Frage an Joachim Poß von Beate R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Poß,
wie frei sind Abgeordnete in ihrem Abstimmungsverhalten.
Beispiel sie haben der Agenda 2010 im Bundestag zugestimmt, die in ihrer Wirkung in den untersten 5 Einkommensdezilen die Reallöhne gedrückt hat.
Das war erklärtes Ziel der Agenda 2010, den AUfbau des größten Niedriglohnsektors in >Europa zu fördern.
Andererseits senden sie ihren Wählern, die sie zu Recht nach ihrer Verantwortung fragen, Texte die sie verfasst haben, in denen sie Lohnerhöhungen fordern.
UND JETZT DIE KONKRETE FRAGE:
Fördert der Fraktionszwang den Zwang zur politischen LÜGE?
Sehr geehrte Frau Richter,
vielen Dank für Ihre Frage vom 15. März 2013.
Ihre Frage kann ich klar mit Nein beantworten. Abgeordnete sind laut Grundgesetz Art. 38 Abs. 1 Satz 2 "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Diesen Grundsatz nehme ich sehr ernst. Unser bewährtes demokratisches System beruht aber gleichzeitig darauf, Mehrheiten zu organisieren, die dann die Entscheidungen herbeiführen. Ohne Kompromisse würde dieses System nicht funktionieren, wie auch Minderheitsmeinungen kein Gehör finden würden. Die Fraktionen und Koalitionen bilden die Plattform für diese Kompromisse. Der sogenannte "Fraktionszwang" ist nicht als Zwang im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern als Instrument zur Mehrheitsbildung. Es ist ja auch nicht so, dass die Fraktionsführung eine Linie vorgibt, sondern innerhalb der Fraktionen wird - das kann ich Ihnen zumindest für die SPD-Bundestagsfraktion bestätigen - teilweise um kleinste Details gestritten und gerungen, solange bis alle das Ergebnis mittragen können. Das ist nicht der schnellste Weg der Entscheidungsfindung, spiegelt aber unsere demokratischen Grundprinzipien wider.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Poß