Frage an Jochen Hartloff von Ursula S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Hartloff,
vorab möchte ich anmerken, dass ich als SPD-Wähler immer Wert darauf lege, mir ein objektives Meinungsbild zu schaffen; dies im privaten und beruflichen Bereich, aber auch bei der Beurteilung von Politikern, unabhängig von deren Parteienzugehörigkeit. Die SPD hat ja zum Fall des Verteidigungsministers Guttenberg eindeutig Stellung bezogen und seinen Rücktritt gefordert. Ich möchte noch festhalten, dass ich nicht zu den zahlreichen Fans des Herrn Guttenberg gehöre. Mich interessiert jetzt Ihre Meinung zum Fall des Herrn Justizminister Bamberger im Vergleich zum Fall des Herrn Guttenberg. Die SPD in Rheinland-Pfalz hat jegliche Forderungen zum Rücktritt des Herrn Bamberger zurückgewiesen. Für mich persönlich wiegt ein Verstoß gegen unsere Verfassung schwer und ich kann die Argumentation der SPD im Fall Bamberger nicht nachvollziehen.
Hier jetzt einige Zitate aus dem Urteil des BVerwG vom 4.11.10,2C16.09, zum Fall des Herrn Justizminister Bamberger:
„weil die Ernennung die Rechte der Klägers aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt“.
„Im vorliegenden Fall kann sich der Beklagte nicht auf die Ämterstabilität berufen, weil er die Gewährung wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes für den Kläger verhindert hat. Durch die Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des OLG unmittelbar nach der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung des OVG hat der Justizminister des Beklagten dem Kläger die Möglichkeit genommen, die Ernennung durch die Anrufung des BVerfG zu verhindern. Er hat die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 GG folgende Wartepflicht missachtet. Diesen Verfassungsverstoß hat bereits das BVerfG in den Gründen des Kammerbeschlusses vom 24.09.07-2BvR1586/07-(NVwZ2008,70) festgestellt“.
„Davon abgesehen ist ein Vertrauen des Beklagten in die Rechtsbeständigkeit der Ernennung auch wegen des Verfassungsverstoßes des Justizministers nicht schutzwürdig“.
Mit freundlichem Gruß
Ursula Stahlhofen
Sehr geehrte Frau Stahlhofen,
danke für Ihre Frage auf Abgeordnetenwatch.de.
Die SPD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz hat die gegenüber Herrn Justizminister Bamberger erhobene Rücktrittsforderung zurückgewiesen, da wir der Auffassung sind, dass in keiner Weise ein Rücktrittsgrund vorliegt. Bevor ich hierzu einige Erläuterungen gebe, möchte ich Ihnen sagen, dass ich als Mitglied des Richterwahlausschusses in Rheinland-Pfalz über den Sachverhalt selbst sehr gut informiert bin und insoweit an der Auswahlentscheidung für die Stelle des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Koblenz vor einigen Jahren beteiligt war. Weiterhin habe ich für meine Fraktion sowohl bei dem von der CDU und der FDP gestellten Misstrauensantrag wie auch bei dem Antrag auf Ministeranklage im Parlament die Position der SPD vertreten.
Weiter möchte ich vorausschicken, dass das Land selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes akzeptiert und Justizminister Bamberger insoweit die Neubesetzung der Stelle eingeleitet hat.
Unabhängig von der Rechtsfrage, um die es im Kern geht, möchte ich darauf hinweisen, dass die Frage, welcher von zwei sehr qualifizierten Bewerbern letztlich der für das Amt besser geeignete ist - im vorliegenden Fall war Herr Graefen Präsident des Landgerichts Koblenz und Herr Bartz Präsident des Landessozialgerichts - naturgemäß nicht leicht zu entscheiden ist. In die Entscheidung muss auch - unabhängig von der „Papierform“, welche bei beiden Bewerbern exzellent war - einfließen, wen der Dienstherr für besser geeignet hält, das Amt auch optimal auszufüllen. Hier hatte sich Justizminister Dr. Bamberger aus nachvollziehbaren Gründen für Herrn Bartz entschieden, welcher das Amt danach auch für ca. dreieinhalb Jahre als Oberlandesgerichtspräsident bestens ausgefüllt hat. Das Bundesverwaltungsgericht sagt in seiner Entscheidung unter anderem auch, dass bei einer Neubesetzung der Stelle solche Fragen mit zu beurteilen seien.
Lassen Sie mich zunächst den Sachverhalt in Erinnerung rufen: Nachdem wegen der Ernennung des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz zum Justizminister die Stelle frei geworden war, wurde diese im Justizblatt ausgeschrieben. Es bewarben sich unter anderem der Präsident des Landgerichts Koblenz Graefen sowie der Präsident des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz Bartz. Das Justizministerium schlug vor, die Stelle Herrn Bartz zu übertragen.
