Was wollen Sie gegen den strukturellen Gender Pay Gap tun?
Sehr geehrte Frau Tiarks,
ich finde es gut, dass Sie etwas gegen den Gender Pay Gap tun möchten. Allerdings wird der Spruch "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" diesem Thema nur zu einem kleinen Teil gerecht. Laut seriösen Publikationen wie der Ärztezeitung vom 17.03.2020 oder dem Statistischen Bundesamt vom 9. März 2021 ist der Gender Pay Gap in einem überwältigendem Maße von strukturellen Faktoren abhängig. Also dass Frauen z.B. in schlechter bezahlten Berufen arbeiten, dies nur in Teilzeit tun oder auch seltener Führungspositionen erreichen. Dies hat also nichts mit "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" zu tun, sondern mit den Lebenswirklichkeiten von Frauen in unserer Gesellschaft. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier, diese zu ändern? Wo sehen Sie Handlungsbedarf und was wollen Sie zusammenfassend gegen den strukturellen Gender Pay Gap tun?
Sehr geehrter Herr H.,
Frauen bekommen im Schnitt 19 Prozent weniger Lohn als Männer. Zum Teil (7 Prozent), weil sie trotz gleicher Arbeit niedriger eingruppiert oder trotz gleicher Gehaltsgruppe schlechter bezahlt werden (Männer kriegen z.B. Sonderzahlungen). Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, es reiche nicht aus, nur diesen Teil des Gender Pay Gaps anzugehen. Gründe für die restliche Lohnlücke (12 Prozent) sind u.a.: typische weibliche Berufszweige (Pflege, Erziehung, Soziale Arbeit) sind schlecht bezahlt; traditionelle Arbeitsteilung in Familien, die Frauen in Erwerbspausen und Teilzeitjobs zwingt, Frauen scheitern oft an der »gläsernen Decke«, die sie nicht in Führungspositionen aufsteigen lässt. Das 2017 von CDU und SPD verabschiedete Entgelttransparenzgesetz schafft zwar Transparenz, kann jedoch die strukturellen Ursachen für die Lohnlücke nicht beseitigen. DIE LINKE hat ein Bündel von Maßnahmen:
- Minijobs sozialversichern und einen armutsfesten Mindestlohn von 13 Euro.
- Statt einem Entgelttransparenzgesetz ein neues Entgeltgleichheitsgesetz mit Rückgrat und Verbandsklagerecht, das in allen Betrieben greift
- Aufwertung der sozialen Berufe: Z.B. wollen wir in der Pflege die Grundgehälter um 500 Euro anheben.
- Frauenquote in Führungspositionen von 50 Prozent
- Rechtsanspruch auf eine gebührenfreie und flächendeckende Ganztagsbetreuung für Kinder.
Das ist jetzt eine sehr kurze Antwort auf eine komplizierte Frage. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl geht DIE LINKE darauf sehr viel ausführlicher ein. Ich kopiere Ihnen den entsprechenden Abschnitt im Anschluss noch hier rein.
Mit freundlichen Grüßen
Johanna Tiarks
„(Sorge-)Arbeit und Zeit umverteilen
Frauen und queere Menschen erhalten im Durchschnitt niedrigere Löhne und dann auch weniger Rente. Und sie verfügen über ein geringeres Vermögen als Männer (Gender-Pay-Gap). Sorgearbeit, die als Frauensache gilt, wird in der kapitalistischen Ökonomie systematisch abgewertet. Frauen machen den Großteil der entlohnten und der nicht entlohnten Pflege[1]und Erziehungsarbeit, sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder in weniger gut bezahlten Jobs. Wer wegen Elternzeit länger ausfällt und im Job zurücksteckt, findet seltener eine gute und sichere Anstellung und kann schlechter aufsteigen. Auch deshalb ist der Großteil der Arbeiter*innen im Niedriglohnsektor weiblich. Viele von ihnen haben eine Migrationsgeschichte. In Ostdeutschland sind die Lohnunterschiede zwar geringer, aber die Löhne insgesamt viel niedriger – mehr als jede*r Dritte arbeitet für Niedriglohn. In Deutschland leisten Frauen 50 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer (Gender-Care-Gap). Entsprechend haben Frauen weniger Zeit für andere Tätigkeiten oder sind gezwungen, sich zwischen Familie, Job und Freizeit aufzureiben. Nicht selten endet diese Vielfachbelastung in Burn-out und anderen Krankheiten. Es geht nicht nur um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, damit Frauen ihre Kinder und Karriere noch schneller jonglieren können. Wir brauchen neue Arbeitszeitmodelle– und zwar für alle! Deshalb streiten wir für eine Gesellschaft, in der alle Tätigkeiten und Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen und nicht die Erwerbsarbeit den Takt vorgibt. DIE LINKE unterstützt die Gewerkschaften in ihrem Kampf für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung in Richtung eines neuen