Frage an Johannes Lichdi von Johannes L. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Lichdi,
Sie haben mehrfach Ihre Kompetenz bezüglich der Sicherheits-/Überwachungsgesetze unter Beweis gestellt. Sie lehnen Gesetze ab, die unsere Freiheit immer weiter einschränken, aber nur unverhältnissmäßig wenig dem vorgegebenen Ziel nützen. Auch in Ihrem aktuellen Wahlkampf sprechen Sie sich gegen die zunehmende Überwachung aus.
Leider sind aber nicht alle Mitglieder der Grünen auf diesem Gebiet so fachkundig wie Sie. Zuletzt sind 15 Bundestagsabgeordnete der Grünen negativ aufgefallen, als sie sich bei der Abstimmung über das Zugangserschwerungsgesetz enthalten und damit indirekt dafür votiert haben. Gestern hat Ihr Kollege Matthias Güldner (Fraktionsvorsitzender in Bremen) seine Unkenntnis unter Beweis gestellt und sich dabei auch noch kräftig im Ton vergriffen [1]. Dieses Verhalten macht die Grünen für einige Wähler unglaubwürdig, hat sogar bereits zu Parteiaustritten geführt [2].
Welche Möglichkeiten sehen Sie, mit Ihren Parteikollegen in einen Dialog zu treten und zu diesen Themen aufzuklären?
Kritiker des Zugangserschwerungsgesetzes haben verschiedene verfassungsrechtliche Bedenken, darunter die Zuständigkeit des Bundes [3]. Wie ist Ihre Einschätzung dazu? In welcher Form können und wollen Sie die Bedenken prüfen lassen?
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Lötzsch
[1] http://www.debatte.welt.de/kommentare/144723/zur unertraeglichen leichtigkeit des internet
[2] http://www.heise.de/newsticker/Familienministerin-will-Web-Sperren-unbedingt-vorantreiben--/meldung/142617
[3] http://kubieziel.de/personal/20090702-ZugErschwG-MP.pdf
Lieber Johannes Lötzsch,
danke für die Frage und die Blumen für mein Engagement gegen den Überwachungsstaat. Ich erlaube mir etwas weiter auszuholen.
I. Was steht im Gesetz?
Das am 18. Juni 2009 vom Bundestag mit den Stimmen der CDU und SPD beschlossene "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" beauftragt das Bundeskrimimalamt mit der Aufstellung und Führung einer Sperrliste über internet-Seiten mit kinderpornographischem Inhalt. Diensteanbieter werden verpflichtet, dem BKA wöchentlich eine Liste der Zugriffsversuche zu übermitteln. Das BKA übermittelt eine Sperrliste täglich an die Provider, die dann zu diesen Seiten "innerhalb von sechs Stunden" den "Zugang erschweren" müssen. Nutzeranfragen werden zu einem "Stopp-Schild" geleitet, das über den Grund der Sperrung und eine "Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt" berichtet. In der Neufassung des federführenden Bundestagsausschusses für Wirtschaft (!), die dann Gesetz geworden ist, wird der Vorrang der Löschung vor der Sperrung betont, allerdings gilt der Vorrang nicht, wenn "zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebost abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind." Für die Sperrung dürfen "vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladdressen von Telemedienangeboten verwendet" werden. Ins Gesetz eingefügt wurde eine Zweckbindung der erhobenen Daten für die Sperrung: nach § 5 dürfen "Verkehrs- und Nutzungsdaten, die bei der Umleitung auf die Stoppmeldung anfallen, ... nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden." Ein Expertengremium beim Bundes-Datenschutzbeauftragten soll die Führung der Sperrliste kontrollieren. Das Gesetz wird einer Evaluierung unterworfen und ist bis Ende 2012 befristet.
In der Anhörung hat der Sachverständige Prof. Dr. Sieber vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht ausgeführt, dass die Sperrung für den Schutz von Kindern nur eine begrenzte Wirkung habe, da die Sperren leicht umgangen werden könnten.
II. Kritik
1. Das Gesetz etabliert erstmals eine geheime internet-Überwachung durch das Bundeskriminalamt. Schon um die einschlägigen Seiten zu finden, muss das BKA das gesamte Internet durchforsten. Bekanntermaßen wollen die Schäubles dieser Welt nach eigener Aussage "keine überwachungsfreien Räume" zulassen. So besteht der berechtigte Verdacht, dass die abscheuliche Kinderpornographie nur dazu herhalten soll, die Öffentlichkeit an den Aufbau einer Internet-Überwachungsstruktur zu gewöhnen. Dies wäre mit einer freiheitlichen geprägten Gesellschaft unvereinbar. Nur Diktaturen versuchen das internet zu überwachen!
2. Da es sich letztlich um die Verhinderung der Herstellung kinderpornographischen Materials zum Schutz der Kinder handelt und um Unterdrückung des "Marktes", der Kinderpornographie nachfragt, geht es um Gefahrenabwehr - zur Klarstellung: natürlich höchst legitime und wichtige Ziele! - Diese sind aber Länderaufgabe und damit nicht von der Gesetzgebungskomeptenz des Bundes gedeckt. Im Kern scheint es mir wiedermal um die Ausdehnung der Macht des BKA zu gehen, das seit Jahren versucht, alle möglichen Zuständigkeitsbereiche zugewiesen zu erhalten.
