Frage an Joachim Pfeiffer von David M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dr. Joachim Pfeiffer,
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort vom 12.12.07.
Da Sie Ihre Antwort dezidiert als Christ beantworten, verstehe ich jedoch folgendes Argument nicht:
Sie schreiben: "Als Christ hat für mich die Sorge um schwer kranke Menschen Vorrang vor einem Prinzip, das einer Zelllinie, die aus einer überzähligen befruchteten Eizelle gewonnen wurde, einen höheren Rang einräumt."
Mit dem verharmlosenden Begriff "Zelllinie" umschreiben Sie einen sich entwickelnden Menschen. (Wohin sonst führt die Entwicklung einer befruchteten Eizelle normalerweise...) Ab wann entsteht denn dann für Sie, als Christ, menschliches Leben über das hier entschieden wird?
Mit freundlichen Grüßen!
David Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
zu Ihrer Nachfrage bezüglich meiner Haltung zur Stammzellforschung antworte ich wie folgt:
Die Politik - wie auch ich persönlich - befindet sich in der Frage der Stammzellforschung in einem großen Spannungsfeld zwischen der Entscheidung, wem der Vorrang einzuräumen ist. Für denjenigen, der die Verschmelzung von Eizelle und Samen als Start des menschlichen Lebens definiert, ist der Einsatz embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken ein fast nicht lösbarer Konflikt.
Embryonale Stammzellen werden aus dem Inneren der Blastozyste entnommen. Sie besitzen das Potenzial, sich in jegliche Zelltypen des Körpers entwickeln zu können. Diese Fähigkeit bezeichnet man als Pluripotenz. Dadurch unterscheiden sie sich wesentlich von adulten Stammzellen, so dass sich die beiden Zelltypen in der Wissenschaft nicht gegenseitig ersetzen können. Embryonale Stammzellen haben aber nicht die Fähigkeit, sich - wie ein Embryo - zu einem vollständigen Organismus zu entwickeln (Totipotenz).
Durch das Embryonenschutzgesetz ist die Forschung an menschlichen Embryonen in Deutschland grundsätzlich verboten. Dies gilt auch für die Gewinnung embryonaler Stammzellen. Nicht geregelt und damit ohne Einschränkung zulässig war bis 2002 die Forschung an im Ausland hergestellten embryonalen Stammzellen. Die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft bat daher im Jahr 2001 den Gesetzgeber, für die Forschung an diesen Zellen einen Rechtsrahmen zu gestalten. Diesem Ansinnen kam er mit dem Stammzellgesetz nach. Das Stammzellgesetz verbietet grundsätzlich den Import von im Ausland hergestellten Stammzelllinien und ihre Verwendung in Deutschland. Es erlaubt ausnahmsweise die Forschung in engen Grenzen. Unter anderem müssen die Stammzellen von Embryonen stammen, die ursprünglich für die Herbeiführung einer Schwangerschaft hergestellt wurden (in-vitro-Fertilisation), für die aber keine Chance mehr auf Implantation besteht.
Das geltende Stammzellgesetz stellte bisher einen tragfähigen Kompromiss dar, mit dem alle Seiten leben konnten. Es begrenzte die Zumutungen für alle Seiten und hatte somit auch eine befriedende Wirkung. Daher soll der Grundkonsens des Stammzellgesetzes erhalten werden. Dazu gehört aber auch, wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, der den Menschen dient und der hilft, bisher unheilbare Krankheiten besser zu verstehen und künftig auch zu therapieren.
Daher habe ich einen Gruppenantrag unterstützt, der am bestehenden Stammzellgesetz weitgehend festhält und seine ethische Substanz erhält, mit folgender Änderung:
Der Stichtag wird einmalig neu festgesetzt auf den 1.5.2007 (also ein Datum vor der Anhörung des Forschungsausschusses im Bundestag am 9.5.2007). Dadurch wird kein einziger zusätzlicher Embryo getötet, aber die Wissenschaft in Deutschland bekommt die Luft, die sie braucht. Gerade wenn wir - wie es der Intention des Stammzellgesetzes entspricht - hochwertige, auf Therapien ausgerichtete Forschungsprojekte ermöglichen wollen, müssen wir neuere Stammzellen zulassen. Auch die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) hat Anfang November 2007 eine einmalige Verschiebung des Stichtages für vertretbar erklärt.
Es wird die Befürchtung geäußert, dass eine Verschiebung des Stichtages die nächste Verschiebung nach sich zieht. Der Gruppenantrag betont daher, dass die Intention eine einmalige Verschiebung ist. Die Entwicklung der induzierten pluripotenten Stammzellen gibt begründeten Anlass zu der Hoffnung, dass auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen langfristig verzichtet werden kann.
In Deutschland besteht Einigkeit darüber, die Forschung mit adulten Stammzellen mit Vorrang zu fördern. Das Ziel ist, dass die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen nicht mehr nötig ist. Um der Forschung mit adulten Stammzellen und der von ihr erhofften therapeutischen Fortschritte willen ist gegenwärtig noch eine Forschung mit embryonalen Stammzellen notwendig. Sie soll verstehen lehren, wie die Reprogrammierung von Stammzellen vonstattengeht. Wer eine Verschiebung des Stichtags ablehnt, muss sich fragen lassen, wie die Forschung mit adulten Stammzellen dann überhaupt vorankommen kann.
Mir ist wichtig, den hohen deutschen Standard beim Lebensschutz zu erhalten, der auch in Zukunft durch das Embryonenschutzgesetz gewährleistet wird. Gleichzeitig will ich aber auch meiner Verantwortung für die medizinische Forschung und die sich dadurch eröffnenden Heilungschancen gerecht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB