Frage an Jörg Rupp von Sascha V. bezüglich Familie
Meines Wissens stehen viele Grünen der Gentechnik und speziell der PID äußerst kritisch gegenüber. Können sie mir erklären, weshalb die Grünen dagegen in der Abtreibungsfrage das Selbstbestimmungsrecht der Frau höher bewerten als das Lebensrecht des ungeborenen Kindes?
Liegt darin - nicht in der Widersprüchlichkeit der Grünen in diesem Thema, sondern in der Negation des Lebensrechtes des ungeborenen Kindes - nicht eine gefährliche Relativierung des Menschen? In einer Welt die (hoffentlich nur) scheinbar alles dem Ökonomischen unterordnet, sehen die Grünen da nicht auch die Gefahr die durch eine Relativierung des Menschen für "Außenseiter" wie Alte, Kranke und Behinderte entstehen?
Muss dem nicht, durch ein strengeres Abtreibungsrecht, rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden, bevor es zu spät ist?
Jedes Jahr werden - trotz gut ausgebauter Beratung ca. 130 000 Kinder abgetrieben und das obwohl die Zahl der Frauen im gebährfähigen Alter zurückgeht. 97% der offiziellen Abtreibungen werden durchgeführt ohne dass ein medizinischer Indikator vorliegt (Vergewaltigungen sind ebenso eine zu vernachlässigende Größenordnung). Ist es da nicht Zeit etwas zu ändern, gerade auch in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft, in der man über jedes Kind froh sein kann?
Hallo Herr Vetterle,
vielen Dank für Ihr Anfrage, die ein gesellschaftliches Politikfeld berührt, das nicht ganz einfach zu handhaben ist.
Meines Wissens stehen viele Grünen der Gentechnik und speziell der PID äußerst kritisch gegenüber. Können sie mir erklären, weshalb die Grünen dagegen in der Abtreibungsfrage das Selbstbestimmungsrecht der Frau höher bewerten als das Lebensrecht des ungeborenen Kindes?
Schwierig. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper, in dem das werdende Leben reift, wird sehr hoch eingeschätzt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Gebärfähigkeit oftmals der einzige Wert war, den Frauen für Männer hatten. Darüber hinaus bleibt die Erziehung der Kinder und das Risiko überwiegend an den Frauen "hängen" - trotz guter Hilfestellungen sind sie letztendlich damit allein gelassen. Trotz einer guten Betreuungssituation wird es weiterhin schwierig sein, die Zeit, die Ihnen durch die Betreuung des Kindes fehlt, einzuholen, wenn Sie bspw. ungewollt während einer entscheidenen Phase Ihrer Ausbildung schwanger würden oder am Beginn einer Ausbildung. Wenn Sie mal versucht haben, mit einem 2-jährigen, der lieber spielen will und sein Recht einfordert, dass der Papa sich um ihn kümmert, Antworten auf Fragen von kandidatenwatch zu geben, wissen Sie, was ich meine. Dass die Entscheidung für eine Abtreibung jedoch zunächst von der Person gefällt werden soll, die sehr persönlich davon betroffen ist, die teile ich. Andererseits sehe ich aber auch die Möglichkeit, das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben oder durch den Vater erziehen zu lassen. Dazu gehört dann aber auch eine Änderung der entsprechenden BGB-Paragraphen (1671,1626) zur elterlichen Sorge. Setzen Sie sich dafür auch ein? Andererseits kann man einen Menschen nicht auf eine biologische Funktion des Körpers reduzieren und von ihm fordern, das Kind auf jeden Fall auszutragen.
Liegt darin - nicht in der Widersprüchlichkeit der Grünen in diesem Thema, sondern in der Negation des Lebensrechtes des ungeborenen Kindes - nicht eine gefährliche Relativierung des Menschen?
Es handelt sich um eine der schwersten Güterabwägungen, die ein Mensch vornehmen kann und die eine Frau treffen muss. Ich persönlich kenne keine Frau, die sich diese Entscheidung leicht gemacht hätte. Es gibt hier keine absolute Lösung. Ich glaube nicht, dass eine "Relativierung des Menschen" darin liegt - was immer Sie damt ausdrücken wollen.
In einer Welt die (hoffentlich nur) scheinbar alles dem Ökonomischen unterordnet, sehen die Grünen da nicht auch die Gefahr die durch eine Relativierung des Menschen für "Außenseiter" wie Alte, Kranke und Behinderte entstehen? Muss dem nicht, durch ein strengeres Abtreibungsrecht, rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden, bevor es zu spät ist?
