Frage an Joseph Fischer von Ansgar K. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Knoll,
eine lange Antwort für ein kleines Problem. Sie haben dennoch den Kern der Frage nicht verstehen wollen.
Vorab - ich bin kein Kernkraftlobbyist, aber als technischer Chemiker kann ich mir mit Erdöl und Kohle auch sinnvolleres vorstellen, als dieses durch die Einspritzanlagen bzw. Schornsteine relativ sinnlos zu CO2 und H2O umzusetzen. Und ich hab gelernt thermodynamisch zu rechnen, denn damit verdiene ich u.a. meine Brötchen und stopfe bei über 60% Abgabenlast Eichels Haushaltslöcher in den verschiedenen Kassen.
Zur Erläuterung ein paar Dinge, die in den Betrachtungen der Grünen bislang ignoriert werden, man kann es die Kehrseite der Medaille nennen. Vielleicht sind Sie in der Lage, etwas Licht in mein Dunkel zu bringen.
Ein Kernkraftwerk mit 1 GW Leistung setzt bekanntlich 1 Mrd Joule/Sekunde um. Der Brennwert von Steinkohle liegt bei etwa 30 Millionen Joule je Kilogramm, ein Kohlekraftwerk kommt auf etwa 40% Wirkungsgrad zwischen Rohstoffeinsatz und Stromausbeute. Sie brauchen also für 1 GW elektrische Leistung runde 2,4 GW Primärenergie und damit mindestens 80 Kilogramm Kohle je Sekunde. Was fast 300 Kilogramm Kohlendioxid freisetzt. Je Sekunde natürlich. In einem Jahr mit 7000 Volllast-Stunden (AKWs sind Grundlastkraftwerke) werden somit 7,5 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet.
Zur Grösse der Zahl: ein moderner kleiner PKW wie ein Corsa / Polo hat etwa 130 Gramm CO2 Emissionen /km. Diese 7,5 Mio Tonnen sind also vergleichbar mit 6*10^10 Kilometern Fahrleistung eines Kleinwagens. Also etwa eine Million mal um die Erde. Was sinnvoller ausgedrückt bei 12.000 km mittlerer Jahresfahrleistung etwa den jährlichen Emissionen von 5 Millionen Kleinwagen entspricht. Oder 2.5 Millionen SUVs. Wahrscheinlich "sparen" alle deutschen Kernkraftwerke zusammen soviel CO2, wie der hoch besteuerte und böse Strassenerkehr emittiert, Sie werden diese These leicht prüfen können.
Was das bei 0.1%-2% Schwefelanteil der Kohle (Braunkohle hat bis 2% Schwefel) und 90-95% angenommener Entschwefelung an Schwefelsäure durch die Schornsteine gepustet wird, fällt vergleichsweise lächerlich aus. Auf die paar hundert Tankzüge kommts dann auch nicht mehr an, von Stickoxiden (Stichwort OZON) ganz zu schweigen. Leider gibts kein Fernseh- und Waschmaschinenverbot bei Ozonwetterlagen.
Diese Zahlen sollten Ihnen allerdings in etwa bekannt sein, das ist Physik auf dem Niveau einer 11 oder 12. Klasse. Ich könnte Ihnen auch ausrechnen, wieviele Festmeter Holz anstelle eines AKW verfeuert werden müssten, aber ich möchte die Bundesrepublik auch mental nicht entwalden.
Nun zu Ihren Optionen: Regenerative Energien. Also Wind, Sonne, Biomasse.
zum Wind: wie wollen Sie diesen Speichern oder gibts Strom nur bei passendem Wetter? Bei den Mengen bleiben eigentlich nur Pumpspeicherkraftwerke übrig. 100m Höhenunterschied eines Kubikmeters Wasser hat eine Energie von etwa 1 MJ. 1 GW sind also 1000 Kubikmeter Wasser über ein gefälle von 100m in einer Sekunde. Ich überlasse Ihnen auszurechnen, wieviele Kubikkilometer Wasser man bei welcher Höhe braucht um eine Schwankungssicherung über ein paar Stunden bis Tage bei Windenergie zu realisieren. Meine Vermutung ist, wir müssten in Österreich einmarschieren und dort jede Schlucht mit Staumauern versehen [1]
Solarstrom ist geringfügig teuer, nachts nicht erhältlich und mit bestehender Technik nicht billiger zu bekommen. Da würde auch eine Massenfertigung nichts ändern, Solarzellen sind keine in China herstellbaren Stanzteile.
Bei Biomasse können Sie sich anhand der Hektarleistung eines Rapsfeldes selbst ausrechnen, wieviel Prozent des deutschen Energiebedarfs aus Biomasse gedeckt werden können. Auch wenn Sie jeden Acker mit EU Stillegungsprämien bzw. Überproduktion auf "Biomasse" umrüsten, das langt nicht.
Bleibt als logische Konsequenz, daß Sie Strom sparen müssen. Bevor Sie dem Hartz IV Empfänger die Nachmittagstalkshows verbieten (rechnen Sie sich aus, wieviele Tonnen CO2 aus 1 Mio Fernseher zu je 150 Watt für 4h Talk/Gerichtsshows je Nachmittag erzeugt werden), so bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, deutlich stromverbrauchende Industrie zuzumachen (die woanders wieder aufmacht und uns Arbeitsplätze kostet). Oder den fossilen Strom so sehr zu verteuern, daß sich jeder freiwillig diese Nachmittagssendungen spart. Sie nennen das Lenkungswirkung, ich nenne das Abzocke. Bezogen auf 85 Cent Steuer je Liter Benzin und die CO2 Emissionen müsste die Kilowattstunde Strom etwa 40-45 Cent kosten. Womit Windstrom auf einmal künstlich lukrativ gemacht wird, denn den CO2 neutralen Atomstrom gibts als Konkurrenz dann nicht mehr. Aber ich möchte Ihre nächsten Grundsatzprogramme nicht vorwegnehmen, durch diesen Denkprozess müssen Sie selbst durch.