3. Alle Sachverständigen sind sich einig, dass die Sperren gerade für die harten Kinderpornoseiten-Nutzer leicht umgehbar sind und daher weitgehend wirkungslos sein werden. Der nach heftiger öffentlicher Kritik neu aufgenommene Vorrang der Löschung vor der Sperrung ist sicher der richtige Weg, aber so weich formuliert, dass er eher wie eine gesetzgeberische Beruhigngspille wirkt, denn dass er tatsächlich Wirkungen entfalten dürfte. Zu Recht ist von Placebo-Gesetzgebung gesprochen worden. Andererseits gilt das Acess-Blocking in Norwegen durchaus als erfolgreich, davon sind offenbar die "Enthalter" maßgeblich beeinflusst. Iich habe aber auch schon anderes gehört.
4. Die Reichweite des Verbotes der Verwendung der Daten zur Strafverfolgung ist unklar. In der Ausschussbegründung heisst es, dass damit eine "Echtzeitüberwachung" verhindert werden solle und Nutzer, die zufällig und unbeabsichtigt auf einschlägige Seiten geraten, nicht der Strafverfolgung ausgesetzt werden sollen. Ansonsten solle die Strafverfolgung aber unberührt bleiben (?). Es bleibt der Verdacht, dass die Daten doch anderweitig verwendet werden sollen. Schließlich zeigt die Vergangenheit, dass Zweckbindungen mit der Zeit tendenziell immer aufgelöst werden (siehe Mautdaten).
5. Das Kontrollgremium beim Datenschutzbeauftragten ist eine Kuriosität: der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hält sich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für zuständig! Offenbar wieder eine Beruhgigungspille, die den guten Ruf von Peter Schaar ausbeuten will.
III. Wie setzt man politisch Überwachung durch?
Die Debatte um internet-Sperren für Kinderpornographie folgt dem üblichen Muster der Durchsetzung neuer Überwachungsmethoden. Erstens: man wähle ein besonders ekliges Verbrechen wie Kindesmißbrauch oder besonders allgemeingefährliche Taten wie Terrorismus. Zweitens: Man erkläre diese Taten seien nur möglich gewesen, weil die geforderten Überwachungsmethoden noch nicht hätten angewendet werden dürfen. Drittens: die Debatte um die Verhinderung dieser Taten wird medial auf die Diskussion um die Einführung dieses Instruments verengt. Viertens: Natürlich wird beteuert, dass das Instrument nur in absoluten Ausnahmefällen und selbstverständlich unter strengster Kontrolle angewendet werden solle. Fünftens: schon nach kurzem wird die Ausweitung verlangt und viertens ist schnell vergessen.
IV. Die GRÜNEN und Herr Güldner
Auch Matthias Güldner und die 15 Enthalter scheinen mir eher von dem hilflosen Gefühl "Man muss doch was machen? geprägt zu sein, als von einer echten Analyse des konkreten Gesetzes. Matthias Güldner hat sich in der Sache und im Ton vergriffen. Seine Vorwürfe entsprechen weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber jungen internet-Nutzern.
Die Position der GRÜNEN im Bundestagswahlprogramm und im Bundesvorstand ist aber eindeutig ablehnend zur internet-Sperre, ebenso wie die Haltung der Bundestsagsfraktion. Ich bitte das zu Kenntnis zu nehmen. Natürlich erhalten abweichende Positionen, nicht zufällig in einer Zeitung vorgetragen, die den GRÜNEN durchaus nicht als gewogen gilt, mehr mediale Aufmerksamkeit.
Die Enthaltung der 15 Abgeordneten ist bedauerlich und schädlich, aber so ist das nun mal in einer demokratischen Partei. Andererseits wird sonst immer beklagt, dass das Gewissen der Abgeordneten durch Fraktionszwang niedergebügelt werde. Den ausführlichen Entschließzungsantrag haben alle mitgetragen. Immerhin waren es die GRÜNEN, die namentliche Abstimmung beantragt haben, der sich zahlreiche Abgeordnete der FDP und der LINKEN durch Abwesenheit entzogen haben - warum wohl? Wir haben für Transparenz gesorgt - das ist bei einer ehrlichen Betrachtung auch mal zu würdigen!
Sie fragen, was die GRÜNEN tun, um die Debatte zu führen. In der Internetpräsentation http://www.gruene.de finden sich ausführliche Stellungnahmen und etwa der Text: "Wie erklärst du Opa das Sperrgesetz", das versucht die komplizierte Materie allgemeinverständlich zu machen.
Ich glaube letztlich geht es um anderes und zugleich um wichtigeres: Leider war und ist es so, dass bürgerrechtliche Positionen seit jeher in der Gesellschaft einen schweren Stand haben. Der Ruf nach dem starken Staat, der durch immer mehr Überwachung in der Lage sei, die Gesellschaft vor Kriminalität zu bewahren, ist immer noch weitaus stärker, als die Sorge um unsere Freiheitsrechte als Grundlage unserer Demokratie. Wir müssen uns fragen, warum das so ist und wie wir das ändern können. Daher sind mir eigentlich konkrete Debatten vor Ort wichtiger als diese etwas künstliche Aufregung um die Stimmenthaltung der GRÜNEN Bundestagsabgeordneten.
Mit freundlichen Grüssen
Johannes Lichdi