In der Abtreibung wieder zu verschärfen, wird Frauen wieder in die Illegalität treiben - und vermutlich kein einziges ungeborenes Leben retten - im Gegenteil, es wird Frauen das Leben kosten. Ich denke, dass wir mit der Indikationslösung und der Beratungspflicht einen guten Mittelweg für unsere Gesellschaft gefunden haben - zwischen dem bestehenden Abtreibungsverbot und der Notlage, in der sich manche Frauen oder Familien wiederfinden. Ich glaube dagegen, wenn wir es schaffen, Männer endlich in die Erziehung mit einzubinden, Elternzeiten durch Männer selbstverständlich werden - dann wird es wohl auch mancher Frau leichter fallen, ein Kind auf die Welt zu bringen. Aber auch solche Lösungen werden Abtreibungen nicht zu verhindern wissen. Und der §218 besteht in seiner jetzigen Form schon Jahre - und ich kann gerade bei uns GRÜNEN überhaupt keine "Relativierung" für "Außenseiter" feststellen - im Gegenteil. GRÜNE haben sich schon immer sehr stark und massiv für Minderheitenrechte eingesetzt.
Jedes Jahr werden - trotz gut ausgebauter Beratung ca. 130 000 Kinder abgetrieben und das obwohl die Zahl der Frauen im gebährfähigen Alter zurückgeht. 97% der offiziellen Abtreibungen werden durchgeführt ohne dass ein medizinischer Indikator vorliegt (Vergewaltigungen sind ebenso eine zu vernachlässigende Größenordnung). Ist es da nicht Zeit etwas zu ändern, gerade auch in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft, in der man über jedes Kind froh sein kann?
Im Einzelfall ist man eben nicht immer froh - leider - und wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, dann wird es besonders schwer mit der Abwägung. Ich verstehe Ihre Intention und kann sie ja teilweise nachvollziehen. Ich selbst habe 4 Söhne - und selbst in schwerster wirtschaftlicher Lage gab es keinen Moment, wo ich als Vater über eine Abtreibung nachgedacht hätte. Für mich persönlich wäre es keine Lösung - auch nicht bei einem behinderten Kind. Nichtsdestotrotz ist aber auch die Realität anzuerkennen - Abtreibung gab es schon immer und wird es wohl immer geben. Viele Kinder sind gerettet worden durch die Beratungspflicht. Aber dass Sie hier mit dem Rückgang der Geburtenrate argumentieren, finde ich schlicht unerhört. Es ist gerade eine Errungenschaft unserer Gesellschaft, dass sich die Einzelne gerade in dieser Frage sicher sein darf, dass ihre individuelle Situation berücksichtigt wird - und nicht die Gesamtgesellschaftliche. Eine Schwangerschaft und/oder ein Abbruch sind höchst individuelle Entscheidungen einer Person oder einer Familie. Ich teile Ihre Auffassung, dass es sehr viele Abtreibungen sind - gebe aber zu bedenken, dass diese trotz Verbot legal sind und erst nach Beratung stattfinden dürfen. Machen Sie sich die Konsequenzen klar, die entstehen, wenn Sie eine "Gebärpflicht" einführen - was Sie ja zwischen den Zeilen anklingen lassen. Ob es ein "Recht auf Abtreibung" geben soll, darüber mag man weiter streiten. Für mich ist der bislang eingeschlagene Weg soweit in Ordnung, denn ich kann als verantwortungsvoller Mensch nicht einfach die Augen vor den Tatsachen verschließen und die Realität ausblenden. Mir persönlich wäre es lieber, es gäbe keine Abtreibungen. Eine Gesellschaft dahingehend weiter zu entwickeln, die Abtreibungen nicht mehr notwendig - bis auf geringe Ausnahmen - machen wird, daran will ich gerne mitarbeiten. Und wenn Sie daran mitarbeiten, dass Kinder in dieser Gesellschaft freundlich aufgenommen werden und Fälle wie der von Jessica in Hamburg verhindert werden - dann bin ich auch da mit bei. Denn die Kinderunfreundlichkeit in diesem Land gehörte in Ihre Argumentaion ganz deutlich mit dazu - es wundert mich, dass Sie dazu keine Forderungen aufgestellt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Rupp