Frage an Joseph Fischer von Michael Horst W. bezüglich Recht
Sie sind auf der Kundgebung in Saarbrücken den Vorwürfen, Hartz-IV mit unterstützt zu haben geschickt ausgewichen und haben, um Hartz-IV zu rechtfertigen nur die wenigen positiven Aspekte erörtert. Dass es aufgrund der 1-Euro-Jobs zu einem Lohndumping kommt und die lange angesparten Vermögen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit dadurch erstmal aufgebraucht werden müssen, bevor man überhaupt Anspruch auf ALG-II hat, wurde bewusst verschwiegen. Kann man daraus schließen, dass die verfassungswidrigkeit dieses Sozialkahlschlagsgesetzes, die zweifellos von Verfassungsrechtlern bescheinigt wurde, von Ihnen einfach so ignoriert wird?
Sehr geehrter Herr Wolf,
bevor ich Ihre konkreten Fragen beantworte, möchte ich einige Worte über unsere Gründe für die Entscheidung zu Hartz IV verlieren. Wir waren und wir sind der Meinung, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe richtig und überfällig war. Daher werden Bündnis 90/Die Grünen nicht von Hartz IV abrücken. In der Vergangenheit gab es zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen. Sozialhilfeempfänger hatten keine Ansprüche auf die Hilfestellungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, sie waren nicht sozial versichert. Sie mussten für jede Leistung viele Wege und diskriminierenden Umgang hinnehmen.
Wir wollen aber gerade jetzt in einer Phase intensiver politischer Auseinandersetzung klarmachen, dass Hartz IV zwar ein richtiger und notwendiger Schritt war, aber für Bündnis 90/Die Grünen nicht als Endergebnis der Reform stehen bleiben darf, sondern in wichtigen Aspekten verändert werden muss. Ungerechtigkeiten müssen korrigiert werden und grüne Grundsicherungselemente müssen Hartz IV zu einem Sicherungssystem machen, das armutsfest ist, die Integration in den Arbeitsmarkt fördert und die Autonomie der EmpfängerInnen achtet. bei uns in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen gab es von Anfang an Kritik an dem einen oder anderen Aspekt von Hartz IV. Der bündnisgrüne Abgeordnete Werner Schulz enthielt sich sogar bei der Abstimmung dieses Gesetzes. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir viele der grünen Vorstellungen durchsetzen, zugleich sind aber auch wesentliche grüne Forderungen an Union und Koalitionspartner gescheitert. Wir knüpfen jetzt an die Forderungen an, die Bündnis 90 / Die Grünen auf den BDKs in Kassel, Cottbus und Kiel formuliert haben. Die Reform des Arbeitsmarktes, die durch die bekannte hohe strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland überfällig war, kann aber nicht von heute auf morgen wirken. Reformen brauchen Zeit. Wer verkündet, dass er weiß, wie er in einem Monat, einem halben Jahr oder einem Jahr die Arbeitslosigkeit signifikant senken kann, schadet der Politik, weil er das Vertrauen der Menschen in die Politik schwächt. Reformen können zudem nicht aus einem Guß sein, auch wenn das eine bekannte deutsche Politikerin behauptet. Unsere Gesellschaft ist viel zu komplex, um einfachen mechanistischen Regeln zu gehorchen. PolitikerInnen stellen erst im Laufe der Zeit fest, welche Maßnahmen sinnvoll sind, welche nicht, welche Maßnahmen greifen, welche nicht. Reformieren ist ein Prozess, Nachbessern gehört dazu. Wer Nachbessern verteufelt, zwingt sich in einen Perfektionismus, der nicht durchgehalten werden kann. Politik braucht daher den Mut, die Zeit und das Durchhaltevermögen für Reformen. Negiert die Politik eine dieser Eigenschaften macht sie sich zum Sklaven von medialer Meinungsmache und politischem Populismus. Deshalb noch einmal in Kürze: Wir wollen die Arbeitsmarktpolitik in solidarischer und ökologischer Verantwortung modernisieren. Wir sind uns bewusst, dass alle unsere Entscheidungen ein erster Schritt sind, aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Reformieren ist ein Prozess des Nachjustierens und Nachbesserns. Dafür benötigen wir auch die sachliche und fachliche Kritik von Betroffenen und Verbänden. Dies macht politisch verantwortliches Handeln aus. Und schließlich haben wir den Mut und die Standfestigkeit, das von uns als richtig Erachtete auch durchzuziehen und nicht vor Populismus in die Knie zu gehen.
