Frage an Johannes Singhammer von Alexandra V. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Singhammer,
Wir haben hier in Deutschland ein großes Problem bezüglich der demografischen Entwicklung. Leider haben die deutsche Bevölkerung vor allem Jugend/junge Erwachsene eine negative Einstellung, was die Nachfolger betrifft! Die Statistiken zeigen, dass die deutsche Bevölkerung sich jährlich verkleinert. Wenn dieser Verkleinerungsprozess nicht aufhört, wird es kaum noch Deutsche geben und damit sind Deutsche ohne Migrationshintergrund gemeint! Bedauerlicherweise wird so gut wie gar nicht über Themen wie Familie oder Kinder im Unterricht in der Schule gesprochen und in den Medien kaum erwähnt. Für viele Politiker ist die Immigration von Menschen aus dem Ausland eine Maßnahme zur Bekämpfung dieses Problems. Doch dies ist und kann keine Lösung auf Dauer sein!
Wie stehen Sie zu diesem Thema und wie geht die CDU/CSU (Maßnahmen) damit um?
Mit freundlichen Grüßen,
Alexandra Volodarski
Sehr geehrte Frau Volodarski,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
In der FAZ habe ich genau zu diesem Thema am 09.02.2016 diesen Beitrag in den „Fremden Federn“ veröffentlicht unter der Überschrift:
Die asymmetrische Zuwanderung löst kein Problem
Zwei atemberaubende Entwicklungen verändern Deutschland nachhaltig: die in der Öffentlichkeit alles andere verdrängend diskutierte Zuwanderung von sage und schreibe über einer Million Menschen im Jahre 2015. Und die nebenbei gelegentlich wahrgenommene Alterung und der demographische Verfall Deutschlands in den zurückliegenden Jahrzehnten. Doch in diesem schleichenden und verdrängten Prozess verbirgt sich nicht weniger Dramatik als in der Migrationswucht.
Wurden 1964 in den damals zwei deutschen Staaten noch 1,3 Millionen Babys geboren, waren es 2014 im wiedervereinigten Deutschland nur noch rund die Hälfte. Mit einigen anderen wenigen Staaten teilt sich Deutschland den zweifelhaften Spitzenplatz der geringsten demographischen Zukunftsfähigkeit und muss sich dafür vom französischen Nachbarn als der eigentliche kranke Mann Europas aus allein diesem Grund kritisieren lassen.
Einig sind sich die meisten Wissenschaftler über das rasante Tempo der Veränderung. All das soll innerhalb eines Menschenalters geschehen. Also rasch und nicht erst im kommenden Jahrhundert. Wir blicken in die Morgenröte der größten Völkerwanderung der Geschichte. Nun meinen einige, es sei eine wunderbare Fügung der Geschichte, dass sich gerade jetzt die beiden nachhaltigsten Entwicklungen für Europa und Deutschland ergänzen: rasche hohe Zuwanderung und eine ebenso dynamisch absackende Baby-und Kinderfreundlichkeit mit Geburtenknick. Zum dauerhaften Jubilieren fehle nur noch eine gelungene administrative Steuerung der Zuwanderung. Zu einer „Also alles paletti“-Stimmung besteht aber nicht der geringste Anlass. Zuwanderung - egal in welcher Größenordnung - mag das Demographieproblem Deutschlands und vieler anderer europäischer Länder rein rechnerisch lindern, kann es aber keinesfalls lösen. Eine Behörde mit untadeligem Ruf hat sich erlaubt in aller Vorsicht am 20. Januar 2016 darauf hinzuweisen. Das Statistische Bundesamt formulierte kurz und knapp: „Alterung der Bevölkerung durch aktuell hohe Zuwanderung nicht umkehrbar“.
Um einen Ausgleich bei der aktiven Erwerbsbevölkerung in der Gruppe der 20 bis 66jährigen zu erreichen, wäre eine ungeheuer hohe Zuwanderungszahl notwendig. Diese Migranten müssten aber zugleich auch noch bestens ausgebildet sein und über ideale Integrationseigenschaften verfügen. Vor allem aber wäre es vorteilhaft, wenn sich die Zuwanderer einigermaßen harmonisch in alle Altersgruppen und die Geschlechterverteilung einfügten. Die Realität: Es kommen aber zu uns wenig Ältere, sondern zu 80 % junge Männer im Alter bis 30 Jahre und kaum junge Frauen. Diese Asymmetrie in der Zuwanderung nicht wahrzunehmen, wäre verhängnisvoll.
Die Integrationsanforderung verdichtet sich auf wenige Alterskohorten und stößt damit an Grenzen. Noch gelingt Integration wie etwa in München, obwohl dort bereits jetzt 50 % der jungen Menschen bis 18 Jahren einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Es geht also. Aber wie wird Integration ohne Brüche und Konflikte noch möglich sein, wenn sich die Zahl der Menschen mit deutscher Herkunft in bestimmten Altersgruppen und Städten in eine Minderheit verwandelt?
In vielen Nachbarstaaten erfährt das Ziel einer angemessenen Geburtenzahl eine wesentlich höhere Aufmerksamkeit. Schweden und Frankreich halten eine demographische Offensive in ihren Ländern für notwendig. Wir in Deutschland sollten nicht hochmütig herablassend diese Diskussionen bewusst ignorieren, sondern vielmehr gilt auch in der Demographie: ein Sonderweg Deutschlands wäre nicht vorteilhaft.
Was also tun? Die Balance zwischen den Generationen muss in den Mittelpunkt nicht nur des öffentlichen Interesses, sondern der politischen Entscheidungen gerückt werden. Familien- und Kinderfreundlichkeit müssen endgültig den Status von nur wünschenswerten Perspektiven verlassen und durchgesetzte Wirklichkeit werden. Ein Deutschland, das nachhaltigen Wohlstand für die jüngere Generation schaffen will, braucht mehr Kinder und Menschen, die sich die Realisierung ihres Kinderwunsches zutrauen. Das kostet Geld, aber was machbar ist, zeigt die gewaltige Kraftanstrengung zur Aufnahme der Migranten: 50 Milliarden Euro für die Jahre 2015 und 2016 sind offenkundig schnell aufzufinden gewesen.
Wir können auch von anderen Ländern lernen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in einer eindrucksvollen Studie die demographischen Anstrengungen vergleichbarer Länder untersucht und ihre Erfolge analysiert. Wahlfreiheit der Eltern bei Leistungen des Staates, finanzielle Gerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheinen eine entscheidende Rolle zu spielen.
Auf dumpfe Niedergeschlagenheit, die sich auf Kommentare beschränkt wie „staatliches politisches Handeln sei völlig wirkungslos“ darf man nicht hören. In den vergangenen Jahren hat unser Land eine Reihe von familienpolitischen Eckpunkten umgesetzt mit durchaus nachprüfbarer Wirkung. Die Zahl der Babys, die Frauen in Deutschland im Jahr 2014 geboren haben, erhöhte sich auf 1,47. Der bisher höchste gemessene Wert im vereinigten Deutschland, so das Statistische Bundesamt. Auch wenn 2,1 Kinder für eine Gesellschaft im Gleichgewicht nötig wären und immer noch 200.000 Menschen mehr sterben im Jahr als geboren werden.
Deutschland braucht eine demographische Offensive, um die Integration zu bewältigen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Johannes Singhammer MdB
Vizepräsident des Deutschen Bundestages