Warum ist der Amtseid gemäß Grundgesetz Artikel 56 nicht justiziabel und somit Verstöße gegen den Amtseid juristisch nicht verfolgbar?
Sehr geehrter Herr. L.,
Verstöße gegen den Amtseid sind nicht juristisch verfolgbar, weil eine entsprechende Sanktion gesetzlich bzw. verfassungsrechtlich nicht geregelt ist. Der Amtseid steht für sich; Artikel 56 GG begründet weder Zuständigkeiten noch Rechte und Pflichten. Die Leistung des Amtseides ist noch nicht einmal konstitutiv, hat also keinen Einfluss auf den Beginn der Amtszeit.
Wegen der aus Sicht der AfD-Bundestagsfraktion erfolgten, massiven Verstöße gegen die Verfassung durch mehrere Regierungen unter Angela Merkel wurde die Frage einer möglichen Strafnorm, die den Verstoß gegen den Amtseid sanktioniert, im Arbeitskreis Recht und Verbraucherschutz in der letzten Legislaturperiode (19.) intensiv diskutiert. Im Ergebnis wurde die Einführung einer solchen Norm abgelehnt, weil sich kaum ein gemessen am verfassungsrechtlich verankerten strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot gemäß Artikel 103 Absatz GG vertretbarer Regelungsgehalt finden lässt. Denn welches Verhalten wäre schon ein "Verstoß"? Welches noch nicht? Wann ist im Sinne des Artikel 56 GG ein Schaden eingetreten? Wann ist eine Pflichterfüllung nicht mehr gewissenhaft etc.? Unter der durch Artikel 103 Absatz 2 GG gestellten Voraussetzung einer hinreichenden Bestimmtheit der etwaigen Strafnorm hätte gesetzgeberisch eine beinahe unüberschaubare Kasuistik entwickelt werden müssen. Heraus käme eine kaum handhabbare und wahrscheinlich unübersichtliche Strafnorm, die nicht im Sinne der Bürger als Adressaten und Anwender sein kann.
Im Übrigen spricht auch der oben beschriebene, kaum vorhandene juristische Ertragswert von Artikel 56 GG gegen eine korrespondierende, strafrechtliche Regelung. Da der Eid auf Seiten des Bundespräsidenten weder besondere Rechte noch besondere Pflichten begründet, kann er sich folgerichtig nur außerhalb der verfassungsrechtlichen, ja überhaupt der rechtlichen Sphäre auswirken. Der Bundespräsident verspricht durch ihn lediglich vor aller Öffentlichkeit und in einer Form, die den besonderen Ernst dieses Versprechens dokumentiert, den Pflichten nachzukommen, die die Verfassung ihm auferlegt.
Ich wünsche Ihnen noch eine gute Zeit und bleiben Sie gesund.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Huber