Frage an Joachim Pfeiffer von Katja R. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Pfeiffer,
da Sie sich ja so explizit für die Schiedsgerichte in TTIP einsetzen, habe ich ein paar Fragen: Machte es noch Sinn, die Zusammensetzung des "Gerichtes" in TTIP zu ändern, wenn diese in der alten Form in CETA stehen? Ist Ihnen bekannt, das der von Malmström vorgeschlagene Handelsgerichtshof müsse, wenn immer er EU-Recht auslege, diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen. Ansonsten wäre er wegen Verstoßes gegen Artikel 23 des Grundgesetzes verfassungswidrig? Müssten nicht zuerst alle anderen Rechte (Arbeitsschutz, Umweltschutz, körperliche Unversehrtheit) einklagbar sein, bevor ein rein materieller Anspruch einklagbar sein sollte? Noch weitere konkrete Fragen fallen mir ein:
1. Die Regierung sagt, sie möchte die Fluchtursachen bekämpfen, ist aber für TTIP, das ja nachweisslich Entwicklungs- und Schwellenländer ausschliesst, wie passt das zusammen?
2. Ist der Ansatz für das TTIP richtig, alle Bereiche NUR aus dem Blickwinkel des Handels zu betrachten? Gibt es daneben nicht auch die sozialen und ökologischen Aspekte zu berücksichtigen? Eine gute Arbeitsschutzmassnahem kostet Geld, keine Frage, schränkt den Handel ein, sollen wir deswegen darauf verzichten? Guter Umweltschutz kostet Geld, sollen wir wegen der Handelseinschränkung darauf verzichten?
3. Wieso kommen die Bedenken gegen Schiedsgerichte erst NACH dem massiven Protest der Bürger auf die Tagesordnung?
4. Konnten Sie schon die Unterlagen einsehen, oder kennen einen Fraktionskollegen, der dies getan hat?
5. Auf welcher Grundlage wollen Sie darüber abstimmen, wenn die Inhalte erst kurz vorher veröffentlicht werden?
6. Werden Standards nicht gesenkt, wenn 2 unterschiedliche Niveaus einfach als gleichwertig erklärt werden? Welcher wird sich wohl durchsetzen, nicht etwa der mit den niedrigsten Kosten?
Ich hätte gerne konkrete Antworten auf diese Fragen.
Mit freundlichen Grüssen
Katja Rauschenberg
Sehr geehrte Frau Rauschenberg,
das Verhältnis eines etwaigen, mit unabhängigen Richtern besetzten Schiedsgerichtshofes zum EuGH – und übrigens auch zum obersten US-Gericht – wird in den weiteren Verhandlungen mit den USA zu klären sein. Es ist aber nochmals wichtig darauf hinzuweisen, dass es beim Investitionsschutz in erster Linie darum geht, Diskriminierungen ausländischer Unternehmen zu vermeiden. Ein deutsches Unternehmen darf in den USA nicht willkürlich schlechter behandelt werden, als ein US-Unternehmen. Nur dies darf eingeklagt werden. Hingegen gelten die nationalen materiell-rechtlichen Vorschriften (z.B. Regeln zum Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz) sowohl für in- als auch ausländische Unternehmen und werden durch den Investitionsschutz nicht tangiert. Die Kommission weist darauf hin, dass dieser Diskriminierungsschutz gerade für kleinere und mittlere Unternehmen im Verhältnis zu den USA wichtig ist. Denn in den USA gibt es (anders als in der EU) kein Antidiskriminierungsgesetz, das ausländische Investitionen vor Ungleichbehandlung schützt. Dieser Schutz kann nur durch ein Abkommen erfolgen. Ohne Investitionsschutz wären Firmen aus der EU in den USA schlechter gestellt als z.B. Firmen aus Vietnam, Australien oder Singapur, die aufgrund des jüngst abgeschlossenen Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TTP) nunmehr auch Investitionsschutz genießen. Im Übrigen weist die Kommission zu den Befürchtungen hinsichtlich einer „Klagewelle“ darauf hin, dass es bereits neun Investitionsschutzabkommen von einzelnen EU-Mitgliedstaaten mit den USA gibt. Bisher ist aus diesen Abkommen jedoch keine einzige Klage gegen einen EU-Mitgliedstaat erhoben worden.
Zur Frage der Auswirkungen von TTIP auf Drittländer ist folgendes anzumerken: Selbstredend soll ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Ländern nicht auf Kosten anderer Staaten – im besonderen Schwellen- und Entwicklungsländer – abgeschlossen werden. Im Falle von TTIP wird eine Angleichung der in der EU und den USA geltenden Regelungen sogar eine Erleichterung für Exporte von Drittländern in beide Wirtschaftsräume darstellen. Die Europäische Kommission hat zu diesem Thema eine unabhängige Studie veröffentlicht, die Handelspartnern der Europäischen Union durch TTIP einen Anstieg der Produktionsleistung von 100 Milliarden Euro bescheinigt. Den Volltext können Sie in der englischen Originalversion nachlesen unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf .
Das Freihandelsabkommen wird im übrigens keinesfalls nur aus dem Blickwinkel des Handels betrachtet, denn wir werden keinem Abkommen zustimmen, das unsere hohen Standards, insbesondere des Umwelt- und Arbeitnehmerschutzes, gefährdet oder die Regulierungsfreiheit des Gesetzgebers einschränkt. Die Resolution des Europäischen Parlamentes vom 8. Juli 2015 fordert die Kommission auf, „dafür zu sorgen, dass die hohen Standards, die in der EU im Interesse der Lebensmittelsicherheit und zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen eingeführt wurden, in keiner Weise beeinträchtigt werden“. Auch das Verhandlungsmandat des Rates und der Europäischen Union an die Kommission fordert das Recht der Vertragsparteien ein, „die für die Verwirklichung legitimer Gemeinwohlziele erforderlichen Maßnahmen auf dem ihnen zweckmäßig erscheinenden Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Arbeit, Verbraucher, Umwelt und Förderung der kulturellen Vielfalt, wie in dem Übereinkommen der UNESCO zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen festgelegt, zu treffen“ (siehe: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL-1/de/pdf ).
Im EU-Recht festgelegt sind strenge Standards u.a. zum Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesundheit, der Gesundheit und des Wohlergehens von Tieren, der Umwelt und der Verbraucher. In der EU lassen sich Regierungen auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse von unabhängigen Regulierungsstellen darüber beraten, wie streng diese Standards sein sollten. Durch TTIP werden diese Standards geschützt. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Regierungen auch künftig das Recht haben, diese Bereiche so streng zu regeln, wie sie es für angebracht halten. Durch TTIP werden EU-Rechtsvorschriften weder automatisch außer Kraft gesetzt noch aufgehoben oder geändert. Jede zur Liberalisierung des Handels an einer Rechtsvorschrift oder Regelung der EU vorgenommene Änderung muss von den 28 Mitgliedstaaten der EU sowie vom Europäischen Parlament gebilligt werden.
Zur Beantwortung der sonstigen Aspekte verweise ich auf meine umfangreichen Ausführungen auf die Frage von Herrn Gottstein vom 02.10.2015.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB