Frage an Jörn Wunderlich von Peter L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Wunderlich,
was halten Sie vom Vertragsentwurf zum europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM). Der soll ja in Kürze zur Abstimmung stehen. Wie werden Sie stimmen?
Sehr geehrter Herr Landrock,
nachfolgend die Positionen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, die ich in vollem Umfang unterstütze. Dass ich dem entsprechend abstimmen würde, versteht sich von selbst. Aufgrund einer langwierigen Erkrankung werde ich jedoch an der Abstimmung nicht teilnehmen können.
DIE LINKE lehnt die Euro-Rettung bzw. den sogenannten Euro-Rettungsschirm ab: Die Maßnahmen der Eurozone- und EU-Regierungen setzen nicht an den Krisenursachen an, schonen die Verursacher und Profiteure der Krise und bürden den Bevölkerungen Europas die Krisenkosten und die Risiken der Euro-Rettung auf (siehe unten). Aktuell wird in Deutschland über Aufstockung und Ausweitung der EFSF, die Teil des provisorischen Rettungsschirms ist, sowie über die Einrichtung des dauerhaften Stabilitätsmechanismus ESM ab 2013 debattiert:
Der Euro-Rettungsschirm im Überblick
- Der (erste) Euro-Rettungsschirm mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro (effektives Kreditvolumen: 465 Mrd. Euro), der 2010 eingerichtet wurde, setzt sich aus drei Elementen zusammen; dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und Zahlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Über den Rettungsschirm sollen hochverschuldete Staaten der Eurozone, die am freien Kapitalmarkt nur extrem hochverzinste Kredite bekommen, mit Kapital versorgt werden, um Staatspleiten zu verhindern. Voraussetzung für die Hilfskredite sind rigide Strukturanpassungs- und Sparprogramme, die EU-Kommission und IWF unter Beteiligung der Europäischen Zentralbank (EZB) ausarbeiten, und die das Schuldnerland umsetzen muss. Bislang nahmen Irland (November 2010) und Portugal (April 2011) Kredite des Rettungsschirms in Anspruch. Auch das zweite Hilfspaket für Griechenland soll über die EFSF ausgezahlt werden.
- Aufgrund der anhaltenden Krise wurde im Sommer 2011 die Aufstockung der EFSF auf ein effektives Volumen von 440 Mrd. Euro und die Ausweitung ihrer Instrumente (z.B. der Aufkauf von Staatsanleihen, Kredite an Staaten, die nicht zur Eurozone gehören usw.) beschlossen. Der EFSF-Vertrag muss jetzt ratifiziert werden. Dazu muss der Bundestag ein Gesetz zur Änderung des „Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilitätsmechanismus“ (StabMechG) verabschieden. Dieses Verfahren soll bis Ende September 2011 abgeschlossen sein. DIE LINKE wird hierzu einen eigenen Antrag vorlegen.
- Ab 2013 soll der ESM als dauerhafter Mechanismus mit einem Volumen von 700 Mrd. Euro die EFSF ersetzen. Für die Einrichtung des ESM war eine Änderung des Lissabon-Vertrags (Artikel 136 AEUV) erforderlich. Ein erster Rahmenvertrag wurde vom Europäischen Rat Ende Juni 2011 gebilligt, nachdem die Eurogruppe im Juli eine Ausweitung der ESM-Instrumente beschloss, muss der ESM-Vertrag nochmals geändert werden. Völlig unklar ist bislang, in welcher Form private Gläubiger an den Kosten der Krise beteiligt oder zu Forderungsverzichten verpflichtet werden. Der Vertrag trifft hierzu nur sehr allgemeine Aussagen. Damit der ESM in Kraft treten kann, muss der Bundestag drei Gesetze verabschieden: das Ratifizierungsgesetz zum ESM-Vertrag, das Ratifizierungsgesetz zur Änderung des Lissabon-Vertrags, ein Gesetz, das die haushaltsrechtliche Ermächtigung für die Beteiligung Deutschlands am ESM enthält (nach Art. 115 Abs. 1 im Grundgesetz). Diese Gesetzgebungsverfahren sollen bis Dezember 2011 abgeschlossen sein. DIE LINKE wird eigene Anträge einbringen. Argumente der Fraktion DIE LINKE:
