Frage an Johanna Voß von Henning A. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Voß.
Das SGB XI wurde 1996 eingeführt um Qualität in den Altenpflegeeinrichtungen zu schaffen, respektive zu verbessern. Ein weiterer, nicht unwichtiger Grund der Einführung war die Schaffung von Wettbewerb. Letzterer Punkt bekommt allerdings eine, vorsichtig ausgedrückt, Schieflage, da die Stellen des Entlassungsmanagements in den Krankenhäusern von "gemeinnützigen" Organisationen besetzt, die selbst einen ambulanten Pflegedienst oder auch stationäre Einrichtungen betreiben.
Ich als Privatperson und Angestellter eines privaten Pflegedienstes kann nur sagen, dass unser Dienst in 4 Jahren nicht eine Empfehlung bekommen hat, obwohl er im ganzen Kreis und darüber hinaus der günstigste Anbieter häuslicher Pflege bei gleicher Leistung ist.
Gehört so eine wichtige Beratungs- und Hilfseinrichtung nicht in neutrale, sprich öffentlich rechtliche Hände um von vornherein das Gefühl der Wettbewerbslenkung bzw. Wettbewerbsbeeinflussung zu vermeiden?
Und wird durch Vermittlung günstigerer Leistungsanbieter nicht auch das Sozialamt und das Gesundheitswesen finanziell entlastet?
Mit freundlichen Grüssen
Sehr geehrter Herr Henning Arndt,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich sehr gerne beantworte.
Wie auch in vielen anderen Bereichen ist die Lösungen der drängenden Probleme der Pflege eine sehr komplexe und vielschichtige Angelegenheit. Ich versuche deshalb, ihre Fragen anhand der pflegepolitischen Positionen meiner Fraktion zu beantworten.
Die Pflegeversicherung ist seit ihrer Einführung 1995 zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Systems sozialer Sicherung geworden. Auch wenn die Pflegeversicherung die Situation von pflegebedürftigen Menschen verbessert hat, ist die Fraktion DIE LINKE im Bundestag der Auffassung, dass sie bis heute unter gravierenden Mängeln leidet, die einer grundsätzlichen Behebung bedürfen.
Die Pflegeversicherung ist eine "Teilkaskoversicherung". Sie gewährt pflegebedürftigen Menschen nur einen Zuschuss zu den Pflegekosten. Dieser Zuschuss dient vorrangig dazu, die familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege zu ergänzen. Um den individuellen Bedarf abzudecken, müssen die Betroffenen und ihre Angehörigen auf ihr Einkommen und Vermögen zurückgreifen. Doch Vielen ist das nicht möglich. Viele pflegebedürftige Menschen werden daher von der Sozialhilfe oder von der Unterstützung ihrer Angehörigen abhängig. Überforderung und Überlastung sind keine Seltenheit. Außerdem wird ein großer Teil des Pflegebedarfs von vornherein nicht abgedeckt. Grund ist der enge Pflegebegriff, welcher der Pflegeversicherung (SGB XI) zugrunde liegt. Der stark auf die alltäglichen Verrichtungen bezogene Pflegebegriff benachteiligt vor allem Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Eine ganzheitliche Pflege und selbstbestimmte Teilhabe sind nicht möglich. Denn Pflege bedeutet mehr als die Unterstützung beim Kämmen, Waschen, Ankleiden und Essen, was dann auch noch einzeln abgerechnet werden muss.
Die Linksfraktion im Bundestag steht daher bei Pflegeleistungen, wie auch bei anderen sozialen Dienstleistungen, einer marktorientierten Leistungserbringung kritisch gegenüber. Denn diejenigen, die auf Pflege angewiesen sind befinden sich in einer Lebenslage, die sie in den meisten Fällen nicht selber zu verantworten haben. Sie sind zudem nicht in der Lage in dieser schwierigen Situation im Sinne eines "Kunden" zu entscheiden, welche Pflegeleistungen sie "einkaufen" müssen und welche nicht. Für DIE LINKE ist Gesundheit keine Ware. Ebenso verhält es sich mit der Pflege.
Darüber hinaus hat die derzeitige Organisation der Pflegeleistung nach wettbewerblichen Kriterien im Pflegeberich zu Niedriglöhnen und zu prekärer Beschäftigung geführt- nicht aber zu besserer Qualität der Leistungen. Der Wettbewerb findet nahezu ausschließlich über den Preis statt, wie Sie mir bestätigen, nicht über die Qualität. In den verschiedenen Bereichen der Pflege-Branche fehlt daher eine erhebliche Anzahl an Fachkräften. Der vielfach befürchtete Pflegenotstand ist bereits real.
Der gesellschaftlich wichtige Pflegebereich wird zu einem bedeutenden Anteil privaten Anbietern überlassen, die oft auf Niedriglohn und prekäre Beschäftigung setzen. Frei-gemeinnützige Träger von Pflegeinrichtungen sind darauf angewiesen, in diesem "Pflegemarkt" zu bestehen. Gute Pflege braucht aber mehr qualifiziertes Personal. Zunehmende Arbeitsverdichtung und schlechte Bezahlung müssen deshalb überwunden werden, um die Arbeit in der Pflege attraktiv zu machen.
Dazu müsste nach unserer Auffassung ein ganz anderer Weg bei der Leistungserbringung der Pflege eingeschlagen werden: In den skandinavischen Ländern wird ein weit besseres Niveau bei der Pflege und anderen sozialen Dienstleistungen bei besseren Arbeitsbedingungen erreicht. Soziale Dienstleistungen werden dort zum Großteil von der öffentlichen Hand bereitgestellt.
Deshalb ist die LINKE auch ganz klar dafür, dass jegliche Pflegeberatung unabhängig und neutral erfolgen muss. Das gilt für Pflegestützpunkte in kommunaler Trägerschaft genauso wie für die Beratungspflicht der Pflegekassen.
Grundlage muss aber sein, dass die ungelösten Probleme der Finanzierung, des Umfangs der Pflegeleistungen und der Nachhaltigkeit von Pflegeleistungen gelöst werden. Dazu muss der enge Pflegebegriff neu definiert und ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt werden. Pflege und Assistenz müssen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen und sich individuell an der Situation des betroffenen Menschen ausrichten. Eine Pflege im Minutentakt muss endlich der Vergangenheit angehören.
Eine Neuausrichtung hin zu einer Pflege, die Teilhabe ermöglicht, gelingt aber nur, wenn die Pflegeabsicherung besser finanziert wird. Die Fraktion DIE LINKE will die Leistungen der Pflegeversicherung daher deutlich anheben und jährlich anpassen. Perspektivisch wollen wir die Leistungen am individuellen Bedarf orientieren. Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wollen wir für soziale Gerechtigkeit sorgen und die Pflegeversicherung dauerhaft stabil finanzieren. Alle Menschen - auch heute privat Versicherte - zahlen dann entsprechend ihrem Einkommen aus Löhnen, Honoraren und Kapitalerträgen in die Bürgerversicherung ein. Arbeitgeber übernehmen die Hälfte der Pflegeversicherungsbeiträge ihrer Beschäftigten.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten.
Mit freundlichen Grüßen,
Johanna Voß