Frage an Jörg Rohde von Gerold M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Rohde,
mich beschäftigt schon seit längerer Zeit die Problematik „Mindestlohn“,welche z. Z. etwas in den Hintergrund geraten ist,aber wieder aktuell werden wird.
Nach den bis jetzt zu diesem Thema geführten Diskussionen muss ich leider zu dem Ergebnis bzw. der Meinung kommen,dass (fast) alle Abgeordneten aller Parteien die Realität nicht kennen oder nicht kennen wollen.Was nutzt ein festgelegter Mindestlohn,wenn er a) nicht von Amtswegen auf Einhaltung überprüft und b) durch andere Regelungen/Tarifverträge ausgehebelt wird!
Beispiel:
Ich arbeite als Omnibusfahrer im Freistaat Bayern.Seit Mai 2005 ist der Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/innen des privaten Omnibusgewerbes in Bayern (LBO-Tarif) für allgemeinverbindlich erklärt worden.Dies würde für mich einen Mindeststundenlohn von 10,74€ bedeuten.Als ich diesen bei meinem ehemaligen Arbeitgeber einforderte (mein damaliger Stundenlohn war 8,50 €),wurde mein befristeter Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert.Zu meiner Lohnnachforderung läuft noch ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht.Nach 8-wöchiger Arbeitslosigkeit habe ich seit Februar 2006 wieder einen Job als Omnibusfahrer,diesmal in einer Zeitarbeitsfirma.Von dieser Firma werde ich aber nicht nach dem allgemeinverbindlichen LBO-Tarifvertrag entlohnt,sondern nach deren gültigen Tarifvertrag mit einem Stundenlohn von 9,00€ (8,55 Tariflohn + 0,45€ außertarifliche Zulage).Auf diesbezügliche Anfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde mir mitgeteilt,dass es eine staatliche Überwachung der Einhaltung der Tarifverträge in Deutschland grundsätzlich nicht gibt.Eine Nichteinhaltung ist dementsprechend auch nicht mit Strafe oder Geldbuße bedroht.Können sie mir bitte ihre Meinung bzw. Einstellung zu dieser Problematik mitteilen, besonders auch, ob die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Grund dafür ist,weshalb tarifliche Lösungen bevorzugt werden sollen?
Mit freundlichen Grüßen
Gerold Mühle
Sehr geehrter Herr Mühle,
vielen Dank für Ihre Zuschrift zu Mindestlöhnen und Tarifverträgen.
Für Ihr Arbeitsgerichtsverfahren wünsche ich Ihnen zunächst einmal alles Gute und viel Erfolg.
Ich freue mich auch, dass Sie wieder Arbeit als Omnibusfahrer gefunden haben, wenn auch zu einem etwas niedrigeren Lohn. Wenn Ihr Zeitarbeitsunternehmen einen gültigen Tarifvertrag abgeschlossen hat, dann gilt für Sie auch dieser Tarifvertrag und nicht der des Omnibusgewerbes. Das ist wohl rechtlich nicht zu beanstanden, aber ohne Kenntnis der Verträge kann ich Ihnen dazu keine verbindliche Auskunft geben.
Der Forderung nach Mindestlöhnen stehe ich eher kritisch gegenüber: Solange über vier Millionen Menschen in Deutschland keine Arbeit haben, sollte meiner Auffassung nach die bestehende Arbeit nicht gesetzlich verteuert werden. Die Hürde für Neueinstellungen würde damit erhöht, ein Personalabbau würde wahrscheinlicher. Ich bin der Auffassung, dass in jedem Fall Arbeit besser als Arbeitslosigkeit ist. In den Fällen, in denen der Lohn die Lebenshaltungskosten nicht deckt, muss über Lohnergänzungsleistungen nachgedacht werden. Meine oberste Prämisse lautet: Besser Arbeit finanzieren als Arbeitslosigkeit.
Als Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales muss ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen einen ständigen Spagat bewältigen: Wir müssen die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden in Einklang bringen. Das ist nicht immer leicht, aber alternativlos. Mindestlöhne erfüllen diesen Anspruch in meinen Augen nicht. Sie gefährden bestehende Arbeitsplätze und verhindern die Schaffung neuer Jobs. Mindestlöhne sollten somit weder im Interesse der Arbeitnehmer noch der Arbeitsuchenden sein. Sie führen zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen, insbesondere im gering qualifizierten Bereich. Und genau dort fehlen Arbeitsplätze. Die Einführung eines Mindestlohns hat unter anderem auch die negativen Effekte, dass mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und die Schwarzarbeit zunehmen wird. Außerdem verteuern Mindestlöhne zwangsläufig auch Produkte und Dienstleistungen und schwächen dadurch die Konjunktur.
Für Kritik, weitere Fragen und Anregungen stehe ich Ihnen auch zukünftig gerne zur Verfügung.
Mit freundlichem Gruss
Jörg Rohde