Portrait von Johannes Kahrs
Johannes Kahrs
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Johannes Kahrs zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Richard J. N. •

Frage an Johannes Kahrs von Richard J. N. bezüglich Soziale Sicherung

Der öffentlichen Berichterstattung entnehme ich, dass die Lebensversicherungs-Unternehmen ihre "Bewertungsreserven" künftig nicht mehr an ihre Versicherten ausschütten müssen.

Bitte erklären Sie mir, was die Bundesregierung und die Koalitionsparteien veranlasst hat, in die Geschäftsgrundlage meiner seit Jahrzehnten bestehenden Lebensversicherungs-Verträge eingreifen zu wollen.

Die voraussichtliche Auszahlungssumme schrumpft ohnehin seit Jahren. Bitte glauben Sie mir: Ich mache mir ernste Sorgen um meine Alterssicherung!

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Richard J. Nikschik

Portrait von Johannes Kahrs
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Nikschik,

vielen Dank für Ihre Frage zur Situation der Lebensversicherungen bzw. zur Bedeutung der Bewertungsreserven für Sie, aber auch für andere Versicherte. Mir, ebenso wie der gesamten SPD-Bundestagsfraktion, ist es wichtig, dass alle Versicherten auch in Zukunft auf die Sicherheit und Rendite ihrer Vermögensanlage und Altersvorsorge vertrauen können.
Die Ursache für unser Problem ist, dass sich die Bewertungsreserven deutlich erhöht haben, weil die Kurse, also der aktuelle Marktwert, hochverzinster Anlagen der Versicherungen in der Niedrigzinsphase deutlich gestiegen sind. Warum ist das so?

Um die derzeitige Situation vereinfacht dazustellen: Lebensversicherer legen das Geld der Versicherten in Aktien, Immobilien und fest verzinsten Wertpapieren an. Letztere machen etwa 90% aller Anlagen aus. Ein Beispiel: Nehmen wir an, die Versicherung hat vor einigen Jahren für 100 Euro (Nennwert) Staatsanleihen gekauft und erhält jährlich 5 Prozent Zinsen. Diese Anleihe ist in der heutigen Niedrigzinsphase natürlich sehr begehrt und hat deshalb vielleicht einen Wert von 120 Euro.
Denn wer sein Geld gegenwärtig in einer neuen Anleihe anlegt, erhält unter einem Prozent Zinsen; also wäre es geschickter, sich die alte Anleihe, wenn auch teurer als der Nennwert, zu beschaffen und damit seine Anlage zu 5 Prozent anzulegen. Die Differenz zwischen dem aktuellen Wert und dem Nennwert von damals ist praktisch die stille Reserve. Diese stille Reserve löst sich mit der Endfälligkeit der Staatsanleihe wieder auf, denn das Papier wird dem Staat für 100 Euro zurück gegeben. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft spricht deshalb auch von „bilanziellen Scheingewinnen“.

Natürlich könnte nun ein Versicherungsunternehmen die Bewertungsreserven auflösen, in dem die Staatsanleihen vorzeitig verkauft würden. Gleichzeitig würde aber die Kapitalanlagerendite im Gesamtbestand aller Anlagen für die Zukunft vermindert und die Versichertengemeinschaft würde sichere künftige Zinserträge verlieren. Was also kurzfristig helfen würde, drückt langfristig auf die Rendite. Theoretisch könnte auch die Risikotragfähigkeit der Versicherung leiden, weil quasi das Tafelsilber verkauft würde.

In Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2005 müssen Versicherte angemessen an den Reserven der Konzerne beteiligt werden. Dieses Urteil wurde im Versicherungsvertragsgesetz in 2007 umgesetzt. Seit 2008 sind die Versicherer somit gesetzlich gezwungen, ausscheidende Versicherungsnehmer zur Hälfte an den ihnen zugeordneten Bewertungsreserven zu beteiligen. Dies gilt für alle Anlageklassen, unabhängig davon, ob sich das Zinsniveau in den verschiedenen Anlageklassen unterscheidet. Der Gesetzgeber hatte damals allerdings nicht mit einem solch langfristigen Zinstief gerechnet. Ich vermute, auch die Kunden der Versicherungen konnten damit nicht rechnen. Der beschriebene Effekt wirkt nun so, dass ein Versicherungskunde in Zeiten historisch niedriger Zinsen eine Art Sonderausschüttung erhält, wenn sein Vertrag zufällig in einer solchen Niedrigzinsphase ausläuft. Durch die aktuelle Niedrigzinsphase steigt also die Bewertung der Reserven an und alle Kunden, deren Verträge aktuell auslaufen, bekommen eine deutlich höhere Bewertungsreserve ausgezahlt als zum Beispiel noch vor einigen Jahren erwartet.

Die Beteiligung an den deutlich höheren Bewertungsreserven vermindert nach Angaben der Versicherer angeblich jenes Vermögen, aus dem die (anderen) Versicherten künftig Leistungen erhalten sollen. Diese eigentlich "zu hohe Auszahlung“ für die aktuell auszuzahlenden Versicherungsnehmer schlage sich künftig in "zu niedrigen" Auszahlungen nieder, so die Versicherer. Jedoch allein auf die Bewertungsreserven und die damit ursächlich zusammenhängende Zinsentwicklung zu schauen, so wie es die Versicherer tun, würde sowohl die vollständige Analyse verhindern, als auch den Lösungsraum deutlich verkleinern.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde vereinbart, im Interesse der Lebensversicherten Maßnahmen zur Stabilisierung der deutschen Lebensversicherer zu treffen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss nun Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dem Deutschen Bundestag ein entsprechendes Maßnahmenbündel vorschlagen und einen Gesetzentwurf vorlegen. Wie von der SPD gefordert, soll dieses Gesamtkonzept Rücksicht auf die vielen Versicherten nehmen, die jahrelang jeden Monat in ihre Versicherung eingezahlt haben.

Inzwischen wird an einer gesetzlichen Regelung gearbeitet. Deshalb möchte ich Sie bitten, den Gesetzentwurf abzuwarten und die hinter Ihren Überlegungen stehenden Fragen auf der Grundlage der später verfügbaren, konkreten Vorschläge zu besprechen.

In der SPD-Fraktion sind wir sind jedenfalls nach wie vor der Ansicht, dass vor allem die Versicherungsunternehmen selbst zu einer Stabilisierung beitragen müssen. Unser oberstes Ziel bleiben die Rechte der Versicherten. Deshalb wird an einer Lösung gearbeitet, die sich nicht nur auf die Bewertungsreserven bezieht, sondern auch eine Reihe weiterer versicherungsspezifischer Maßnahmen mitberücksichtigt. Dazu gehören u.a.:

· die Kostenstruktur des Vertriebs und angemessene Provisionen,
· die Regulierung (bessere Transparenz) von Versicherungen und der Aufbau und die Verwendung der Schlussüberschüsse, der Zinszusatzreserve und der freien Rückstellung für Beitragsrückzahlung,
· die Beteiligung der Eigentümer,
· die Bewertung bzw. Gewichtung der Anlageklassen,
· die Anpassung des Höchstrechnungszinses,
· die Ausschüttungssperren für Dividende.

Jetzt und in Zukunft muss eine gerechte Auszahlung der Lebensversicherung gewährleistet sein. Die Regierung und die Volksvertreter im Deutschen Bundestag werden bemüht sein, eine möglichst faire Lösung für alle Versicherten zu finden.

Mit freundlichem Gruß,
Johannes Kahrs