Normalarbeitsverhältnisses mit einer 30 -Stunden -Woche, die zum Beispiel auch in Form einer Viertagewoche ausgestaltet werden könnte (vgl. Kapitel »Gute Arbeit«). So bleibt allen mehr Zeit für Familie, für sich selbst und für die Beteiligung an Politik und Gesellschaft. Dazu gehören auch die Begrenzung von Überstunden, ein Anspruch auf familienfreundliche Schichtzeiten und ein Mindestlohn von 13 Euro. Insbesondere Pflege-, Sorge- und Dienstleistungsberufe, in denen besonders viele Frauen arbeiten, wollen wir aufwerten und endlich anständig bezahlen. Den Niedriglohnsektor schaffen wir ab, sodass alle von ihrer Arbeit leben können (vgl. Kapitel »Gute Arbeit«). Das nützt vor allem Frauen. Wir wollen unsere Wirtschaft grundsätzlich umstrukturieren. Sie soll nicht nur nach[1]haltiger und demokratischer werden, sondern die Sorgearbeit (Care-Arbeit) muss ins Zentrum gestellt werden. Denn dass Kranken- oder Altenpfleger*innen, Erzieher*innen oder Beschäftigte in haushaltsnahen Dienstleistungen häufig schlecht entlohnt und unter miserablen Bedingungen arbeiten, hat System. Wir brauchen nicht nur besser bezahlte Pflegekräfte und Erzieher*innen, sondern auch mehr von ihnen! 100000 Pflegekräfte werden jeweils in den Krankenhäusern und Altenheimen gebraucht, damit die Pflegenden endlich wieder Zeit für die von ihnen gepflegten Menschen haben. Durch eine Solidarische Gesundheitsversicherung und eine Solidarische Pflegevollversicherung können wir das finanzieren. Fallpauschalen schaffen wir ab und überführen Krankenhäuser und Pflegeheime wieder in gemeinnützige Hand, jenseits von Markt und Profitmacherei (vgl. Kapitel »Pflegenotstand stoppen! Systemwechsel in Gesundheit und Pflege«). Wir wollen die Kindertagesbetreuung flächendeckend ausbauen, die Qualität verbessern und mehr Erzieher*innen einstellen. Und natürlich müssen Erzieher*innen gut bezahlt werden, damit der Beruf attraktiv für viele ist. Denn nur mit flächendeckender Ganztagsbetreuung müssen Eltern sich nicht zwischen der Betreuung ihrer Kinder und ihrem Beruf entscheiden (vgl. Kapitel »Gute Bildung«).
- Mit würdigen Löhnen für alle beenden wir auch endlich die unwürdigen Renten, von denen vor allem viele Frauen leben müssen. Durch die bessere Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten wird auch unbezahlte Sorgearbeit entsprechend wertgeschätzt (vgl. Kapitel »Gute Rente«). Aktuell gibt es keine echten Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige, die noch im Beruf stehen. Wir wollen sechs Wochen Freistellung bei vollem, arbeitgeberfinanziertem Lohnausgleich (vgl. Kapitel »Pflegenotstand stoppen!«) und unabhängig vom Verwandtschaftsgrad.
- Im Einzelhandel oder im Reinigungsgewerbe sind mehrheitlich Frauen beschäftigt und besonders häufig in prekärer Beschäftigung gefangen. Wir fordern die Abschaffung sachgrundloser Befristung und die Überführung von Minijobs in sozial voll abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse. Unfreiwillige Teilzeit wollen wir beenden: Alle Beschäftigten müssen einen Rechtsanspruch auf eine Vollzeitstelle bekommen.
- Wir wollen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Dafür werden wir ein verbindliches Entgeltgleichheitsgesetz samt Verbandsklagerecht einführen, damit Frauen nicht mehr allein vor Gericht ziehen müssen. Auch private Unternehmen dürfen sich dem nicht länger entziehen. Wir unterstützen den gewerkschaftlichen Einsatz für flächendeckende Tarifverträge, damit Frauen gar nicht erst in solch eine Situation geraten. Unsere Forderung, die Grundgehälter in der Pflege um 500 Euro anzuheben, ist ein Beitrag zur Aufwertung dieser Arbeit.
- Um die partnerschaftliche Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit in den Familien zu fördern, wollen wir den Elterngeldanspruch auf zwölf Monate pro Elternteil verlängern. Der Elterngeldanspruch gilt individuell und ist nicht auf den anderen Elternteil übertragbar. Zudem braucht es einen zusätzlichen Elternschutz von zehn Tagen bezahlter Freistellung für den zweiten Elternteil nach der Geburt des Kindes.
- In Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind Frauen seltener in Führungspositionen vertreten. Das muss sich ändern. Deshalb fordern wir eine Frauenquote in Führungspositionen von 50 Prozent und eine stärkere Teilung von Führungsaufgaben und -positionen durch Jobsharing oder andere Arbeitsmodelle (im Gegensatz zur 30-Prozent-Quote der Großen Koalition).“