DIE LINKE hat die bisherigen Maßnahmen zur „Euro-Rettung“ abgelehnt und wird auch die Aufstockung und Ausweitung der EFSF sowie die Einrichtung des ESM ablehnen. Mit EFSF und ESM wird ein gescheitertes, marktradikales Krisenmanagement fortgesetzt, das völlig untauglich ist, um die Eurokrise zu überwinden. Unsere Ablehnung der bisherigen Euro-Rettung stützt sich auf zwei wesentliche Gründe: 1) die Maßnahmen setzen nicht an den eigentlichen Krisenursachen an, sind unsozial und wirtschaftlich schädlich. 2) Im Rahmen der Euro-Rettungsschirme werden (nicht nur) in Deutschland demokratische Kontrollrechte verweigert sowie das Haushaltsrecht des Bundestags zunehmend außer Kraft gesetzt:
1) Eurorettung: Keine Ursachenbekämpfung, unsozial und wirtschaftlich unvernünftig: Die Maßnahmen der Euro-Rettung haben die Ursachen der Schuldenkrise in Europa – die fehlende Regulierung der Finanzmärkte und die teure Bankenrettung, die unzureichende Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen sowie die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in Eurozone und EU – nicht beseitigt. Zu letzterem trug maßgeblich die aggressive deutsche Exportpolitik des letzten Jahrzehnts bei, die mit Sozial- und Lohndumping Außenhandelsüberschüsse zu Lasten vor allem der südlichen Eurozone-Länder erwirtschaftete. Der Euro-Rettungsschirm ist ein reiner Bankenrettungsschirm, der die Ansprüche von Banken und Finanzinvestoren absichert und so die Verursacher und Profiteure der Krise schont. Die Kosten der Krise sowie die erheblichen Risiken der „Rettungspakete“ werden auf die Bevölkerungen abgewälzt: Sie haften für die Garantien und bezahlen die Sparprogramme mit dem schlimmsten Sozialabbau der Nachkriegsgeschichte in ganz Europa. Kredite aus dem Rettungsschirm sind an rigide Kürzungsprogramme gebunden, die massive Einschnitte in staatliche Ausgaben und (Sozial)Leistungen, Renten- und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, Stellenabbau sowie die Privatisierung von Staatseigentum verlangen. Dies ist nicht nur unsozial, sondern wirtschaftspolitisch unvernünftig und gefährlich: Die Sparauflagen treffen die unteren und mittleren Einkommensgruppen, sind aufgrund ihrer negativen Auswirkungen für die Binnennachfrage volkswirtschaftlich schädlich und verschlimmern so die Schuldenkrise: Infolge der Sparpakete brach beispielsweise die griechische Wirtschaft 2010 um real 4,5% ein (2011 wird ein weiteres Minus von 5% erwartet), Arbeitslosigkeit und öffentliche Verschuldung stiegen weiter an. Portugal droht Ähnliches und auch Irland hat die Krise bei weitem nicht überwunden.
Damit verschärft die Eurorettung die Krise, verhindert eine wirtschaftliche Erholung und vertieft die soziale und ökonomische Spaltung Europas. Der Auftrieb rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien zeigt, dass die marktradikale Ausrichtung der EU auch zur politischen Desintegration Europas führt. DIE LINKE fordert deshalb einen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurswechsel sowie ein umfassendes europäisches Aktionsprogramm gegen die Eurokrise, das an den Ursachen ansetzt (s.u.).
2) Keine effektiven demokratischen Kontrollen: Die „Euro-Rettung“ entzieht sich einer effektiven parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle. Verhandlungen zur Gewährung und Ausgestaltung von „Hilfskrediten“ (und den damit verbundenen Sparpaketen) finden auf Regierungsebene in der Eurogruppe, an der die Regierungen der Eurozone, Vertreter aus EU Kommission und EZB beteiligt sind, sowie auf Ratsebene statt. Der Bundestag war aus diesen Prozessen weitgehend ausgeschlossen.