Dagegen erhob Herr Graefen als Konkurrent Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht Koblenz die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Diesen Antrag lehnte das Gericht ab. Dagegen erhob Herr Graefen - ebenfalls erfolglos - Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Laut diesem höchsten Verwaltungsgericht des Landes sei die getroffene Auswahlentscheidung weder in verfahrensmäßiger noch in inhaltlicher Hinsicht zu beanstanden. Sie sei außerdem nach den Kriterien der Bestenauslese ermessensfehlerfrei erfolgt. Bei einem Beurteilungsgleichstand stehe es im Ermessen von Dienstherr und Richterwahlausschuss, welchen Kriterien größeres Gewicht beigemessen werde. Herr Bartz habe sich im Unterschied zu Herrn Graefen bereits seit vielen Jahren als Präsident eines oberen Landesgerichts hervorragend bewährt.
Nachdem der Eilrechtsweg damit ausgeschöpft war und das Oberverwaltungsgericht keine Einwände erhoben hatte, händigte der Justizminister Herrn Bartz die Ernennungsurkunde aus.
Zu diesem Zeitpunkt war es nämlich ständige Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht, dass der unterlegene Mitbewerber ausreichenden Rechtsschutz durch die Möglichkeit erhält, vor Aushändigung der Ernennungsurkunde Eilantrag und gegebenenfalls Beschwerde vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu stellen. Dementsprechend war auch die Verwaltungspraxis - nicht nur in Rheinland-Pfalz. Ähnliche Fälle gibt es zum gleichen Zeitpunkt z.B. auch im Nachbarland Hessen. Es wurde nach bestandskräftigem Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens demnach kein Anlass gesehen, mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde an den ausgewählten Bewerber abzuwarten. Dazu bestand schon deshalb kein Anlass, weil die Verfassungsbeschwerde nicht als ordentlicher Rechtsbehelf angesehen wurde, sie keine aufschiebende Wirkung hatte und auch nicht der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes unterlag. Dies war eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Zeitpunkt der Aushändigung der Ernennungsurkunde.
Mit seinem Urteil vom 4. November 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht eine neue Rechtsprechung eingeführt, wonach beamten- und richterrechtliche Ernennungen nicht mehr ohne jede Ausnahme rechtsbeständig sind. Damit hat es den jahrzehntelang geltenden Grundsatz der Ämterstabilität, nach dem die Vergabe eines Amtes rechtsbeständig ist, für den Fall zurückstehen lassen, in dem der in beiden Instanzen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens unterlegene Bewerber ankündigt, Verfassungsbeschwerde einlegen zu wollen. Mit dieser Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht juristisches Neuland betreten. Die Verfassungsbeschwerde gilt mit dieser Entscheidung wohl als bisher nicht vorhandene dritte Instanz in konkurrentenrechtlichen Eilverfahren (Verwaltungsgericht - Oberverwaltungsgericht - Bundesverfassungsgericht).
In dem zu entscheidenden Verfahren hatte letztlich das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil gefällt, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Sachverhalt nicht zur Entscheidung angenommen hatte, aber darauf hinwies, dass im „normalen Rechtsweg“ nicht auszuschließen sei, dass eine andere Entscheidung fallen könne. Das daraufhin von Herrn Graefen angerufene Verwaltungsgericht hat in erster Instanz seinem Antrag nicht stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht bekanntermaßen auch nicht und in der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht der Klage von Herrn Graefen teilweise stattgegeben, so dass eine Neuausschreibung erforderlich ist.
Auch die ARD-Rechtsexpertin Gigi Deppe bestätigt in einem Fernsehinterview (SWR-Ländersache vom 11. November 2010), dass es damals zur Zeit der Ernennung rechtlich nur geboten war, den normalen Instanzenzug der einstweiligen Verfahren - und nicht etwa noch eine Verfassungsbeschwerde - abzuwarten.
Erlauben Sie mir bitte auch ein Wort zur politischen Wertung der Sache: Dass rechtliche Fragen, sowohl von Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung, wie auch in der juristischen Fachliteratur und in der öffentlichen Meinung unterschiedlich diskutiert und interpretiert werden können und auch müssen, ist ein relativ normaler Gang der Dinge.
Im Streit über die Auslegung des Rechts spielte hier die Frage nach der Bewertung einer vorher ergangenen Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.4.05 (Az. 1 BvR 2231/02 u.a.; die in der Diskussion sog. „Notarentscheidung“) eine gewisse Rolle, welche in einem anderes gelagerten Fall von der ständigen Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur Urteil vom 14.5.96, Az. 2 BvR 1516/93) sowie von der ständigen Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes und des Bundesgerichtshofes abweicht, eine Rolle. Justizminister Dr. Bamberger hat sich auf die ständige Rechtsprechung der letztgenannten Gerichte berufen und diesen abweichenden Beschluss nicht für einschlägig gehalten. Hierüber mag man juristisch trefflich streiten. Ein persönlicher Vorwurf - wie er im von Ihnen angesprochenen Fall zu Guttenberg besteht - ist aus unserer Sicht hieraus nicht zu machen. Die Skandalisierungsversuche von FDP und CDU sind deshalb maßlos überzogen. In ähnlich gelagerten Fällen in anderen Bundesländern haben derartige Entscheidungen keinerlei Reaktion der Parlamente oder eine öffentliche Skandalisierung nach sich gezogen.
Ich bitte um Verständnis, dass, obwohl die Antwort relativ lang geraten ist, natürlich Verkürzungen enthalten sind. Ich stehe selbstverständlich auch für weitere Auskünfte zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Jochen Hartloff, MdL