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Frage von Oliver L. •

Frage an Jochen Hartloff von Oliver L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Hartloff,

wie stehen Sie zu den besonderen Loyalitätspflichten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, die weit über jene des Tendenzschutzes hinausgehen und das Privatleben der Menschen zum Gegenstand von Arbeitsverträgen machen? Stimmen Sie der Aussage zu, dass beispielsweise die Rechtmäßigkeit einer Kündigung aufgrund einer Scheidung oder anderer privater Lebensverhältnisse, zumal bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Tätigkeit nicht im direkten Zusammenhang mit der Verkündigungsarbeit der betreffenden Kirche steht, mit den Grundwerten der Sozialdemokratie nicht in Einklang zu bringen ist?
Mit freundlichen Grüßen

Oliver Lösch

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Lösch,

vielen Dank für Ihre Frage bei Abgeordnetenwatch. Sie sprechen die Arbeitsverhältnisse bei sogenannten Tendenzbetrieben, d. h. Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, usw. an und bitten um eine Stellungnahme hierzu.

Vom Grundsatz halte ich in engen Bereichen besondere Loyalitätspflichten für gerechtfertigt. Ich nehme an, dass beispielsweise ein CDU-Mitglied hier in der SPD-Landtagsfraktion nicht lange arbeiten könnte, da er z. B. vertrauliche Informationen erhalten würde. Allerdings weiß ich, auch da ich Rechtsanwalt bin, dass im Vergleich zur Rechtslage in anderen Ländern dieser Tendenzschutz in Deutschland für die Arbeitgeber ausgesprochen weitgehend ist.

Ich begrüße daher die im September letzten Jahres ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), welche diesem Tendenzschutz Grenzen setzt und erklärt, dass private Lebensverhältnisse und Verhaltensmuster nicht willkürlich zu Kündigungen und Einschränkungen durch den Arbeitgeber führen dürfen (Az. 425/03 und 1620/03). Im zu entscheidenden Fall hatte ein Musiker einer katholischen Institution gegen seine Kündigung geklagt. Sein Arbeitsvertrag wurde wegen eines außerehelichen Verhältnisses zu einer anderen Frau durch den Arbeitgeber aufgelöst. Das Gericht erachtete die Kündigung für rechtswidrig. Die bestehende Verpflichtung des Musikers zur Befolgung der Glaubens- und Sittlichkeitsgrundsätze der katholischen Kirche gehe nicht so weit, dass dies im Falle einer Trennung zur Führung eines enthaltsamen Lebens zwingen könne. Auch wenn das EGMR-Urteil keine unmittelbare Bindungswirkung für die deutschen Gerichte entfaltet, werden diese nun wohl in Zukunft eine stärkere Prüfung des Einzelfalles vornehmen müssen, da die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes genießen und somit auch von den Arbeitsgerichten anzuwenden sind.

Aus meiner Sicht geht es hier weniger um die - wie Sie schreiben - „Grundwerte der Sozialdemokratie“, sondern bei dem von Ihnen angesprochenen Beispiel einer Scheidung darum, dass aus Achtung vor der Individualität der Arbeitnehmer den Interessen und den Einflüssen des Tendenzbetriebes als Arbeitgeber stärker als bisher Grenzen gesetzt werden müssen. Ich gehe davon aus, dass sich die Rechtsprechung zu Recht in diese Richtung entwickeln wird.

Mit freundlichen Grüßen

Jochen Hartloff, MdL