Nun zu den einzelnen Kritikpunkten: Wir von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen sind keine Fans von Ein-Euro-Jobs. Wir sagen, dass qualifizierte Hilfeplanung sichergestellt sein muss. Wir geben sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung den Vorrang vor Ein-Euro-Jobs. Für uns sollen solche Jobs für Menschen die Chance bedeuten, wieder in das Arbeitsleben integriert zu werden. Wir wollen auch vermeiden, dass Ein-Euro-Jobs zu einem Lohndumping führen. Wir setzen auf Integrationsjobs statt auf Ein-Euro-Jobs. Die Zusatzjobs müssen für die Menschen in jedem Fall eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt darstellen. Deshalb sprechen wir als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen eine deutliche Empfehlung an die Arbeitsgemeinschaften vor Ort aus, die über die das Ausmaß und die konkrete Ausgestaltung der Zusatzjobs entscheiden müssen:
* Die Zusatzjobs sollten so arbeitsmarktnah wie möglich ausgestaltet werden, um Übergänge in reguläre Beschäftigung zu fördern;
* Sie sollten Qualifizierungsanteile enthalten, um die Chancen auf einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen;
* Sie sollten für den Zusatzjobber befristet sein, um den Übergang in reguläre, auch durch z.B. Lohnkostenzuschüsse geförderte Beschäftigung nicht zu verhindern;
* Die Träger sollten die Regelleistung zusammen mit dem Verdienst auszahlen, um dem Zusatzjobber damit ein Gesamtentgelt zu bezahlen, das motiviert und eine Würdigung der geleisteten Arbeit darstellt.
Als letztes noch eine Anmerkung zu dem Begriff Ein-Euro-Jobs. Als Zusatzjobber bekommt man den ALG II-Regelsatz sowie zusätzlich einen Verdienst von ein bis zwei Euro pro Stunde für die geleistete Arbeit. Dieser Verdienst bleibt dem Zusatzjobber ohne Abzüge erhalten. Beiträge für die Sozialversicherungszweige werden dabei geleistet wie für alle anderen ALG II Empfänger auch. Die Bundesagentur für Arbeit empfiehlt eine wöchentliche Arbeitszeit von etwa 30 Stunden, um noch ausreichend Zeit zu haben, sich um eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt zu kümmern. Ein allein stehender Zusatzjobber erreicht also ein monatliches Einkommen von 800 bis 950 € (Regelsatz + Verdienst + Unterbringungskosten). Dieser Gesamtverdienst ergibt im Ergebnis einen erheblich höheren Stundenlohn als der Begriff Ein-Euro-Job nahe legt. Dies muss man der Gerechtigkeit halber auch erwähnen.
Was Ihre zweite Frage angeht, so kann ich Ihnen im Namen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen nur betätigen, dass wir sehr unglücklich darüber sind, dass angesparte Vermögen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit aufgebraucht werden müssen, bevor man überhaupt Anspruch auf ALG-II hat. Auch sind wir mit der Regelung der zu geringen Freibeträge bei der Altersvorsorge unzufrieden, denn dadurch müssen viele Betroffene große Teile ihrer Privatrenten und Lebensversicherungen auflösen. Wir wollen daher Altersvorsorgevermögen umfassender schützen, um eine verlässliche Lebensplanung zu ermöglichen. Mit dem grünen Konzept des Altersvorsorgekontos haben wir bereits ein Konzept vorgelegt, das nicht mehr zwischen unterschiedlichen Vorsorgearten unterscheidet und Vorsorgevermögen völlig von der Anrechnung freistellt. Wir fordern ein individuelles Altersvorsorgekonto, in dem 3.000 € pro Lebensjahr steuerfrei zurückgelegt und beim Bezug von Sozialleistungen eingefroren werden können.
Schließlich zu Ihrem Vorwurf, Hartz IV sei verfassungswidrig. Dies hat die PDS vor kurzem behauptet. Es ist aber schlicht eine Behauptung. Nicht mehr.
Wir von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatten uns vorgenommen, im Herbst die Hartz-Gesetze noch einmal gründlich durchzugehen und zu prüfen, welche Maßnahmen beibehalten, welche verändert, welche abgeschafft werden sollten. Unsere Partei Bündnis 90/Die Grünen hatte dazu mehrere Anträge auf diversen Parteitagen gestellt. Wir wurden von den Neuwahlen-Plänen von der SPD überrascht. Nun können Sie als Wähler entscheiden, welche Politik Ihnen am liebsten ist. Die Politik der CDU und FDP, die das Soziale auf dem Kirchhof neokonservativer Visionen beerdigen wollen oder die Politik der PDS/WASG, die, wenn Sie einmal vergleichen, was die PDS in Berlin gemacht hat, uns Neoliberalismus vorwirft, dies bei Lafontaine und Gysi aber "Vorbereitung auf die sozialistische Herrlichkeit der kommenden Tage" heißt. Wir setzen dagegen unsere Politik der solidarischen Modernisierung und ökologischen Verantwortung. Wir stellen uns den Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor denen unsere Gesellschaft steht. Wir werden nicht nachlassen in unserem Engagement für mehr Gerechtigkeit, mehr Selbstbestimmung, mehr Ökologie und mehr Demokratie.
Mit herzlichen Grüßen
Michael Knoll
Wiss. Mitarbeiter Joschka Fischer MdB