Die Rahmenverträge von EFSF und ESM, die der Bundestag nun ratifizieren muss, sehen vor, dass Staaten der Eurozone Milliarden-Garantien für die Rettungsschirme bereitstellen, die im Fall von Zahlungsausfällen aus den nationalen Haushalten bezahlt werden müssen: im Fall der aufgestockten EFSF haftet Deutschland mit Garantien von bis zu 253 Mrd. Euro, im Fall des ESM summiert sich der deutsche Anteil auf rd. 193 Mrd. Euro. Dies bedeutet massive Eingriffe in die Haushaltsautonomie des Bundestags, sofern diese nicht durch nationale Gesetze geschützt wird. Die Rahmenverträge von EFSF und ESM regeln allerdings nur Verpflichtungen und Rechte der jeweiligen Vertragsnehmer – d.h. der durch die Regierungen vertretenen Mitgliedstaaten – und die Kompetenzen der Organe wie z.B. dem EFSF-Direktorium oder dem ESM-Gouverneursrat. Während die Bundesregierung in diesen Gremien erheblichen Einfluss ausüben kann, sehen die Verträge keine direkte Beteiligung der Parlamente vor.
Parlamentarische Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung sowie die Wahrung des Haushaltsrechts müssen (in Deutschland) im Ratifizierungsprozess in gesonderten Gesetzen – wie z.B. im Fall der EFSF im StabMechG - festgelegt werden. Hierzu liegt bereits ein Antrag der Regierungskoalition vor, den DIE LINKE aber als völlig unzureichend ablehnt. So will die Koalition unter anderem nur den (nicht-öffentlich tagenden) Haushaltsausschuss und nicht das Bundestagsplenum an wichtigen Fragen zur EFSF, zur Ausgestaltung und / oder Änderung von „Hilfsmaßnahmen“ (z.B. Krediten) sowie Verfahrensweisen beteiligen.
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7.9.2011, das eine Beteiligung des Bundestags anmahnte, ist nach Ansicht der LINKEN nicht ausreichend .
DIE LINKE fordert weit umfassendere Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestags und wird hierzu eigene Anträge in die EFSF- und ESM-Debatten einbringen.
Forderungen der LINKEN zur Überwindung der Eurokrise
Zur Überwindung der Eurokrise muss ein wirtschafts- und finanzpolitischer Kurswechsel eingeleitet sowie ein umfassendes europäisches Aktionsprogramm gegen die Eurokrise, das an deren Ursachen ansetzt, aufgelegt werden. DIE LINKE fordert deshalb u.a. die folgenden Maßnahmen:
1) Unverzüglicher Einstieg in die Umverteilung von oben nach unten, indem die Verursacher und Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden. Dies erfolgt über steuerpolitische Maßnahmen (z.B. Finanztransaktionsteuer, wirksame Bankenabgabe, verstärkte Besteuerung von Vermögen).
2) Finanzmärkte an die Kette und Banken vergesellschaften: Beispielsweise durch das Verbot von schädlichen Finanzinstrumenten (z.B. alle Leerverkäufe, ungedeckte Kreditausfallversicherungen) und der Tätigkeit von spekulativ handelnden Akteuren (z.B. Hedge Fonds, Schattenbanken etc.) sowie der Einführung einer öffentlichen Ratingagentur. Banken sind zu vergesellschaften.
3) Einrichtung einer Europäischen Bank für öffentliche Anleihen zur kostengünstigen und finanzmarktunabhängigen Staatsfinanzierung.
4) Europäisches Konjunkturprogramm, insbesondere für die Krisenstaaten, denn die Kürzungsprogramme haben sich als kontraproduktiv erwiesen, die Krise in diesen Staaten und damit die konjunkturelle Situation in der EU insgesamt verschlimmert.
5) Angleichung der Volkswirtschaften durch koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik: Die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise müssen beseitigt werden, insbesondere muss das Lohn-, Steuer- und Sozialdumping beendet werden. Eine europäische Ausgleichsunion mit Sanktionen gegen hohe Leistungsbilanzüberschüsse ist einzuführen.
6) Einführung von Eurobonds: Kurzfristig können Eurobonds eine Atempause schaffen, ihre Wirksamkeit ist allerdings durch das bisherige Verhindern ihrer Einführung gesunken.
7) Der Vertrag von Lissabon schreibt die in der EU vorherrschende marktliberale Politik fest. Daher kann er keine Grundlage für eine sozial und wirtschaftlich tragfähige Anti-Krisenpolitik sein. DIE LINKE fordert deshalb die Revision des Lissabon-Vertrags und einen demokratischen Neustart der EU.
Mit freundlichen Grüßen
Jörn Wunderlich