meine Arbeit im Deutschen Bundestag und in unserer Region einfließen lassen.
Ich wünsche Ihnen privat und beruflich alles Gute!
Freundliche Grüße
Josip Juratovic