Zusammenfassend: Bezüglich Atomausstieg im besonderen und Umweltschutz allgemein fehlen mir von den Grünen _komplette_ Zahlenwerke, wie die entstehende Deckungslücke leidlich CO2 neutral und mit hoher Versorgungssicherheit zu schliessen ist. Und am besten OHNE sich per Erdgas vom Ausland abhängig zu machen oder Kohle durch den Schornstein zu scheuchen.
Weiterhin möchte ich ein paar Ihrer fachlichen Fehler ansprechen. Uran wird nicht in wenigen Jahrzehnten alle sein, das ist chemisch gesehen absoluter Unfug. Wenn man Brüter nutzen würde (die können Plutinium besser nutzen), so hätte man aus den abzurüstenden Kernsprengköpfen der Supermächte genug Material für jahrzehntelangen Betrieb aller KKWs. Davon ab halte ich einen Atomsprengkopf in einem russischen Lager tatsächlich für gefährlich und betrachte diesen als grösseres Risiko wie einen Brüter in meinem Vorgarten.
Deutsche Kernkraftwerke (die "Kuppeln" mit dem Reaktor) können Sie übrigens gerne mit einer Panzerfaust beschiessen. Nur darf man nicht vergessen, hinterher den Beton mit Bitumen gegen Feuchtigkeit und Frostschäden abzudichten. Sie sind sicher nicht beim Bund gewesen, sonst wüssten Sie etwa wie lächerlich so eine RPG gegen einen Meter Stahlbeton in Bunkerqualität ist.
Bezüglich Ihres Gejammers zur Steuerfreiheit der Entsorgungsrückstellungen fühle ich mich veräppelt. Diese ist von der Politik bzw. dem Steuersystem selbst verbrochen. Sie waren lange genug in der Regierung, um diesen Gewinnverschiebebahnhof der EVUs anzugehen. Aber Herr Werner Müller war kompetent genug, wieder mal jeder Deregulierung entgegenzuwirken und danach kam gar nichts mehr. Wenn übrigens eine Besteuerung der Entsorgungsrücklagen der EVUs rechtlich möglich wäre, muss ich Ihnen bzw. der SPD leider unterstellen, daß Sie sich entweder für dumm verkaufen liessen oder sogar gekauft wurden. Wenn eine Besteuerung der Rücklagen rechtlich jedoch nicht möglich ist, so fühle ich mich durch Ihr Gejammer über die so hohen Rücklagen der EVUs veräppelt.
Was übrigens Ihre Kernkraftsubventionen angeht, wo sind bitte 100 Mrd Euro da reingeflossen? Ich verfolge den Bundeshaushalt seit _einiger_ Zeit und kann solche Summen beim besten Willen nicht finden. Ich bemerke höchstens langfristig steigende Rentenzuschüsse und steigende Versorgungsleistungen aus den Verbeamtungswellen der siebziger Jahre. Außerdem sind mir die Kosten des Endverbrauchers für Trittins Hobby "EEG" bekannt, aber das ist leider keine Subvention im juristischen Sinne, da es der Bund nicht bezahlt. Das Endergebnis ist übrigens das selbe, leider gilt der Satz von Hess sinngemäß nicht in der Politik.
Abschliessend hoffe ich, daß in der Politik endlich Sachverstand statt Großmäuligkeit regiert. Trittin kann wahrscheinlich nichtmal eine Kilokalorie in kWh umrechnen und ist Umweltminister, während sich ausgewiesene Finanzexperten wie Eichel jedes Jahr aufs Neue um 30 Mrd Euro verrechnen. Über Lafontaine/Gysi muss man kein Wort verlieren, Merkels Haufen hat leider fachlich auch nicht viel mehr zu bieten als die aktuelle Regierung.
Das hat man davon, daß derjenige mit den schönsten Versprechungen gewählt wird und nicht der mit den finanzierbaren Programmen und soliden Prognosen. Schulden haben leider keine Stimme, sonst wären Kohl und Schröder weit früher vom Verfassungsgericht abgesetzt worden. Stattdessen zahlen wir 30 Mrd Euro Zinsen für aufgeblähte Verwaltungen und soziale Wohltaten der siebziger und achziger Jahre, mein Dank an alle Beteiligten für solch solides wirtschaften.
Wenn ich meinen Text so überfliege frag ich mich, wieso ich nicht auswandere.
Mit freundlichen Grüssen,
Ansgar Kursawe
PS: nein, ich arbeite weder direkt noch indirekt für einen Energieversorger oder ein Unternehmen, was im entferntesten mit Kernkraft zu tun hat.
[1] In die Schweiz können wir nicht einmarschieren, da dann das schöne Schwarzgeld weg wäre. Aktuell passt ein Einmauern und Überfluten von Bayern besser in die politische Landschaft und lädt weniger zu unpassenden historischen Vergleichen ein.
Sehr geehrter Herr Kursawe,
herzlichen Dank für Ihre rasche Antwort auf meine Antwort. Ich bin kein Spezialist, was Energiepolitik angeht. Wenn Sie Antworten auf so detaillierte und fachkundige Fragen haben möchten, dann bitte ich Sie, mit unserem Fachreferenten Andree Boehling Kontakt aufzunehmen (andree.boehling@gruene-fraktion.de). Er kann Ihnen wesentlich fachkundiger, pointierter und zielgenauer antworten, als ich das kann. Bitte zögern Sie nicht, Herrn Boehling anzumailen.
Herzliche Grüße
Michael Knoll
Wiss. Referent