Frage an Johannes Kahrs von Bettina L. bezüglich Familie
Frage zum Wechselmodell: Väterrechtsorganisationen, Männerrechtsorganisationen, ein Mütterverband, dessen Mitglieder seine Kinder nicht selbst betreuen, sondern betreuen lassen, mit obengenannten Organisationen kooperierende Organisationen und mit von obigen Organisationen verbundene "Forschung" fordern das Wechselmodell als Standardbetreuungsmodell für alle vehement. Das Wechselmodell nach Trennung ist heute dort Alltag, wo Eltern schon vor der Trennung ihre Kinder gemeinsam betreut haben. Da gibt es also keine Probleme. Beim "Wechselmodell als Standardbetreuungsmodell" geht es darum, dass in erster Linie auch dort Wechselmodelle gegen den Willen eines Elternteils festgelegt werden, wo es vor der Trennung eine Hauptbetreuungsperson gab. Hier meine Frage: Sind Sie für das Wechselmodell als Standardbetreuungsmodell?
Sehr geehrte Frau Landmesser,
vielen Dank für Ihre Frage vom 14.12.2016 zum Thema Wechselmodell und den damit zusammenhängenden Rechtsgebieten.
Sie haben das „Wechselmodell als Standardbetreuungsmodell“ und das Engagement verschiedener Interessenvertretungen diesbezüglich beschrieben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt. Gespräche mit Experten aus den einschlägigen Fachgebieten und Vertretern beteiligter Verbände fanden sowohl intern, als auch auf Ausschussebene statt.
Fakt ist, dass sich die Lebenswirklichkeiten der Trennungsfamilien ändern – das Residenzmodell wird heute bereits durch vielfältige Variationen des Umgangs ergänzt. Auch der Blick ins Ausland zeigt, dass hier Verschiebungen stattfinden und sich vereinzelt die Rechtslage ändert. Regelungen aus anderen Ländern können jedoch nicht einfach übernommen werden, da sich die dortigen rechtlichen und politischen Voraussetzungen zum Teil deutlich von unseren unterscheiden. Festzustellen bleibt, dass das Wechselmodell gesellschaftlich breit diskutiert wird. Es handelt sich um ein emotional stark besetztes Thema.
Als ersten Schritt gilt es zunächst, die wichtigsten offenen Fragen zum Thema Wechselmodell zu klären. Allerdings gibt es einen Mangel an belastbaren Daten und Studien, die speziell auf Deutschland bezogen sind. Das ist auch dem komplexen Themenfeld geschuldet - ein Wechselmodell ist definitorisch noch nicht eindeutig festgelegt, was viele Fragen aufwirft. Um nur einige zu nennen: Gilt es schon ab einer Betreuungsaufteilung von 30:70 Prozent? Ist damit auch der erweiterte Umgang gemeint, der bei Trennungen bereits oft gerichtlich angeordnet wird? Wie viele Kinder sind, je nach Definition, bereits von einem Wechselmodell betroffen und welche Auswirkungen hat dies? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verfolgen diese Debatte aufmerksam. Zudem hat das BMFSFJ selbst eine Studie zum Kindeswohl in Auftrag gegeben, die auch das Wechselmodell untersucht. Hierfür liegen allerdings noch keine Ergebnisse vor.
Abgesehen von grundlegenden Zahlen und Fakten interessiert uns in erster Linie, inwiefern das Kindeswohl von Regelungen in Trennungsfamilien betroffen ist. Weiterhin müssen Überlegungen angestellt werden, wie sich Unterhaltsregelungen ändern müssen und inwiefern Sorge-, Umgangs-, Steuer- und Sozialrechte angepasst werden müssten, wenn das Wechselmodell sich rechtlich etablieren sollte.
Eines wird bei diesen Forschungen, aber auch bei Berichten, die uns von betroffenen Eltern erreichen, deutlich: Jede Familie ist anders, jede Trennung ist individuell, und ein besonderes Augenmerk muss auf dem Schutz der minderjährigen Kinder liegen. Es handelt sich um ein hochsensibles, sehr emotional besetztes Thema.
Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir noch keine abgeschlossene Position zum Thema Wechselmodell haben. Zunächst werden wir uns weiter und möglichst breit informieren, denn politisch vorschnelle Entscheidungen auf diesem sensiblen Gebiet will zu Recht niemand erleben. In diesem Zusammenhang muss auch weiterhin das Wohl des Kindes an oberster Stelle stehen.
Mit freundlichem Gruß
Johannes Kahrs